"Baur au Lac"-Chef "Grenzen auf dem Weg in die Zukunft sind nicht wirklich hilfreich"

Selten beeinflusste Politik das Geschäft so wie derzeit. Was macht das mit einem Hotelier, der wie kein Zweiter von einer offenen Welt lebt? Antworten von Wilhelm Luxem vom 5-Sterne-Hotel "Baur au Lac" in Zürich.

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Hotelchef Wilhelm Luxem. Quelle: Christian Schnur für WirtschaftsWoche

Herr Luxem, der Franken-Schock, die Einwanderungsdebatte, nun Streit um Freihandel und eine abgehobene Elite, über allem die Digitalisierung und am Wochenende auch noch das Nein der Schweizer zu einer verlässlichen Konzernbesteuerung – durch wenige Geschäftsmodelle laufen so viele politische Konflikte wie durch Ihres. Wie geht es Ihnen?

Politische Ereignisse erzeugen Unsicherheiten und da spüren wir schon, dass viele Menschen in einer Abwarte-Haltung sind. Wenn Sie aber wie wir eine Familie, die seit 1844 dieses Geschäft betreibt, im Hintergrund haben, sehen Sie manche Dinge etwas anders. Sie sehen dann die langen Linien. Sie wissen, dass dieses Haus zwei Weltkriege überlebt hat; hören, dass während des zweiten Weltkrieges hier im Innenhof Kartoffeln angebaut wurden. Ich denke, da sind wir derzeit noch nicht. So gesehen rücken die langen Linien hier manches ins rechte Lot. 

Sie möchten bestreiten, dass das Geschäft politischer geworden ist?

Ich möchte bestreiten, dass es Grund für Angst gibt. Vorsicht und aufmerksamer Blick auf das Weltgeschehen sind unser tägliches Geschäft, seit 173 Jahren. Heute geht alles etwas schneller, hat jedes Ereignis das früher vielleicht lokal begrenzt war globale Sichtbarkeit, oft auch Auswirkung. Dem kann man sich nicht entziehen, aber durch angemessenes Handeln stellen, um auch Chancen nicht zu verpassen. 

Zur Person

Die Schweiz dem „Trend“, sich vor Einwanderung abzuschotten, vorweg. Sie haben Mitarbeiter aus 60 und Gäste aus vermutlich noch mehr Nationen. Wie wirtschaftet es sich da, wenn eine Gesellschaft die Grenzen dicht machen möchte?

Dass die Schweiz die Grenzen schließt, ist ein falsches Bild von außen. Die Schweiz ist ein sehr offenes Land. Und die Politik hier ist sehr pragmatisch. Die Menschen übrigens auch. 

Sie haben keine Sorge vor einer Rückkehr in eine vor-globale Gesellschaft?

Das Land braucht ausländische Arbeitskräfte. Was jetzt hier und da aufkommt, sind politische Momentaufnahmen, die aus einer Verunsicherung über die Kurzfristigkeit des Seins entstehen. Die Menschen werden erkennen, dass Grenzen auf dem Weg in die Zukunft nicht wirklich hilfreich sind. Hotels waren schon immer Brückenbauer in der international verknüpften Welt. Sowohl auf Gäste- wie auf Mitarbeiterseite. 

1844gegründet und ist bis heute in Familienbesitz: Das 5-Sterne-Luxushotel Baur au Lac in Zürich. Quelle: REUTERS

Die zweite Herausforderung war die aufgewertete Währung. Wie geht man damit um, wenn einem die Geldpolitik über Nacht einen Strich durch die Kalkulation macht?

Als der Frankenschock die Schweiz überrollt hat, haben natürlich viele Gäste nach Rabatten gefragt. Wir haben dann zurückgefragt: was soll von den Dienstleistungen wegbleiben? Unsere Gäste haben das verstanden. Und das ist gut: Wenn das Fass einmal auf ist, kriegen Sie es nie mehr zu.  Zimmer-Preise gehen in Franken runter und in Rappen hoch. 

Dennoch sind die Preise in Ihrer gesamten Branche unter Druck.

