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Der E-Tretroller wird völlig überschätzt Quelle: dpa

Der E-Tretroller wird völlig überschätzt

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Der größte Ärger der Deutschen ist das Pendeln. Doch dagegen hilft allein keine Mobilitätsrevolution, sondern nur eine andere Bau- und Steuerpolitik.

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Plötzlich scheint alles so klar. Wie Erleuchtete sollen sich sanft lächelnde Urbanisten durch die Metropolen bewegen und im Vorbeirollen alle Mobilitätsprobleme lösen. Der Infarkt trifft nicht mehr den Verkehr, sondern nur noch die Omas, die sich vor den neuen E-Tretrollern in Sicherheit bringen. Krankenkassen warnen vor den Schäden für die Volksgesundheit, die Begeisterung kennt dennoch keine Grenzen.

Das Phänomen passt zur Euphorie über die datengesteuerte und elektrische Mobilitätsrevolution. Egal, ob Uber, Sammeltaxis, Flugtaxis, E-Scooter oder E-Tretroller, die neue Bewegung verspricht die Überwindung alter Verkehrsprobleme. Der Stau wirkt in ihrer Erzählung wie von gestern.

Leider wirkt er nur so. Verstopfte Straßen gehören in Deutschland zum Alltag. Und das bleiben sie auch. Denn die neuen Angebote verändern zwar die Städte, entschärfen punktuell neuralgische Stellen, bringen Spaß, sind mitunter ökologisch sinnvoll und ein Milliardengeschäft. Doch das zentrale Verkehrsproblem lösen sie nicht: 18,4 Millionen Deutsche pendeln, das heißt, sie müssen vom Wohnort zur Arbeit in eine andere Gemeinde fahren. Die Entfernung beträgt im Schnitt rund 17 Kilometer. Spätestens im Winter oder bei Regen macht die keiner mit dem Tretroller. Die Menschen sitzen entweder zusammengepfercht in einer notorisch unzuverlässigen Regionalbahn oder im eigenen Auto im Stau. Hip ist diese Realität bis auf Weiteres gar nicht. Höchstens höllisch.

von Benedikt Becker, Stefan Hajek, Stefan Reccius, Dominik Reintjes, Christian Schlesiger

Eine fatale Gemengelage aus überhitzten Immobilienmärkten in den Städten, der Sehnsucht nach dem Eigenheim, dem Ende lebenslanger Anstellungen und massiven Steueranreizen macht es möglich. Das Zusammenspiel dieser Faktoren lässt die Anzahl der Pendler stetig steigen. Es ist die logische Konsequenz aus der Kollision zwischen dem Wunsch nach bezahlbarer Sesshaftigkeit und dem Zwang zum Jobnomadentum.

Hier kann der Hebel angesetzt werden. Das Wohnungsangebot in den Städten muss durch Verdichtung steigen. Das Haus im Grünen darf nicht länger verklärt und der Verlust von Lebenszeit auf Autobahnen nicht länger verdrängt werden. Vielleicht kommen ja mehr Firmen in die Zentren zurück. Und eine intelligente Pendlerpauschale kann auch keine Rocket Science sein.

Je näher Wohn- und Arbeitsort der Deutschen beieinander liegen, umso glücklicher werden sie sein. Immer ein sanftes Lächeln auf den Lippen – wie die Erleuchteten auf den Tretrollern.

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Mehr über den Kampf um Deutschlands Straßen lesen Sie in der großen Analyse der WirtschaftsWoche.

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