Balearen-Urlaub trotz Corona Das neue Gesicht Mallorcas

Leere Strände sollen auf Mallorca bald wieder der Vergangenheit angehören. Quelle: imago images

Mallorca ist kein Risikogebiet mehr, die Gäste kommen zurück. Doch viele Urlauber dürfte die Lage ernüchtern: Läden und Clubs sind geschlossen, die Corona-Maßnahmen bleiben streng. Einheimische wollen die Krise jetzt nutzen, um die Insel neu zu erfinden.

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Christopherus Heufken hat viel gekämpft in den vergangenen Monaten. Der Deutsche betreibt auf Mallorca das Palacio Sant Salvador, ein 8-Zimmer-Designhotel in Artà im Nordosten der Insel. Eigentlich beschäftigt der Hotelier zehn Mitarbeiter, einige von ihnen in seinem Restaurant ganz in der Nähe. Doch wegen Corona kann er derzeit nur Dreien Arbeit anbieten - die meiste erledigte er selbst. „Wir können nicht mehr“, sagt er. Er hat sich der Aktion „SOS Turismo“ angeschlossen. 

Umso mehr hofft er nun auf den Aufschwung, aber nicht auf ein Comeback zum Statuts ante. Sondern besser, harmonischer, entspannter. „Es geht langsam aufwärts“, sagt Heufken. Und mit Blick auf die Zukunft sagt er: „Der Boom wird kommen“ - und dann schiebt er nach. „Es darf ruhig etwas Neues entstehen - ein Mallorca wie vor 30 Jahren.“

Nach dramatischen Monaten mit sehr hohen Corona-Inzidenzwerten, steigender Arbeitslosigkeit und fehlender Perspektive schöpfen die Menschen vor Ort wieder Hoffnung. Die Bundesregierung hat Mallorca vor wenigen Tagen von der Liste der Risikogebiete genommen. Das erspart Reiserückkehrern die bisher übliche 14-tägige Zwangsquarantäne, die fast alle Inselfans wie ein Reiseverbot empfanden. Reisekonzerne wie TUI, FTI und Alltours sowie Airlines wie Eurowings, Lufthansa und Ryanair haben ihr Angebot vervielfacht und nehmen den Flugplan wieder auf. Nach fast sieben Monaten Lockdown kommen die ersten Gäste zurück. 

Die werden das beliebteste Auslandsreiseziel der Europäer allerdings nicht so recht wiedererkennen. Nicht nur, dass die Flüge mit bis zu 300 Euro derzeit teilweise deutlich teurer sind als gewohnt. Die einst selbst in der Nebensaison im Frühjahr zumindest in Teilen noch lebendige Insel wirkt stellenweise wie eine Ruine. Das Bild prägen derzeit geschlossene Läden, strengste Coronauflagen und deutlich mehr sichtbare Armut. „Die aktuelle Krise war katastrophal für Mallorca“, sagt Nicola Zech, Tourismusprofessorin der IUBH Internationale Hochschule aus München, die häufig die Insel besucht. Und die Aussichten auf Besserung sind schwer abzuschätzen. „Keiner weiß, wie lange die aktuelle Öffnung anhält“, so Zech. 



Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Insel bei der Zahl der Gäste zumindest entfernt an alte Zeiten anknüpft. Trotzdem hoffen viele Hoteliers und Touristiker, dass Mallorca sogar profitieren könnte. Allerdings müsste sich die Insel dazu radikal ändern: weniger Billigtourismus und Sommerurlauber, mehr Premiumreisende über das ganze Jahr verteilt. Außerdem müsste Mallorca neue und weniger pandemie-anfällige Wirtschaftszweige ausbauen. 

Denn die Insel ist extrem abhängig vom Tourismus. Lange lebte sie damit sehr gut. In den vergangenen 20 Jahren verdoppeltes sich die Besucherzahl der Insel in etwa. Besonders stark legte der lukrative Premiumtourismus zu, der heute rund die Hälfte der Reisenden bringt. Die Zahl der Bars und Cafés wuchs in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent. Das durchschnittliche Einkommen auf der Insel stieg auf ein Niveau, das gut zehn Prozent über dem spanischen Durchschnitt lag.

Doch in der Coronazeit wurde das zu einem gravierenden Nachteil. Hatte die Insel im Rekordjahr 2019 noch fast 30 Millionen Flugpassagiere und Menschen auf der Insel begrüßt, jetteten im vergangenen Jahr nur noch sechs Millionen nach Mallorca (siehe Grafik). Das brachte die Wirtschaft an den Rand des Kollaps. Die Wirtschaftsleistung auf Mallorca sank laut Schätzung der spanischen Zentralbank im Jahr 2020 um 27 Prozent - die Wirtschaft Spaniens verlor insgesamt nur rund elf Prozent. 

Das Minus traf Mallorca im Kern. Denn rund 75 Prozent der Inselwirtschaft hängen mehr oder weniger am Tourismus – von den Hoteliers und Kellnern über die Busfahrer und die Verkäufer im Souvenirshop bis zu den Supermärkten, wo die Hotelangestellten nun weniger einkaufen. 