Das ist eine kurzfristige Politik, die vielleicht gut gehen kann, wenn ich kurzfristige operative Ergebnisse suche. Langfristig ist sie für ein Unternehmen, das anders als viele in der Branche Immobilien- und Betreibergesellschaft gleichzeitig ist, tödlich. Ich entziehe mir damit ja die Investitionskraft für die kommenden Jahre. Sie müssen als jemand, der unternehmerisch Verantwortung trägt, starkes Rückgrat gegenüber dem Zeitgeist zeigen, wenn Sie langfristig bestehen möchten. 

Sie haben ein Gast-Mitarbeiter-Verhältnis von 290 zu 130. Wie rechnet und wie rechtfertigt sich das?

Rechnen muss es sich. Das kann es nur, wenn die entsprechenden Preise bezahlt werden. Aber das ist zu rechtfertigen. Es ist nämlich unabdingbar, wenn ich auf dem Niveau Leistung erbringen will. 

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Ist der Preis nicht viel mehr ein Distinktionsmerkmal, der einer globalen Elite erlaubt, sich hier abzuschotten?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das dagegen spricht: Wir betreiben einen Zeitungskiosk. Wenn ich einen Controller im Nacken hätte, wäre der Kiosk längt geschlossen, weil er sich durch den Zeitungsverkauf natürlich nicht trägt. Aber die erste Funktion ist gar nicht, den Gästen Zeitungen zu verkaufen sondern Ihnen ein Zuhause auf Zeit zu geben. Die langjährigen Mitarbeiter dort erkennen die Gäste sofort und können sie ansprechen. Kompetent und auf Augenhöhe. Andere Hotels nennen diese Abteilung Guest Relations. Dann kommen Gespräche zustande und es entsteht eine Emotionalität und Vertrautheit die so ein Haus wie das Baur au Lac prägt. 

Das ist letztlich aber vor allem Ihr Bauchgefühl, das so etwas entscheidet, oder?

Der Wert erschließt sich Ihnen sofort, wenn Sie dort einmal zuschauen: Die Damen dort, die machen das seit vielen Jahren. Sie kennen die Gästewünsche. Ein anderes Beispiel ist unsere Telefonzentrale. Andere Häuser lagern so etwas aus. Wir nicht. Wenn Sie hier drei, vier Mal waren, erkennen die  Mitarbeiter Sie am Telefon namentlich und sind in vielen Dingen und Abläufen mit dem Haus vertraut; können Auskunft geben. Wenn Sie das alles an Dienstleister auslagern, verliert das Hotel seine Seele. 

"Understatement ist ganz wichtig"

Haben Sie oder die Eigentümerfamilie einen festen Standard, den Sie bieten wollen oder folgt das der Gästenachfrage?

Wir haben keine Manuals, wo diese Dinge festgeschrieben sind. Das ist einfach ein permanenter Dialog. Ich in meiner Aufgabe als Direktor muss wissen, was für die Inhaber-Familie wichtig ist, wie sie denken, wie sie planen. Da wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, ist das gewachsen. Herr Kracht ist sehr offen für Neuerungen, er ist geradezu allergisch gegen museale Tendenzen. Das Erarbeitete ist unser Fundament, auf das wir stolz sind, aber wir müssen nach vorne schauen, das Gewachsene so neu interpretieren, dass man die Kontinuität sieht, aber wir bloß nicht museal werden. Die Gesellschaft ändert sich immerzu. Luxus interpretiert sich heute anders als vor zehn oder fünfzig Jahren. Und dem muss man sich immer wieder neu stellen. 

Deswegen haben Sie hier erfrischend wenig Bling-Bling-Luxus?

Das ist in der Tat ein ganz ausgeprägtes Baur-au-Lac-Element. Understatement ist ganz wichtig. Wir brauchen hier eine subtile Qualität. Dem Schweizer ist Protz unangenehm. 

Wie stellen Sie sicher, dass Sie Geld verdienen und es mit dem Luxus nicht übertreiben?

Wir sind natürlich kein industrielles Unternehmen, keine Handelsware, die nach Angebot und Nachfrage die Preise gestaltet. Die Preisstruktur ist auf ein Niveau gewachsen, das notwendig ist, um auch betriebswirtschaftlich erfolgreich zu sein. Es gibt hier eine Regel, wonach jedes Zimmer alle sechs Jahre renoviert wird und beständig in die Infrastruktur und öffentlichen Räume investiert wird. Das ist eine so ungeheure Anstrengung, dafür müssen wir das Geld zunächst verdienen. Wir haben auf diese Weise in den vergangenen 15 Jahren 160 Millionen Franken investiert. 

