Bahntickets Auch das 69-Euro-Ticket wird nicht mehr Menschen zu Bahnfahrern machen

Die Lösung für den ÖPNV sind mehr Züge und kein 69-Euro-Ticket. Quelle: imago images

Das Neun-Euro-Ticket läuft zum September aus. Daher schlagen die Verkehrsunternehmen nun das 69-Euro-Ticket vor. Auch das wird die leidenschaftlichen Autofahrer nicht in den ÖPNV bringen. Mehr Züge aber schon. Ein Kommentar.

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Ich liebe Zugfahren durch Deutschland – und die urbane Mobilität in Berlin: Ich steige mal in den Bus, mal in die U- oder S-Bahn. Ich fahre mal mit dem Rad oder dem eigenen Elektroroller. Ich setze mich mal in ein WeShare-Auto von Volkswagen oder stelle mich auf einen Tretroller von Tier. Die Verkehrsvielfalt in der Hauptstadt ist so groß, dass ich auf ein eigenes Auto verzichten kann. Und ich tue es gerne.

Ein 69-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), wie es der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vorschlägt, hätte auf die Qualität des ÖPNV aber keinerlei Effekt. Ein Klimaticket klingt zwar zunächst sinnvoll. Es soll sogar bundesweit gültig sein – ein kluges Detail. Aber würden damit mehr Menschen auf ein Auto verzichten und in Bus und Bahn steigen?

Die Empirie spricht dagegen. Zunächst ist da meine eigene anekdotische Evidenz. Ich nutze deshalb Bus, Bahn und E-Roller, weil mir die Alternative Auto in und außerhalb Berlins kaum Vorteile bringt. Ich miete mir übrigens sehr wohl ab und an ein Auto. Was mich aber vor allem zum Auto-Eigentumsverzicht motiviert: Ich fühle mich wohl, zwischen Verkehrsalternativen wählen zu können. Immer das Beste zum jeweiligen Zeitpunkt. Das darf ruhig seinen Preis haben.

Statistisch betrachtet würde ein 69-Euro-Ticket keine Abwanderungswelle auslösen. Schon das Neun-Euro-Ticket vermochte es nicht, die Pendler zum Umstieg in die Regionalzüge zu bewegen. Zwar fahren seit Juni deutlich mehr Menschen mit Bus und Bahn. Doch sie tun es zum eigenen Vergnügen: zum Strand an die Nordsee, zum Wandern in die Berge oder zum Shoppen in die nächstgelegene Stadt. Das preiswerte Flatrate-Ticket hat die täglichen Bewegungsroutinen der Menschen nicht verändert. Der Autoverkehr ist kaum gesunken. Die Ergebnisse des Massen-Experiments Neun-Euro-Ticket sind daher ernüchternd.

Ich halte das 69-Euro-Ticket daher für falsch. Denn es ändert nichts am Zustand des ÖPNV in Deutschland. Der ist in den großen Städten gar nicht schlecht. Aber besser geht immer. Die Menschen steigen erst dann nachhaltig um, wenn die öffentlichen Transportalternativen besser sind als das eigene Auto. Ich bin jahrelang zwischen Köln und Düsseldorf zur Arbeit gependelt. Morgens im vollen Regionalexpress hin, abends im noch volleren Zug zurück – und allzu oft mit unerträglicher Verspätung. Ein 69-Euro-Ticket würde in dieser Welt keinen leidenschaftlichen Autofahrer zum überzeugten Bahnfahrer machen – ein zusätzlicher Zug schon.

Und damit komme ich zum eigentlichen Punkt: Wer eine Mobilitätswende voranbringen will (und die ist nötig, um den CO2-Ausstoß wegen der Klimakrise zu reduzieren), der muss in das Angebot investieren. Wir brauchen ein besseres Schienennetz, zusätzliche Züge, verlässliche Verbindungen. Der Nah- und Fernverkehr auf der Schiene in Deutschland hat kein Nachfrageproblem, sondern ein Qualitätsdefizit. Ein subventioniertes 69-Euro-Ticket für die Massen soll den Staat angeblich zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das Geld wäre in die Infrastruktur besser investiert.

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