Bilfinger Roland Kochs erste schwere Krise als Vorstandschef

Ein Großprojekt nach dem anderen: Roland Koch hat bei Bilfinger zu viel auf einmal angepackt, werfen ihm interne Kritiker vor. Die Manager beklagen irrationale Vorgaben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Unter Erfolgsdruck: Die Börse erwartet wieder steigende Gewinne von Bilfinger – Konzernchef und Ex-Politiker Koch muss liefern Quelle: dpa

Roland Koch setzt eigenes Geld ein, um den Kurssturz der Bilfinger-Aktie zu bremsen. Zuletzt hatte der Chef des Mannheimer MDax-Konzerns beim Amtsantritt 2011 Aktien gekauft. 2014 griff er schon zweimal zu: im Mai bei 86 Euro und am 7. Juli bei nur noch 70 Euro.

Der jüngste Kauf erfolgte eine Woche nach der Gewinnwarnung, die den Bilfinger-Kurs auf Talfahrt geschickt hatte. Doch die investierten 50 000 Euro – nach 100 000 Euro im Mai – waren wohl zu homöopathisch, um die skeptisch gewordenen Börsenprofis zu beeindrucken. Inzwischen notiert die Aktie nur noch bei 65 Euro.

Koch, der Anleger, ist also im Minus. Koch, der Manager, ist es auch. Genau drei Jahre nach seinem aufsehenerregenden Wechsel von der Politik in die Top-Etage der deutschen Wirtschaft steckt der frühere hessische Ministerpräsident in der Krise.

Bilfinger Jahreszahlen 2013

„Mir war von Anfang an klar, dass mir auch mal richtig der Wind ins Gesicht bläst“, gibt sich der 56-Jährige jüngst in einem Interview abgeklärt, „und das ist jetzt der Fall.“ Allerdings wirkt der Macher ratlos. Er erwägt eine weitere Internationalisierung Richtung Südafrika und Mittlerer Osten für den zum Industrie-, Kraftwerks- und Gebäudedienstleister mutierten früheren Baukonzern. Aber das muss er erst einmal „im Vorstand entscheiden und im Aufsichtsrat erörtern“. Mitte November erst will Koch neue Mittelfristziele verkünden und damit „jene Fantasie wieder wecken, die im Moment aus der Aktie raus ist“.

Konzern als Großbaustelle

Strategisch drohen Bilfinger damit vier Monate Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig sind die 74 000 Mitarbeiter angesichts der Vielzahl laufender Umstrukturierungs- und Sparprogramme zunehmend desorientiert, frustriert und maximal unter Druck. Die Großbaustelle Bilfinger ist auch für Eingeweihte kaum noch überschaubar.

Wie sich die von Roland Koch gekauften Bilfinger-Aktien entwickelt haben. (zum Vergrößern bitte anklicken)

„Koch hat zu viel auf einmal angepackt und dabei das System so unter Stress gesetzt, dass Fehler passieren“, kritisiert IG-Metall-Vorstand Holger Timmer, der bis Mai im Bilfinger-Aufsichtsrat saß und inzwischen ThyssenKrupp kontrolliert: „Was bei Bilfinger in den letzten drei Jahren an Programmen gestartet wurde, hätte auch andere Organisationen an den Rand des Funktionierens gebracht.“

So soll das Strategieprogramm Best (Bilfinger Escalates Strength) unter anderem die „konzerninterne Vernetzung“ der 500 Bilfinger-Einzelunternehmen für „verstärktes Cross-Selling“ fördern. Dafür wird etwa eine komplexe Auftrags-Datenbank aufgebaut, von der ein Manager sagt: „Der Aufwand ist riesig, aber ich glaube nicht, dass das mehr Aufträge bringt.“

Hunderte Arbeitsplätze fallen weg

Während Best den Austausch fördern soll, verbreitet das Excellence-Programm vielerorts Misstrauen und Frust. Gedacht ist Excellence „zur Steigerung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit“. 1250 Jobs überwiegend in Deutschland werden dabei abgebaut. Die funktionierende Selbstverwaltung der bisher in München sitzenden Industrieservicesparte BIS, die fast die Hälfte des Bilfinger-Geschäfts steuerte, wird komplett demontiert. Das Management um den angesehenen BIS-Chef Thomas Töpfer wurde geschasst oder vergrault – zugunsten der Zentrale in Mannheim.

Gut war das bislang für Berater wie die Boston Consulting Group. Unter Koch sei „eine hohe zweistellige Millionensumme“ für Beratungsleistungen geflossen, verrät ein Insider. Ein anderer bestätigt, es seien 40 bis 60 Millionen Euro gewesen.

Wie man an der Börse die besten Chancen hat

Was die Einschnitte Bilfinger bringen, muss sich noch zeigen. Von einer „Operation am offenen Herzen“ spricht Gewerkschafter Timmer: „Wie viel Zeit bleibt den Mitarbeitern noch für die Kunden, wenn das Management sie zwingt, sich so viel mit sich selbst zu beschäftigen?“ Die Frage sei, „ob Koch die richtigen Prioritäten gesetzt hat, um Bilfinger weiter zu entwickeln“. Ein hochrangiger Bilfinger-Manager teilt Timmers Analyse: „Koch hat zu viel gleichzeitig gewollt. Die Energien werden innen vergeudet.“

Nun herrscht Chaos allerorten.

