Bahn-Betriebsratschef Schwarz „Alle sind unzufrieden, überall“

„Alle sind unzufrieden, überall“, sagt Bahn-Betriebsratschef Jens Schwarz. Quelle: dpa

Der Vorsitzende des Gesamtsbetriebsrats der Deutschen Bahn, Jens Schwarz, hält die Sanierungspläne des Konzerns für gescheitert, die Bordbistros für eine Quelle des Frusts und Kritik von Grünen und FDP für unverschämt.

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Herr Schwarz, wann sind Sie das letzte Mal Zug gefahren?
Vergangene Woche, von Berlin nach Hamburg.

Lief alles gut?
Ja, es gab keine Probleme. Wir sind pünktlich losgefahren und pünktlich angekommen. Alles gut. Aber das ist ja zurzeit nicht die Regel.

Gibt es überhaupt eine Sparte bei der Deutschen Bahn, die den Mitarbeitern Freude bereitet?
Das Auslandsgeschäft läuft gut. Die Ergebnisse des Logistikunternehmens Schenker und der Bus- und Regionalbahngesellschaft Arriva sehen gut aus. Das wirkt sich natürlich auch auf die Stimmung der dortigen Belegschaft aus. Die Unternehmen wachsen und schreiben ordentliche Gewinne. Mit der eigentlichen Bahn haben wir Schwierigkeiten, also das Kerngeschäft in Deutschland ist aus dem Takt geraten.

Wie fühlen sich die Mitarbeiter derzeit?
Alle sind unzufrieden, überall. Der Unmut zieht sich durch das ganze Unternehmen in Deutschland. Die Stimmung ist angespannt. Die Mitarbeiter in den Zügen bekommen den Ärger der Fahrgäste ja täglich und direkt zu spüren. Zum Beispiel die Zugbegleiter, die den Frust bei Verspätungen abbekommen. Oder die Mitarbeiter in den Bordrestaurants, die viel zu oft sagen müssen, dass mal wieder eine Kaffeemaschine nicht läuft.

Wie lässt sich das aus Sicht der Arbeitnehmer ändern? Oder anders gefragt: Lassen sich Probleme überhaupt beheben?
Natürlich nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit. Es gibt eine Agenda für eine bessere Bahn, die auf fünf Jahre ausgelegt ist. Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur und die Fahrzeuge. Die Probleme und Lösungen sind ja alle analysiert. Jeder hat sie schon oft gehört.

Das klingt fatalistisch...
Das bin ich nicht. Aber wir diskutieren die Lösungsansätze schon seit Jahren. Es ist in der Vergangenheit halt viel zu wenig passiert. Schauen Sie sich die Maschbahn an, die von Hamburg nach Sylt fährt. Wir haben den Betrieb vor drei Jahren von einem Wettbewerber übernommen. Bis heute gibt es Probleme, weil die Züge oft verspätet sind. Der Hindenburgdamm ist mit zwei Gleisen ausgelegt. Auf dem Weg dorthin liegt jeweils nur ein Gleis. Man hätte vor Jahren zweite Gleise bauen können. Man darf sich nicht wundern, dass Fahrpläne nicht funktionieren, wenn die Infrastruktur auf Kante genäht ist. Die Pendler rund um Sylt laufen Sturm.

Und was sind die Ideen der Mitarbeiter gegen den Schieneninfarkt?
In erste Linie geht es um Investitionen. Nur wenn Bund und Bahn mehr Geld investieren, wird die Situation besser. Es geht um zig Milliarden. Es gibt nun mal einen erheblichen Rückstau an Investitionen im Netz und bei den Fahrzeugen. Dann geht es auch um qualifiziertes Personal. Es reicht nicht aus, 20.000 neue Leute einzustellen. Die müssen auch ausgebildet werden und für eine Aufgabe geeignet sein. Wir diskutieren gerade, dass sich der Personalbedarf künftig nicht mehr an der reinen Anzahl von Beschäftigten orientieren soll, sondern an der Zahl der einsatzfähigen Mitarbeiter. Der Vorstand konnte uns solche Zahlen bis heute noch nicht liefern.

„Der Vorstand muss aufhören zu sparen“

Wo fehlt denn qualifiziertes Personal?
Wir brauchen überall mehr Personal, aber vor allem in der Instandhaltung. In den Werkstätten in Hamburg und München arbeiten einfach zu wenige Leute. Auch Köln hat Probleme. Aber gute Leute bekommt man nicht so schnell. Viele ICE-Züge verlassen die Werkstatt daher mit vielen kleinen Störungen, die zwar nicht sicherheitsrelevant, aber ärgerlich sind. Kaputte Toiletten, defekte Kaffeemaschinen, kaputte Sitzplatzanzeigen. Das Bordbistro ist gerade ein Riesenthema. Und dann müssen die Mitarbeiter an Bord die Probleme wieder ausbaden. Auf Dauer fährt die Bahn die Leute sauer. Das Maß ist voll.

Was fordern Sie?
Zunächst einmal muss der Vorstand aufhören zu sparen. Es darf keinen Ausgabenstopp geben, sondern es muss mehr investiert werden. Das Reformprojekt „Zukunft Bahn“, das in vielen Bereichen vorsah, weniger statt mehr Leute einzusetzen, ist gescheitert. Das will der Vorstand natürlich nicht hören.

Bei der Aufsichtsratssitzung Mitte November hatte der Vorstand das Kontrollgremium über die neuen Maßnahmen informiert. Was wurde da entschieden?
Nichts wurde entschieden. Es ist diskutiert worden, aber eine Beschlusslage gibt es erst im Dezember bei der turnusmäßigen Aufsichtsratssitzung. Die entscheidende Frage wird dann sein: Wo kommt das Geld her? Bei der Sanierung des Schienennetzes verhandelt der Vorstand gerade mit dem Bund über Milliarden. Wenn die Politik den Schienenverkehr stärken will, muss da mehr kommen.

Die Deutsche Bahn könnte profitable Töchter verkaufen, etwa die Logistikfirma Schenker und den Nahverkehrsbetreiber Arriva. Steht das bald an?
Der Verkauf von Arriva und Schenker ist derzeit völlig offen. Ich halte einen Verkauf ohnehin für falsch. Er würde einmalig Geld bringen, aber damit ist nicht viel gewonnen. Die Tochtergesellschaften verdienen Geld, das langfristig der Eisenbahn in Deutschland zugutekommt. Und das letzte, was wir brauchen, ist eine Trennung des Konzerns in ein Schienennetz und die Transporteinheiten. Das fordern ja die Grünen und die FDP. Aber dann hätten wir englische Verhältnisse. Die Bahn dort ist nicht leistungsfähig.

Die Bahn investiert in neue Fahrzeuge, etwa den ICE4. Das neue Flaggschiff ist seit einem Jahr in Betrieb. Sind die Mitarbeiter hier zufrieden?
Es gibt ein paar Kinderkrankheiten. Die Türen machen zum Beispiel Probleme. Aber im Großen und Ganzen ist das ein guter Zug, der auch bei den Mitarbeitern an Bord gut ankommt. Probleme machen zurzeit eher die älteren ICE-Modelle. Die Bordbistros im ICE1 zum Beispiel sind ständig defekt. In der Werkstatt Nürnberg läuft gerade ein neues Modernisierungsprogramm, das den Betrieb des ICE1 stabilisieren soll. Auch beim ICE3 steht das Bordbistro auf der Agenda. Ingenieursteams bauen gerade ein neues Bistro, das weniger anfällig ist.

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