Es lief gut für Bayer in den vergangenen Tagen und Wochen. Endlich wieder mehr positive Meldungen – wie die, dass der Leverkusener Agrar- und Pharmakonzern dem Tübinger Biotechunternehmen Curevac hilft, Corona-Impfstoff zu produzieren – allerdings steht die Zulassung noch aus. Auch die Entwicklung und Vermarktung neuer Bayer-Medikamente gegen Prostatakrebs, Herz- und Nierenschäden kommt gut voran. Anfang dieser Woche punktete das Traditionsunternehmen zudem mit seinem Versprechen, in vier Jahren die Hälfte aller leitenden Positionen mit Frauen zu besetzen. Nur die Performance des hauseigenen Bundesligaklubs Bayer 04 lässt derzeit etwas zu wünschen übrig.
Nun musste Bayer das vergangene Jahr aber wegen milliardenschwerer Abschreibungen im Agrargeschäft mit einem Verlust von 10,5 Milliarden Euro abschließen. 2019 stand bei dem Unternehmen noch ein Gewinn von 4,1 Milliarden Euro zu Buche. Belastend wirkten sich auch Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten aus, wie Bayer am Donnerstag mitteilte. Der bereinigte Betriebsgewinn (Ebitda) stagnierte 2020 nahezu bei 11,46 Milliarden Euro. Im vierten Quartal verfehlte er mit 2,39 Milliarden, ein Minus von mehr als drei Prozent, die Analystenerwartungen von im Schnitt 2,45 Milliarden. Der Jahresumsatz schrumpfte wegen negativer Wechselkurseffekte um knapp fünf Prozent auf 41,4 Milliarden Euro. Für 2021 rechnet Bayer bereinigt um Währungseffekte mit einem Umsatz von etwa 42 bis 43 Milliarden Euro und einem bereinigten Betriebsgewinn von 11,2 Milliarden bis 11,5 Milliarden.
Und dann ist da natürlich noch der Monsanto-Glyphosat-Komplex. Zehntausende US-Kläger behaupten, dass Glyphosat krebserregend sei. Bayer bestreitet das mit Verweis auf zahlreiche Studien. Die Kläger waren allerdings vor mehreren US-Gerichten erfolgreich. Die Folge: Seit drei Jahren hat sich der Wert der Bayer-Aktie in etwa halbiert. Wie lange noch, fragen sich zahlreiche Aktionäre, denen Bayer-Chef Werner Baumann mit der Monsanto-Übernahme eigentlich eine Wertsteigerung versprochen hatte. Wann endlich ist das Glyphosat-Drama vorbei?
Im Juni vergangenen Jahres schöpften sie Hoffnung. Bayer hatte mit den Klägeranwälten einen Vergleich in Höhe von etwa zehn Milliarden Dollar ausgehandelt. Sind die Glyphosat-Rechtsrisiken erst einmal abgeräumt, so das Kalkül vieler Anteilseigner, könnte auch die Bayer-Aktie wieder durchstarten. Doch es kam anders: Der zuständige US-Bundesrichter Vince Chhabria lehnte einen Teil des Vergleichs ab. Chhabria war insbesondere unzufrieden damit, wie Bayer mit den zu erwartenden künftigen Klagen umgehen wollte. Die bestehenden Klagen – insgesamt 125.000 – hat Bayer dagegen größtenteils abgehakt: Bei etwa 90.000 Klagen konnte eine Einigung erzielt werden.
Was insbesondere die künftigen Klagen angeht, hat sich Bayer Anfang Februar mit den Klägeranwälten auf einen neuen Vergleichsvorschlag geeinigt, über den Chhabria nun erneut entscheiden muss. Am 31. März findet dazu nun eine wichtige Anhörung vor dem Richter statt; kurz danach dürfte die Entscheidung fallen.
Der Richter: präzise, fleißig, gnadenlos
Das Schicksal von Bayer hängt also – wie schon im Juni – von jenem Vince Chhabria ab. Der US-Bundesrichter aus Kalifornien, Anfang 50, wurde noch von US-Präsident Barack Obama nominiert. Sein Ruf ist tadellos. Er sei interessiert, präzise und fleißig, erzählen Juristen aus der Region San Francisco, habe aber auch eine kurze Zündschnur. Und dann könne er auch kompliziert sein und ungehalten werden. Chhabria gilt aber als einer, der keiner Partei etwas durchgehen lässt. Sowohl mit Bayer als auch den Klägeranwälten legte er sich bereits an.
Zu wenig Geld für künftige Klagen
Nach der Ablehnung durch Chhabria hat Bayer nun sein Angebot für künftige Klagen noch einmal erhöht – und bietet statt 1,25 Milliarden bis zu zwei Milliarden Dollar. Rund 1,3 Milliarden sind danach für künftige Ansprüche vorgesehen; etwa 200 Millionen sollen in Diagnoseprogramme für das Non-Hodgkin-Lymphom fließen – jene Krebsart, die angeblich, laut den Klägern, durch Glyphosat ausgelöst wird. Hinzu kommen weitere Ausgaben für entsprechende Forschung.
Bayer wollte zudem ein Wissenschaftsgremium einrichten, dass die Gesundheitsgefahren von Glyphosat bewerten sollte. Auch da stellte sich Chhabria quer. Denn künftige Kläger wären an das Urteil des Gremiums gebunden gewesen. In dem neuen Vergleichsvorschlag von Bayer und den Klägeranwälten ist davon jetzt keine Rede mehr. Die Erkenntnisse des Beratergremiums seien rechtlich nicht bindend, heißt es darin. Sie können aber in künftigen Verfahren als Beweismittel einfließen. Der Konzern erwartet, dass die Bewertung des Gremiums vor Gericht eine entscheidende Rolle spielen wird.
Ob das alles den Richter überzeugt? Schwierig. Der Mann hat schließlich schon mehrfach seine Unabhängigkeit bewiesen. Und selbst, wenn Chhabria einem Vergleich zustimmt – so ganz wird Bayer das Thema Glyphosat wohl nicht los. Weitere Klagen sind immer noch möglich. In Deutschland bereiten gerade, wie die WirtschaftsWoche Ende Januar berichtete, die Kanzleien Hausfeld und Tilp im Auftrag von Investoren Klagen gegen Bayer vor. Ihr Vorwurf: Bayer hätte bei der Übernahme von Monsanto das juristische Risiko erkennen und die Aktionäre entsprechend informieren müssen. Bayer hält die Vorwürfe für „unbegründet“, der Konzern habe „jederzeit im Einklang mit den Verpflichtungen und gemäß den geltenden Gesetzen gehandelt.“
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Mit Material von Reuters.