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ARD und ZDF fehlt der Bezug zur Realität

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Die Coronakrise hat die Medien hart getroffen – mit Ausnahme der Öffentlich-Rechtlichen. Doch die wollen höhere Gebühren einklagen. Echt jetzt?

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Die letzten Tage vor einem Machtverlust waren noch nie einfach. So schwebt Noch-US-First-Lady Melania Trump im Raumschiff Weißes Haus über Washington und droht die Orientierung zu verlieren. Kürzlich hoffte sie, „dass dieser private Raum zukünftigen Präsidentenfamilien als Ort der Entspannung und Versammlung dienen wird“. Es waren ihre begleitenden Worte zur Eröffnung eines präsidialen Tennis-Pavillons – mitten in einer Pandemie, die unzählige Amerikaner das Leben kostet.

Doch in den Disziplinen Realitätsverlust und Schlechtes-Timing-in-der-Coronakrise treten die Trumps längst nicht mehr alleine an. Nun erhalten sie auch prominente Gesellschaft aus Deutschland. Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio wollen eine Beitragserhöhung vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen, die im sachsen-anhaltinischen Polittheater zur Freude der AfD blockiert wurde. „Schon jetzt müssen wir einen strikten Sparkurs verfolgen (...)“, begründet der Intendant des Deutschlandradios Stefan Raue die Klage, „ein Ausbleiben der Erhöhung würde sich daher unweigerlich auf die Programmgestaltung auswirken.“

Da kommen den privaten Medienmachern die Tränen – vor Lachen. Denn Budgeterhöhungen kennen sie nur aus Erzählungen. Sparkurse gehören zur Routine. Und die Pandemie kostet sie unzählige Werbemillionen. Trotzdem funktioniert die „Programmgestaltung“, und der systemrelevante Beitrag zur Demokratie wird gerne und gut geleistet.

Wer das acht Milliarden teure System der öffentlich-rechtlichen Medien hinterfragt, wird automatisch in die Nazi-Ecke gestellt. Doch das ist ein billiges Totschlagargument. Nur weil die teils rechtsradikale AfD aus durchsichtigen Gründen ARD und ZDF attackiert, darf die Kritik an einem durch Zwangsgebühren finanzierten Kanal nicht tabu sein. Diese Institutionen müssen den Dialog mit der Gesellschaft suchen und die Daseinsberechtigung ihres Programms belegen – Helene-Fischer-Shows inklusive. Die Verhandlung vor dem Verfassungsgericht bietet eine gute Gelegenheit.

Die Eidgenossen sind bereits einen Schritt weiter. Dort versuchte die Volkspartei vor vier Jahren per Volksabstimmung dem Schweizer Fernsehen als vermeintliche Plattform der Linken den Stecker zu ziehen. Das scheiterte zum Glück, aber der drohende Machtverlust war heilsam und erdete so manches TV-Sternchen. Bei Melania und Donald wartet die Welt leider noch auf diesen Effekt.
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Mehr zum Thema: Sachsen-Anhalt zwingt die Bundesländer mit dem vorläufigen Aus für die Beitragserhöhung, Reformen für ARD und ZDF anzugehen. ZDF-Intendant Thomas Bellut schockt das nicht.

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