Viele von denen haben ihre Jobs, nicht wie in früheren Jahren nur über die Winterpause ruhen lassen. Die Zahl der Arbeitslosen ist seit der Vorkrisenzeit um 75 Prozent auf 120.000 gestiegen. Dazu kommen weitere rund 80.000 Menschen in der lokalen Form der Kurzarbeit. Insgesamt ist gut ein Drittel der sonst erwerbstätigen Bevölkerung mangels der Urlauber mehr oder weniger zum Nichtstun verdammt. „Jeder hier kennt Menschen, deren Lebensunterhalt am Tourismus hängt und denen jetzt vorne und hinten das Geld fehlt“, sagt Klaus Vorbrodt, Leiter der auf Tourismus-Studiengänge spezialisierten Ascenso Akademie aus Palma und tiefer Kenner der lokalen Wirtschaft.

Die Folge ist eine Armut auf Rekordniveau. „Das bedrückt mich auch persönlich“, sagt Alltours-Chef Willi Verhuven. Die soziale Sicherung ist knapp. Selbst wer Kurzarbeitergeld bezieht, muss oft mit 900 Euro im Monat auskommen. „Aufstocken können wir nicht, weil wir selbst zuletzt keine Einnahmen hatten“, so Verhuven, dessen Unternehmen auf der Insel 26 Hotels betreibt. So bleibt am Ende nicht viel zum Leben, so Akademie-Chef Vorbrodt. „Manche Familien kommen netto auf lediglich 1100 Euro und zahlen gut 600 Euro Miete.“ Das war bis zu Krise meist kein großes Problem, weil dank des Tourismus die Einkommen spürbar über dem Landesschnitt lag. Nun haben viele keine Reserven mehr.

Die Rückkehr der Touristen soll die Malaise beenden, erwartet Inselpräsidentin Francina Armengol. „Mallorca erwartet euch schon“, rief sie den Urlaubern zu, als die Insel vorige Woche in fast allen Teilen Europas ihren Status als Risikogebiet verlor. „Jetzt geht es wieder aufwärts, denn wir sind wieder ein sicheres Ziel“, so die sozialistische Politikerin. Ähnlich freuen sich die großen Touristikunternehmen.  „Mallorca steht vor einem spürbaren Aufschwung“, sagt Alltours-Inhaber Verhuven. „Wir haben am Samstag 20 Maschinen ab Düsseldorf ins Programm genommen und Montag schon einige ausgebucht“, so der Unternehmer. FTI will im Rahmen seiner Offensive „Happy Spanien Days“ 100 Häuser öffnen und Marktführer Tui gar bis zu rund 900 Hotels.

Der Sangria-Eimer bleibt verboten

Doch ob der Boom anhält, bleibt abzuwarten. Die größte Mahnung ist die Öffnung von Mallorca im vergangenen Juni. Auch damals begrüßten die Insel-Verantwortlichen und die Hotelangestellten die Gäste mit Applaus und Willkommensgeschenken. Rund zwei Monate später erzwangen die rapide steigenden Coronazahlen die erneute Schließung, die mehr oder weniger bis zum vergangenen Wochenende anhielt. Wie lange die Öffnung bleibt ist ungewiss. Denn laut einer Übersicht der Schweizer Großbank UBS hat die Zahl der Reisebeschränkungen innerhalb der EU trotz der vielen Impfungen und der jüngsten Lockerung aus Deutschland in den vergangenen Wochen unterm Strich wieder zugenommen.

Basis eines Aufschwungs ist die Begeisterung der vielen Mallorcafans. „Die Leute wollen hierher reisen“, sagt Sören Hartman, Chef des zweitgrößten deutschen Reiseveranstalters DER aus dem Rewe-Konzern. „Die Insel ist das ideale Reiseziel“, ergänzt Alltours-Chef Verhuven. 

Dabei testet die Baleareninsel die Loyalität ihrer Fans wie nie zuvor. Denn wer jetzt ankommt wird vom gewohnten Mallorca mit Party, Straßencafés und Abendessen in der kühlen Abendbrise noch auf längere Zeit nicht viel wiederfinden. Denn die Insel ist in weiten Teilen fast auf null heruntergefahren. Das erlebten alle, die seit der Eröffnung am vergangenen Sonntag mit einem der ersten Jets im auf Katalanisch Son Sant Joan genannten Flughafen im Westen der Hauptstadt Palma gelandet sind. Nutzen sonst im März etwa 40.000 Reisende pro Tag den drittgrößten Airport in Spanien, sind es jetzt nicht mal 5000. Bereits am Flughafen sind Restaurants, Läden als auch die Schalter der Autovermieter größtenteils geschlossen. Das gleiche Bild prägt die ganze Insel. Selbst das quirlige Palma wirkt wie im Winterschlaf wie sonst um diese Zeit nur die Nebenorte wir Alcúdia oder Andratx.  





Und nach einer baldigen Wiedereröffnung sieht es noch nicht aus. Denn viele Unternehmen haben aufgegeben. Wer kann, sattelt um, wie Peter Wackel. Der Schinkenstraße-Entertainer hat seinen Hit „I love Malle“ aus 2018 vorige Woche kurzerhand in „I Love Oberstdorf“ umbenannt. 

