
Kürzlich rief mich Herr Müller an, nachdem er einen WiWo-Beitrag zu Bilfinger gelesen hatte, und fragte, was er nun machen solle mit dem Aktienpaket. In das hatten der schwäbische Rentner und seine Frau 30.000 Euro vermeintlich sicher deponiert. Ich sagte, dass ich keinen Rat geben könne – außer einem: Der Strategie, einfach den Kauf- oder Verkauf-Aktionen des Bilfinger-Großaktionärs Cevian zu folgen und auf die klugen Entscheidungen des milliardenschweren Finanzinvestors zu vertrauen, solle er lieber nicht mehr folgen. Eine Strategie ist nämlich nicht mehr zu erkennen bei Bilfinger, vor allem keine kluge.
Es war fast eine gute Nachricht am Donnerstagmorgen, dass der Verlust des Konzerns 2015 nur knapp eine halbe Milliarde Euro hoch war – erwartet worden war noch mehr. Die Börse hatte das schon eingepreist und reagiert deshalb erst einmal moderat auf die Bad news: Die Aktie tendiert moderat abwärts Richtung 35 Euro. Herr Müller hat immerhin Glück gehabt, dass er für rund 50 Euro die Aktien erstanden hat und nicht vor knapp zwei Jahren, als Analysten seriöser Geldinstitute bei einem Kurs von fast 93 Euro schon die Schallgrenze 100 ins Visier genommen hatten.
Aber abgestürzt sind ja auch andere, tröstet sich heute vermutlich der damalige Bilfinger-Vorstandschef Roland Koch. Vielleicht ruft er auch noch an, und fragt, was er mit seinen eigenen Bilfinger-Aktien, die er auch viel zu teuer eingekauft hat, nun machen soll. Ich kann ihm nichts anderes sagen als Herrn Müller.
In der Mitteilung zum Rekordverlust sagt Kochs Nachfolger Per Utnegaard Sätze wie diesen: „Die Entwicklung in den Geschäftsfeldern entspricht der Prognose, die wir im Sommer aufgestellt hatten.“ Stimmt, das ist positiv: Nach insgesamt sechs Gewinnwarnungen kam es lange nicht vor, dass eine Bilfinger-Prognose ein halbes Jahr hielt.
Bilfingers Kandidaten-Karussell
Wer kommt in Frage für die Übernahme der erfolgreichen Gebäudemanagement- (neudeutsch Facility-Management, kurz FM) und Bau-Sparte des erfolgslosen Bilfinger-Konzerns? Seit in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass Bilfinger-Vorstandschef Per Utnegaard doch bereit ist, sein einziges Tafelsilber zu verkaufen, wird eifrig spekuliert über die potentiellen Kauf-Kandidaten. Hier – in alphabetischer Reihenfolge - die wiwo.de- Einschätzung, wer wirklich auf dem Kandidaten-Karussell sitzen könnte und wer nicht.
Der spanische Baukonzern hat das Gebäudemanagement seiner feindlich übernommenen deutschen Tochter Hochtief vor zweieinhalb Jahren an die französische Spie-Gruppe verkauft. Würde sich ACS-Großaktionär Florentino Perez nun bei Bilfinger zum Höchstpreis wieder in dasselbe Geschäft einkaufen? Kaum zu glauben. Es wäre eine Eigentor, das dem Unternehmer und Präsidenten von Real Madrid kaum zuzutrauen ist. Übernahme-Chance: fast null.
CBRE ist das weltweit größte Dienstleistungsunternehmen auf dem gewerblichen Immobilienmarkt. Der kalifornische Makler-Gigant mit 9 Milliarden Umsatz setzt aber lieber auf margenstarke Beratung als auf Arbeit im Blaumann. „Die geben Gebäudemanagementaufträge nach unten weiter und quetschen Unternehmen wie Bilfinger dabei aus“, beschreibt ein Branchenkenner das Geschäftsmodell von CBRE. Warum sollte der FM-Markt CBRE plötzlich reizen, fragt er rhetorisch. Übernahme-Chance: gering.
Hinter dem Schweizer Anlagenbau- und Gebäudemanagement-Unternehmen steht die französische GDF Suez-Gruppe, die seit vergangenem Jahr Engie SA heißt. Für den Energie-Giganten mit 75 Milliarden Umsatz wäre der Milliarden-Kauf in Deutschland ein Klacks. Dagegen spricht: Eigentlich will Engie wegen der gesunkenen Öl- und Gaspreise seine Investitionen zwar deutlich zurückschrauben. Dafür spricht: Eine Investition in das solide FM-Geschäft würde gerade deshalb gut passen.
