Bahn-Chaos Das Informationsdesaster in NRW

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Die statische Zugmessung

Die skurrilsten Durchsagen der Bahn
„Die Weiterfahrt wird sich in Leverkusen verzögern. Wir werden von einem hochwichtigen Zug überholt“, zwitscherte @BahnAnsagen beispielsweise in die Runde. Die - unbekannten - Betreiber des Accounts nehmen auf, was ihnen ihre Follower aus ganz Deutschland schicken. Auf unserem Bild sieht man übrigens, wie der französische TGV in Stuttgart ankommt und begeistert empfangen wird. Quelle: dpa
Auch der nächste Tweet nimmt die Verspätungen der Deutschen Bahn aufs Korn: „Durchsage im Zug am Bahnhof Hamm: 'Wir warten noch auf auf Fahrplanabweichungen'.“ Ein anderer Twitter-Nutzer antwortet mit ironischem Unterton: „Bei der S-Bahn in Stuttgart muss man da nicht drauf warten. Einfach an den Bahnsteig stellen, und sie sind da.“ Quelle: dpa
Dieser Tweet kommt wohl ohne Kommentare aus: „An das Zugpersonal: Bitte die Türen noch einmal öffnen, damit der Zugführer einsteigen kann!“ Quelle: dpa
Die armen Zugbegleiter haben es aber auch nicht immer leicht. Eigentlich wollen sie sich nur artig bedanken - und dann das: „Wir wünschen einen angenehmen Abend und danken, dass Sie uns benutzt haben.“ Quelle: AP
Dieser Tweet wird vor allem Pendler, die viel im Ruhrgebiet oder Düsseldorf unterwegs sind, zum Lachen bringen: „Ist etwas voll geworden. Sonst wären wir auch nicht die S1“, so eine Lautsprecherdurchsage in der S-Bahn-Linie 1. Im Ursprungs-Tweet war die Rede davon, dass die Ansage in Köln aufgeschnappt worden sein soll. Allerdings - in Köln gib es keine S1. Tatsächlich verkehrt die Bahn zwischen Solingen und Dortmund. Die beschriebene Situation dürfte allerdings trotzdem vielen bekannt vorkommen oder, wie @BahnAnsagen schreibt: „Der Inhalt der Aussage transportiert sich auch so, ob nun S1, U1 oder RE1.“ Quelle: AP
Und wieder eine Verspätung - und ein kleiner Versprecher: „Wie Sie gemerkt haben, sind wir 7,5 Minuten später gestartet. Wir bitten Sie, dies zu bedauern!“ Quelle: dpa
Auch Fotos zwitschert @BahnAnsagen. Wie zum Beispiel dieses hier (Screenshot) mit der Anmerkung: „Lässt die Bahn jetzt Raum für eigene Notizen?“ Quelle: Screenshot

Übel aufstoßen dürfte den Reisenden, dass manchmal allein der Personalmangel Ursache für einen unvorhersehbaren Stopp ist. Denn die Netzleitzentrale in Frankfurt stimmt sich nicht nur mit ihren sieben Regionaltöchtern ab, sondern auch mit dem Personenverkehr. Es kann passieren, dass ein ICE nicht weiter fahren darf, weil der Lokführer seine gesetzlich erlaubten Arbeitsstunden abgeleistet hat. Dann muss der Zug auf einen Ersatz-Lokführer warten. In Zeiten von Unwetter und Fahrplan-Chaos bringen personelle Engpässe zusätzliche Unwucht in den Takt.

Rüdiger Kiani-Kreß, Köln Hauptbahnhof, 8:15 Uhr:

Am Kölner Hauptbahnhof war bereits die große Anzeige in der Haupthalle am Dom der Flut an Verspätungen nicht mehr gewachsen. So zeigte die Tafel etwa um 8:15 noch die Züge, die von fünf Uhr früh bis kurz nach sieben hätten fahren sollen, aber ausgefallen waren. Doch keiner der aktuellen Züge war gelistet.
Die genauen Beobachter unter den sicher mehreren hundert Wartenden, die ihren Blick auf die veraltete Tafel hefteten, entdeckten überrascht den ICE 543 um 6:26. Der sollte nur 120 Minuten Verspätung haben. Doch gegen 8:30 verschwand der komplett von der Anzeige – ohne gefahren zu sein.
Wer erfahren wollte, wie es wirklich um die aktuellen Verbindungen stand, musste sich entweder in die bis zu rund 50 Meter lange Schlange vor den Informationspunkten (präzise: von Gleis 4 bis fast zu McDonald’s) einreihen – oder im Internet nachsehen.
Doch auch auf die App war nicht ganz Verlass. So zeigte die Liste der Fahrten zwischen den Hauptbahnhöfen von Köln und Düsseldorf - neben einer Reihe abgesagter Verbindungen (mit einem roten X vor der Abfahrtszeit) - auch eine Handvoll pünktlicher oder fast pünktlicher Züge. Aber wer auf den App-Rat auf Gleis 1 zum RE um 9.31 Uhr ab Köln Hbf mit +3 Minuten ging, blieb ebenso stehen wie zuvor beim ICE 847 (9:28 Uhr Gleis 5) und jeder Menge anderer.

Grund 3: Die statische Zugmessung

Navigationssysteme im Auto oder auf dem Smartphone funktionieren zuverlässig. Warum eigentlich nicht bei der Bahn? Die Begründung ist einfach und verstörend: Die Bahn arbeitet nicht mit GPS. Stattdessen misst sie Pünktlichkeit und Standort ihrer Züge anhand von Messpunkten, die die Züge auf der Strecke überfahren. Sie sind irgendwo an den Gleisen angebracht – und auf jeden Fall vor und nach den Bahnhöfen. Das System klingt statisch und ist es auch.

Aus diesem Grund ist die Information auf dem DB Navigator nicht immer korrekt. In Hamm etwa kommt es öfters vor, dass ein ICE mit wenigen Minuten Verspätung eintrifft. Laut System ist er dann noch pünktlich. Und er würde in der nächstgelegenen Station Bielefeld auch noch als pünktlich angezeigt, selbst dann, wenn er aus technischen oder Unwetter-Gründen nicht abfährt. „Da der Zug keine Zugmeldeanlage durchfahren hat, kann die automatische Aktualisierung nicht greifen“, heißt es beim Twitter-Team der Deutschen Bahn auf Anfrage. Mit anderen Worten: Ein Zug, der niemals losfährt, hat niemals Verspätung.

Dies dürfte eine Erklärung sein, warum viele Züge auf dem DB Navigator pünktlich erscheinen, obwohl sie in Wahrheit viele Minuten zu spät sind – und möglicherweise noch irgendwo auf dem vorherigen Bahnhof stehen. Hinzu kommt, dass heute sowieso alles anders ist. Auf Anfrage antwortet das Twitter-Team der Deutschen Bahn: „Der DB Navigator hakt heute teilweise. Bitte die Ansagen/Anzeigen am Gleis beachten.“

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