Wirecards langjähriger Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY) gerät wegen seiner Verstrickungen in den Bilanzskandal des Zahlungsdienstleisters noch stärker in Bedrängnis. Wie die WirtschaftsWoche aus Regierungskreisen erfuhr, sind die Ermittlungen der zuständigen Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) umfangreicher als bisher bekannt. Demnach hat die APAS zwölf frühere und aktuelle EY-Mitarbeiter ins Visier genommen, die an den Wirecard-Prüfungen beteiligt waren. Bisher war von sieben Verfahren die Rede.
Bei Verstößen gegen Berufspflichten kann die APAS Strafzahlungen oder Einschränkungen bei der Berufsausübung verhängen. EY hatte die Wirecard-Bilanz jahrelang ohne Beanstandungen durchgewunken, trotzdem klaffte ein Zwei-Milliarden-Loch darin. Wirecard war im Sommer 2020 insolvent geworden.
EY will nach „bestem Wissen und Gewissen“ geprüft haben
Ein Sprecher der APAS erklärte, die Behörde ermittle wegen „möglicher Berufspflichtverletzungen“ sowohl gegen das Unternehmen „Ernst & Young als auch zwölf natürliche Personen“, die für EY tätig waren oder sind. „Die Ermittlungen betreffen“ zahlreiche „Sachverhalte im Zusammenhang mit Abschlussprüfungen mehrerer Geschäftsjahre des ehemaligen Wirecard-Konzerns“, sagte der Sprecher. Zuletzt habe die Behörde im Dezember 2021 „ein weiteres Verfahren in Sachen Wirecard eingeleitet“.
Ein EY-Sprecher erklärte, der Prüfkonzern wolle sich wegen des „laufenden Verfahrens nicht“ äußern. „Bei Berufsaufsichtsverfahren handelt es sich um Standardvorgehen der APAS“, sagte der Sprecher. Die Behörde sei „bei Vorliegen von Auffälligkeiten gesetzlich“ dazu „verpflichtet“, solche Untersuchungen einzuleiten.
Keine Rechtsgrundlage für Musterverfahren gegen EY?
Die umfangreicheren Ermittlungen werden aus Sicht von EY zur Unzeit bekannt: Das Landgericht München I hat erst vor wenigen Tagen ein Musterverfahren gegen den Prüfkonzern zugelassen. Das soll mögliche Schadensersatzansprüche von geschädigten Wirecard-Anlegern klären. Der EY-Sprecher erklärte dazu, es gebe keine rechtliche Grundlage für ein Musterverfahren. „Diese Einschätzung wurde bereits in mehreren Entscheidungen des Landgerichts München bestätigt“, sagte er. Es sei „rechtlich unzutreffend“, dass nun die 3. Kammer des Münchner Landgerichts ein Musterverfahren zugelassen habe. EY prüfe, ob der Konzern dagegen vorgehen könne. Zudem hätten die EY-Mitarbeiter Wirecard „nach bestem Wissen und Gewissen“ geprüft.
Bereits am vergangenen Wochenende hatte die Staatsanwaltschaft München I den früheren Wirecard-Chef Markus Braun unter anderem wegen des Vorwurfs der Untreue und der Marktmanipulation angeklagt. Braun weist die Anschuldigungen zurück.
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