Ohne Banken?

Ob mit oder ohne Banken, es muss verdient werden. Der Preis ist aber bei uns auch eine feste Größe. Das ist in unserer Branche nicht überall so, oft bietet man Tagespreise. Das lehnen wir strikt ab. Unsere Gäste können sicher sein, dass kein anderer Gast für das gleiche Angebot weniger zahlt, das schafft Vertrauen und spart dem Gast Zeit nach dem besten Schnäppchen für einen Aufenthalt im Baur au Lac zu suchen. Am besten er ruft direkt bei uns an oder bucht über unser Online Portal. 

Aber selbst Ihre Gäste vergleichen Sie auf Internetplattformen. Woanders bekommen sie individualisierte Preise. Die Welt ändert sich, der Gast ändert sich, Sie nicht. Das kann doch nicht funktionieren.

Ich glaube, dass es sogar noch besser funktioniert. Nehmen Sie die Preisgestaltung: Individualisierung der Preise führt ja dazu, dass das Hotel-Angebot zur Commodity wird. Der Gast geht nicht mehr in ein Hotel, in dem ihm das Angebot gefällt, sondern wo der Preis am besten ist. Das aber ist austauschbar. 

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Wohin gehen Sie, wenn Sie sich selbst einen Eindruck verschaffen wollen, was State of the Art ist?

Es gilt, die Augen aufzuhalten. Ich reise ja sehr viel. Wenn ich jetzt nach Tokio aufbreche, bin ich immer in anderen Hotels, suche Restaurants auf, manchmal zwei, drei an einem Abend. Wir haben enorm viel gereiste Gäste, da muss man international sehr breit schauen, um einen guten Überblick  zu haben. Ein Hotelier muss immer und überall sämtliche Sinne auf Empfang stellen damit er das was die Gäste sehen und Wahrnehmen nicht verpasst, möglichst vorher sieht. 

Woran erkennen Sie ein gutes Haus?

Oft sind das Details. Es ist in der Regel nicht das spektakuläre Restaurant sondern vielleicht eine kleine persönliche Notiz des Zimmermädchens oder des Concierges, die den Unterschied macht und dem Gast zeigt, dass man um sein Wohl besorgt ist. 

Wo finden Sie eigentlich noch die Mitarbeiter, die Ihr Verständnis von Luxus und das Ihrer Gäste in der heutigen Zeit mit Leben füllen?

Die jungen Leute müssen hier reinwachsen in eine Situation von Dienstleistung und Flexibilität. Da haben wir die glückliche Situation von zahlreichen langjährigen Mitarbeitern, sozusagen Vollprofis mit viel Erfahrung. Sie sind das Fundament auf dem neues wächst mit unseren ebenso zahlreichen jungen Mitarbeitern. Die ersten Gespräche, die ich mit jungen Leuten hier führe, sind ein Sensibilisierungsparcours: Es gibt keine schwierigen Gäste sondern nur anspruchsvolle Gäste. Und wenn jemand nicht zufrieden ist, dann müsst Ihr das sportlich sehen. Der Gast ist Sparringspartner, nicht Gegner. Aber das ist eine mentale Sache, die die jungen Leute erstmal verstehen müssen. Das ist in unserer Gesellschaft heute wirklich schwierig: Wir mögen alle Dienstleistungen, aber von der anderen Seite. Dienstleistung gilt als devotes Gewerbe. Das ist aber die falsche Einstellung. Wir sind selbstbewusst. Aber wir haben Freude daran, anderen Menschen Wünsche zu erfüllen. 

Deswegen geht der Trend massiv gegen Globalisierung

Werden Mitarbeiter, die zuvor in Konzern geführten Häusern gearbeitet haben, bei Ihnen glücklich?

Für junge Menschen ist es gut, beides zu sehen. Die Kettenhotellerie zeigt dem Nachwuchs Struktur neigt aber zur Standardisierung. In der Privathotellerie ist es sicher mehr Freestyle. Damit muss man aber auch umgehen können. Authentischer Gastgeber kann ich ja nur sein, wenn ich die entsprechende Persönlichkeit habe und vom Management den Rücken freigehalten bekomme. Es gibt sicher auch Menschen, die in starren Strukturen besser aufgehoben sind. Daher gilt es für uns immer, die passenden Talente zu finden. 