Die in München gekündigten Verwaltungsmitarbeiter gehen schneller als gewollt. Sobald sie neue Jobs haben, sind sie weg – und reißen Lücken. „Kollegen in Mannheim sollen ihre Funktionen übernehmen, ersaufen aber in Arbeit und finden keine Ansprechpartner mehr, die sie was fragen können“, klagt ein Mitarbeiter der ehemaligen BIS-Sparte. Neueinstellungen als Entlastung für die Mannheimer sind fraglich, weil gespart werden muss.

Nervosität an den Standorten

Rund 250 der 1700 Münchner Mitarbeiter sollen von fünf Standorten an einem zusammenrücken. „Aber wo in der Stadt, das sagt uns seit einem Dreivierteljahr kein Mensch“, schimpft der Bilfinger-Mann: „Da konkurrieren Interessen. Niemand haut auf den Tisch und entscheidet.“ Er attestiert „Führungsschwäche bis ganz oben“.

Ähnlich unsicher ist die Lage in Hamburg. Im Herbst 2013 verkündete Koch, die elf Bilfinger-Standorte dort sollten in möglichst einer Immobilie zusammengeführt werden, um Kosten zu sparen. Klingt vernünftig. Doch wo das sein wird, wissen die Bilfinger-Hanseaten bis heute nicht.

Auch im Ruhrgebiet herrscht Unsicherheit. In Oberhausen und Dortmund arbeitet gut die Hälfte der 1100 Mitarbeiter der Bilfinger-Kraftwerksparte. Ihr Auftragsmangel löste die Gewinnwarnung vor vier Wochen aus. Bis zu 300 der Power-Mitarbeiter müssen demnächst gehen – aber in welchen Betrieben und wer, das ist offen.

Gefunden sind die Standorte der Shared-Service-Center, in denen Koch Buchhaltung und Gehaltsabrechnung zusammenführt: 180 der Jobs sollen in Essen angesiedelt werden. Weitere 100 gehen vorläufig nach Eschborn bei Frankfurt – „bis über einen endgültigen Bilfinger-Standort in der Rhein-Main-Region entschieden ist“, teilt das Unternehmen mit. Viele Mitarbeiter stehen vor der Frage, ob sie umziehen sollen – auch rund 300 IT-Kräfte, deren 30 Standorte auf zwölf reduziert werden.

Niemand will die Wahrheit hören

Nervosität überall. Aber Koch – von den Erwartungen des 20-Prozent-Aktionärs Cevian Capital getrieben – will auch noch das Excellence-Programm beschleunigen. Das freut vielleicht die Börsianer. Doch die Basis fasst sich an den Kopf. Der Top-Manager einer Bilfinger-Tochter klagt: „Was bei uns an Vorgaben ankommt, ist irrational. Frühverrentungen und einvernehmliche Trennungen sind Vereinbarungen. Die kann ich nicht wieder aufschnüren und ein bisschen schneller abwickeln.“

Der Bilfinger-Verantwortliche berichtet, Planzahlen würden autoritär durchgedrückt: „Da will keiner mehr die Wahrheit hören.“ Ziele seien unrealistisch gewesen: „Irgendeiner hat sich in den Kopf gesetzt: Power macht zehn Prozent. Wir haben auf die Gewinnwarnung geradezu gewartet und uns gewundert, dass sie erst jetzt kam.“

Gehalts-Check für Roland Koch

Kochs Ad-hoc-Meldung kassierte dann Ankündigungen ein, die er ein paar Wochen zuvor bei der Hauptversammlung noch bekräftigt hatte. Deshalb sei die aktuelle schroffe Kurskorrektur der Bilfinger-Aktie „keine Sache, die sich in zwei, drei Wochen erledigt“, glaubt Ingbert Faust, Analyst bei der Frankfurter Investmentbank Equinet. Fausts Kollege Marc Gabriel von der Lampe Bank hält den Kurssturz zwar für übertrieben, sieht aber Koch „deutlich stärker unter Erfolgsdruck“.

Das Jahr der Entscheidung

Bisher hatte die Börse Bilfingers Wandel vom Bauunternehmen zum profitableren Industriedienstleister honoriert. Der zurzeit laufende Verkauf der Tiefbausparte ist der letzte Schritt dieser Metamorphose. Doch die Energiekonzerne als wichtige Kunden des neuen Dienstleisters stecken selbst in der Krise. Analyst Faust hält deshalb Kochs Plan, die Marge im Kraftwerkbereich 2016 wieder auf über acht Prozent zu heben, für „ambitioniert. Die Energiekonzerne werden Kosten senken, wo sie nur können – auch bei den Dienstleistern.“

Im ersten Quartal blieb Bilfinger nach allen Belastungen nur ein knapper Gewinn. Die Zahlen des zweiten Quartals, die Koch am 11. August vorlegt, werden kaum besser. Bilfinger müsste in den kommenden Monaten enorm zulegen, um 2014 noch einen substanziellen Nettogewinn zu erzielen – bei zunächst höheren Kosten durch zusätzlichen Jobabbau. Das wird schwer. Die Börse aber wartet auf bessere Auftragszahlen, auf wieder real verdiente Gewinne.

Ob Koch eine Amtsverlängerung gewährt wird, hieß es immer, entscheidet sich 2014. „Der Kursverlust“, sagt ein Weggefährte, „geht ihm tief unter die Haut.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%