Viele Läden sperren zu. „Zum Stadtbild gehören nun überall auf Dauer herunter gelassene Rollläden mit „Zu verkaufen"-Schildern – in Palma und mehr noch in den fast reinen Touristenorten wie Cala Ratjada. Antoni Gayà, Vorsitzender des Einzelhandelsverbands Afedeco, unkt, dass jedes fünfte Geschäft in der Inselhauptstadt nicht mehr öffnen wird - in diesem Jahr und wohl auch darüber hinaus. Noch höher dürfte die Insolvenzquote bei den Shops im Rest der Insel sein und bei den Bars, Restaurants und Cafeterias. 

Die legendäre Disco Tito’s aus Palma ist geschlossen und nun Teil eines Appartementhauses. Komplett verschwunden ist der Partytourismus. Ob enge Bierlokale, Discotheken oder auch nur bisher unverzichtbare Teile balearischen Sauftums wie der in kleinen Gruppen gelehrte Eimer voller Sangria bleiben als potenzielle Superspreader-Events bis auf weiteres verboten. „Wir haben den Eindruck, dass dies auch zumindest für den Sommer so bleibt, denn es ist einfach zu gefährlich“, so Verhuven.

Auch wo noch geöffnet ist, kommt klassische Mittelmeerstimmung nur schwer auf. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu behindern, muss die Gastronomie der Insel ab 17 Uhr schließen, so dass alle Urlauber nun ausschließlich in ihrem Hotel zu Abend essen können. Auch der Bummel unter Sternenhimmel fällt weitgehend aus. Denn von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens herrscht Ausgangssperre. 

Meeresluft atmen geht nur noch auf dem Balkon des eigenen Zimmers. Wie in ganz Spanien muss jeder auch im Freien Masken tragen. Und anders als auf den Kanaren dürfen die Gäste auch auf den Außenterrassen von Cafés und Restaurants ihre Maske nur kurz abnehmen, wenn sie Glas oder Besteck zum Mund führen. Wer die Regel bricht, muss mit empfindlichen Strafen rechnen 



Auf lange Sicht will sich die rot-grüne Inselregierung sogar möglichst komplett vom Partytourismus lösen und die Insel auf mehr Premium und vor allem Nachhaltigkeit umstellen. Dafür hat Präsidentin Armengol den Haushalt aufgestockt und ein paar überfällige Reformen eingeleitet. Dazu gehört neben der Förderung der Elektromobilität nicht zuletzt bei den Autovermietern auch ein neues Hotelkonzept. Nicht mehr geduldet werden Bettenburgen mit Renovierungsstau, in denen Partytouristen sich die Zimmer teilweise im Schichtbetrieb teilten. 

Stattdessen fördert die Verwaltung nun gezielt Sanierungen in Richtung Luxus und Ökologie. So dürfen Häuser, die nach einem Umbau weniger Energie und Wasser verbrauchen, erstmal wieder Kapazität anbauen oder aufstocken – in der Hoffnung, so die Billigstherbergen aus dem Markt zu drängen. Zweiter Fokus sind kleine naturnahe Boutique- oder Finca-Hotels. „Hier hat Mallorca eine echte Chance, sich zu profilieren“, so Professorin Zech.

Der zweite Ansatz ist die Förderung neuer Branchen. Bisher gab es auf der Insel neben dem Tourismus bestenfalls noch ein mehr oder weniger künstlerisches Handwerk und eine Möbelindustrie. Nun soll sich Mallorca zu einer IT-Metropole aufschwingen, rund um den neuen Technologiepark BIT im Norden Palmas. „Wir werden das Silicon Valley Europas“, gibt Präsidentin Armengol die Richtung vor. Das klingt etwas großsprecherisch, „doch es hat einen realistischen Kern“, sagt Akademie-Chef Vorbrodt. „Dank der Universität und dem hohen Lifestylefaktor der Insel gibt es bereits eine lebendige Startup-Szene.“ So hat etwa auch die TUI ein paar Labs im BIT.

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Doch ganz brechen mit den Billigferien kann Mallorca vorläufig nicht. Denn die Massenurlauber sind unverzichtbar. Sie stellen zwar nur ein Drittel der Bettenkapazität, aber wegen der meist kürzeren Urlaube stellt die Gruppe immerhin fast die Hälfte der Reisenden. Damit sind sie die Basis für den gehobenen Tourismus und den Weg in andere Wirtschaftszweige, sagt Professorin Zech: „Vor allem die einfachen Touristen sorgen dafür, dass es viele Flüge gibt und die Insel sowohl für Premiumurlauber wie Unternehmen und ihre Investoren gut erreichbar ist.“

Mehr zum Thema: Mit dem Ende Reisewarnungen für wichtige Ziele wie Mallorca kehrt der Optimismus zurück. Einige Branchenvertreter melden bereits einen Boom für den Sommer – und befürchten, dass sie der Buchungswelle nicht gewachsen sind.

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