Zu einem erfolgreichen Familienunternehmen gehört langfristig eine intelligente Familienpolitik"

Gegen Ihr Modell spricht, dass Inhaber geführte Stadthotels durch Konzerne verdrängt werden.

Das liegt aber nicht am Geschäftsmodell. Zu einem erfolgreichen Familienunternehmen gehört langfristig eine intelligente Familienpolitik. Die meisten scheitern daran, dass der Generationenübergang nicht funktioniert. Dann ist schnell der Punkt erreicht, an dem man verkauft und dann kommen die Ketten. 

Was ist daran für den Gast eigentlich so schlimm: Ketten sind flexibel, bieten verlässlichen Standard.

Privatunternehmen neigen stärker zur Nachhaltigkeit, zum langfristigen Denken. Das Unternehmen als solches hat einen Wert, der nicht nur monetär zu sehen ist. Das heißt zum Beispiel, auch in schwierigen Zeiten mal die Luft an zu halten. Dann kann ich nicht sofort 20 Prozent des Personals entlassen und alles herunterfahren – der Gast hat ja die gleiche Erwartungshaltung. Wir haben 60 Prozent Stammgäste unter unseren Buchungen – das macht Mut den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. 

Richard Wagner soll hier in Ihrem Haus wesentliche Teile seines Werks geschrieben haben. Ist es noch denkbar, dass Sie heute Anlaufstelle für die Kreativen unserer Zeit sind.

Es war auch zu jenen Zeiten nicht nur der Herr Wagner hier zu Gast. Es war immer ein Umfeld aus sehr unterschiedlichen Menschen, die sich gegenseitig geistig befruchteten. Unsere Gäste sind weder freizeitorientiert noch berufsfixiert. Es sind sehr unabhängige Menschen. Und wir haben keine Ausrichtung auf eine Nationalität. Das hat den Vorteil, dass es die Abhängigkeit von Entwicklungen in einzelnen Ländern mindert, vor allem aber auch, dass nie ein Gast den Eindruck hat, er ist hier außen vor. Diese Kosmopolitische Atmosphäre ist etwas ganz besonderes. 

Ergibt sich diese ideale Mischung an Menschen von selbst oder muss man das – analog zu der Diskussion in der Politik gerade - steuern?

Das wächst so mit der Zeit und befruchtet sich immer aufs Neue. Aber sicher pflegen wir das durch aufmerksame Betreuung, den jeweiligen Mentalitäten und Kulturen entsprechend. 

Wie sehr haben Sie ihr Schicksal noch in der Hand, wenn man sieht wie Politik und einige wenig globale Tech-Konzerne ins Geschäft wirken?

Das am stärksten spürbare Element ist die Beschleunigung allen Handelns und der Einfluss neuer Technologien auf alle Bereiche des Lebens. Die Kurzfristigkeit, die reduzierte Planbarkeit. Das hängt mit Technologie zusammen. Es wird hier zum Beispiel deutlich weniger im Voraus gebucht, aber trotzdem sind wir nicht weniger ausgelastet. Wir leben in einer Welt der Kurzfristigkeit, der kaum planbaren Situationen. Die Herausforderung ist, damit klar zu kommen und neue Chancen rechtzeitig zu erkennen. Das ist in der Tat sehr spannend. 

Das scheint mir im Widerspruch zu Ihrer Langfristigkeit zu stehen.

Das ergänzt sich: Die Service Philosophie und der Fokus auf Qualität sind beständig. Entsprechend nachhaltig ist auch das Investitionsverhalten. Die Anpassung an Erfordernisse der Zeit hinsichtlich der Interpretation von Service und der Art der Investitionen, insbesondere hinsichtlich moderner Technologie, muss an den Wünschen der Gäste ausgerichtet bleiben. Bei internen Abläufen sollten Chancen durch technologischen Fortschritt für Effizienz genutzt werden. Dies schafft dann wieder Freiräume für den Dienst am Gast und für eine gesunde Betriebswirtschaft.

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