Wiederum gegen den Milliardenkauf spricht, dass die französische Unternehmenskultur weniger Freiräume bietet als sie der starke Bilfinger-FM-Chef Otto Kajetan Weixler gewohnt ist. Übernahme-Chance: man soll nie nie sagen.
Das Unternehmen ist besser bekannt als Jones Lang La Salle und wie CBRE einer der ganz großen Immobilienmakler und –dienstleister weltweit. Auch für JLL mit seinen rund fünf Milliarden Euro Umsatz ist zu bezweifeln, dass das Unternehmen seine Fertigungstiefe durch die reine Ausführung von Gebäudemanagment-Arbeiten durch die Bilfinger-Sparte so weit vergrößern will. Allenfalls kleine Teile von Bilfinger-FM und -Bau wären nach dem bisherigen Geschäftsmodell für die Amerikaner interessant. Übernahme-Chance: gering.
Die Londoner Dependance der US-Heuschrecke war wohl unter den ersten, die im vergangenen Jahr in Mannheim anklopften. Dass die Profi-Investoren wirklich bereit sein könnten, eine Milliarde Euro für den FM- und Baubereich zu zahlen, mochte Utnegaard angeblich zunächst kaum glauben. Ist offenbar aber so. Neben KKR gibt es wohl weitere Bieter aus der Private-Equity-Branche, die dringend gute Anlageziele sucht. Übernahme-Chance: der Top-Kandidat.
Die Milliarde Euro als Kaufpreis ist viel für den österreichischen Bauriesen, der unter dem Preiskampf in der europäischen Baubranche gelitten hat. Ein Insider sagt der WiWo: „Da hebt sich die Strabag einen Bruch“. Zudem: Die Wiener würden eine sehr homogene und selbstbewusste Sparte übernehmen, die sich nicht so einfach wie andere typische Strabag-Erwerbungen in die unter dem Deutschen Thomas Birtel agierende österreichische Gruppe integrieren ließe. Übernahme-Chance: unwahrscheinlich.
Siehe die Cofely-Einschätzung: Geld ohne Ende hat auch der französische Baukonzern. Das Häppchen Bilfinger wäre für den größten Baukonzern Europas kein Problem. Dagegen steht einzig die Frage, ob Vinci den FM-Chef Otto Kajetan Weixler, der schon unter Holzmann diesen Bereich führte und ihn aus der Holzmann-Pleite zu Bilfinger rettete, sich auf ein Arbeiten unter französischer Regie einließe. Die Bilfinger-Gebäudeprofis aber ohne ihren Kopf Weixler zu übernehmen, wäre eine Schwächung des Investments und schürte sicher auch Skepsis in der insgesamt 22 000 Mann starken Bilfinger-Sparte. Übernahme-Chance: nicht auszuschließen.
Für die Gebäudemanagement-Tochter des Familien-Unternehmens Wisser aus Frankfurt/Main ist der Bilfinger-Brocken einfach eine Nummer zu groß und die Euro-Milliarde Kaufpreis kaum zu finanzieren? Übernahme-Chance: minimal.
Aber dann sagt Utnegaard weiter: „Auf dieser Basis werden wir die strategische Neuaufstellung des Konzerns weiter vorantreiben.“ Welche Strategie meint er, fragt man sich zwangsläufig - und bekommt keine Antwort. Die im Oktober verkündete Strategie mit den zwei Säulen Gebäudemanagement und Industrieservice als Kerngeschäft? Oder eine noch nie beschriebene Strategie, bei der das Kerngeschäft Gebäudemanagement verkauft und der Konzern das desolate Geschäftsfeld Energieservice trotz heftigen Feilbietens nicht los wird?
Utnegaard will das Unternehmen „fit für die Zukunft machen“, erlaubt sich der seit einem halben Jahr amtierende Vorstandschef noch eine Super-Plattitüde. Fit? Zukunft? „Quo vadis Bilfinger?“ überschrieben IG Metall und IG Bau ein Flugblatt, das sie am Mittwoch verteilt und verschickt haben.
Die Neubesetzung im Vorstand und auf den darunter liegenden Ebenen habe bisher nicht zur Stabilisierung des Konzerns beigetragen, meinen die Gewerkschaften: „Im Gegenteil, die Unklarheit der Unternehmensstrategie und die damit einhergehende Verunsicherung der Beschäftigten ist so groß wie nie.“ Stimmt – und auch die von Herrn Müller.
Eine „Guidance für das Jahr 2016 sowie ein umfassenderes Bild der künftigen Unternehmensentwicklung“ will Utnegaard den Stakeholdern nun am 16. März nachliefern.
Mindestens einen weiteren Monat also, lieber Herr Müller, agiert Bilfinger wie schon seit zwei Jahren: im Blindflug. Soviel ist sicher, immerhin.