„Bild“-Chefredaktion muss gehen Was der Bild-Coup über Springers Pläne verrät

Axel Springer beruft die bisherige „Bild“-Chefredaktion ab. Und holt an ihrer Stelle zwei ehemalige Führungskräfte zurück. Was die Personalien über die bevorstehende „fundamentale Transformation“ der Gruppe verraten.

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Es klang nach einem Abschied mit Frust und Groll. Die Pläne für eine neue Redaktionsstruktur in der „Bild“-Gruppe seien nicht mit ihrer „Art des Journalismus“ vereinbar, teilte Marion Horn mit, als sie sich im November 2019 „auf eigenen Wunsch“ vom Axel-Springer-Verlag verabschiedete. Für eine Pressemitteilung – eine Textform, in der derlei Zwischentöne nicht üblich sind – waren das klare Worte: Offenbar hielt Horn nicht viel von den Plänen von Springer-Chef Mathias Döpfner, die „Bild“-Gruppe grundlegend neu aufzustellen.

Umso überraschender klingt die am Donnerstag verkündete Nachricht, dass Horn mit sofortiger Wirkung zur „Bild“-Gruppe zurückkehrt. Als neue Vorsitzende der Chefredaktionen der „Bild“-Gruppe steht sie nun an der Spitze genau jener Redaktionsstruktur, der sie vor etwas mehr als drei Jahren noch so skeptisch gegenüberstand. Mehr noch: Horns Rückkehr leite eine erneute „fundamentale Transformation“ ein, teilte Claudius Senst, Chef der „Bild“-Gruppe, am Donnerstag mit – „redaktionell, organisatorisch und kulturell“. Die bisherigen Chefredakteure Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz schieden aus ihren Rollen aus. „Für ihren Einsatz und ihre Leistungen danke ich ihnen sehr“, teilte Döpfner mit.

Dabei passt Horn auf den ersten Blick gar nicht ins Profil der neuen „Bild“-Chefin, die die meistgelesene deutsche Tageszeitung „auch in der Digital-Only-Ära“ an der Reichweitenspitze halten soll, wie es in der Pressemitteilung vom Donnerstag weiter heißt. Horn ist keine ausgewiesene Digitalexpertin. Genauso wenig wie der derzeitige „Focus“-Chefredakteur Robert Schneider, der ab Mitte April gemeinsam mit Horn die Doppelspitze bei „Bild“ bilden wird. Dennoch heißt es von Springer-Chef Mathias Döpfner, die Beiden „stehen für unsere Zukunft“. Was also verraten die Personalien über das, was Döpfner in den nächsten Monaten und Jahren mit „Bild“ vorhat? Was verrät die Abberufung der bisherigen „Bild“-Spitze über eine mögliche strategische Neuausrichtung?

Fest steht: Das dieswöchige Personalbeben an der „Bild“-Führungsspitze steht für eine „neue Qualität der Unberechenbarkeit“ seitens des Springer-Chefs, wie Mitarbeiter im „Spiegel“ lamentieren. Die zitierten Mitarbeiter dürften das kaum als Kompliment für Döpfner meinen – auch, wenn der Springer-Chef selbst es womöglich so lesen mag: „Ich bin unberechenbar, im besten Sinne“, brüstete er sich zuletzt in einem Porträt im „New York Magazine“. In einem dpa-Interview vom Januar lobte Döpfner seine „Selbstreflexion, um schnell den Kurs zu korrigieren, wenn sich eine Idee in eine falsche Richtung entwickelt“.

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Letztere Aussage bezog sich auf das Projekt „Bild TV“, das noch unter der Führung Julian Reichelts gestartet war und in seiner damaligen Form „im Rückblick nicht die richtige Idee war“, wie Döpfner im Januar einräumte. Die Abberufung von Claus Strunz, den einst Reichelt als Verantwortlicher für das Bewegtbildangebot in die Chefredaktion geholt hatte, ist insofern nicht überraschend. Alexandra Würzbach war im März 2021 anlässlich einer kurzzeitigen Freistellung von Julian Reichelt in die Chefredaktion gerückt. Sie gilt als wenig digitalaffin, nannte sich selbst in einer „Bild“-Dokumentation einmal eine „alte Print-Sau“. Und ihr eilt der Ruf einer Reporterin voraus, die manchmal über die Stränge schlägt. Auch über Würzbachs Abgang aus der Chefredaktion war intern schon länger gerüchtet worden.

Dass Döpfner Johannes Boie schasst, darf dagegen als eine große Überraschung gelten. Nicht einmal eineinhalb Jahre ist es her, dass der 39-Jährige den umstrittenen Julian Reichelt als „Bild“-Chefredakteur abgelöst hatte. Boie galt als „Anti-Reichelt“, eine Umschreibung, die er selbst nicht gern hörte, die aber auf den Kern von Döpfners damaliger Personalentscheidung zielt: Boie erschien geradezu wie ein Gegenentwurf zu seinem immerzu polternden Vorgänger: ruhig, besonnen, wohlüberlegt, ein bisschen zurückhaltend. Keiner vom Managertypus ‚alte Schule‘ eben, keiner, der Provokation zum journalistischen Funktionsprinzip erklärt. Und keiner, der sich selbst in den Vordergrund stellt: „Bild war Julian Reichelt“, hatte Boies Vorgänger nach seinem Abgang breitbrüstig von sich gegeben. Boie dagegen sagte dem „Spiegel“ noch im vergangenen Herbst: „Bild“, das seien über 500 Leute. Er sei „einer davon“.

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