Biotechkonzern Qiagen „Massenhafte Schnelltests könnten die Lage eher verschlechtern“

Im Interview zweifelt der Chef der Sparte Life Science beim Biotechkonzern Qiagen am Effekt der Schnelltests. Quelle: dpa

Kai te Kaat, Chef der Sparte Life Science beim Biotechkonzern Qiagen, zweifelt an der Fähigkeit der Bevölkerung, die verfügbaren Schnelltests richtig einzusetzen – und hofft auf einen anderen, großen politischen Wurf.

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WirtschaftsWoche: Herr te Kaat, schon bald sollen Corona-Schnelltests in unserem Alltag Einzug halten. Wie viel Freiheit dürfen wir uns davon versprechen?
Kai te Kaat: Nicht zu viel. Ich befürchte, dass die Schnelltests die Lage eher verschlechtern als verbessern. Weil die Leute negative Ergebnisse missverstehen als Freifahrtschein.

Genau das ist doch die Hoffnung! Was spricht dagegen?
Die Schnelltests sind zuverlässig - aber nur in eine Richtung. Wer da ein positives Ergebnis bekommt, der ist mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich infiziert. Aber wenn ich den Infektionsverlauf einer einzelnen Person mit solch einem Schnelltest verfolge, verpasst der Schnelltest bis zu 40% der Periode, in dem der Infizierte andere anstecken kann. Und die Gefahr ist, dass diese Personen ihr negatives Ergebnis missdeuten und sich besonders intensiv unter Leute mischen – und dann umso mehr Menschen anstecken.

Aber wie sollte die Bevölkerung denn dann mit den Schnelltests umgehen?
Das ist eine schwierige Frage. Klar, wer ein positives Ergebnis erhält, könnte sich frühzeitig isolieren und so Ansteckungen verhindern. Und auch wenn alle Menschen sehr regelmäßig die Tests machen würden, etwa alle zwei Wochen, hätten wir eine gute Chance, dadurch ein umfassendes Bild zu bekommen, wie verbreitet das Virus ist. Aber im Moment bin ich eher skeptisch: Ich glaube, der Schaden falsch verstandener Schnelltests wird ihren Nutzen übersteigen. Auf keinen Fall dürfen wir den Fehler machen, deshalb jetzt weniger PCR-Tests zu machen.

Sind die so viel besser?
Absolut. Allein schon, weil nur die PCR-Tests ein deutlich klareres Negativ-Ergebnis geben können. Verbunden mit der Sequenzierung gibt es uns die Möglichkeit, die Virusvarianten voneinander zu unterscheiden. Und das wird in den kommenden Monaten immer wichtiger werden.

Warum das? Die Mutationen sind doch ohnehin längst im Land.
Das stimmt, aber es werden bestimmt nicht die einzigen bleiben. Durch die wachsende Zahl an Impfungen gerät das Virus immer mehr unter Druck. Zugleich hat es durch die weite Verbreitung, die bereits vorliegt, ein enormes genetischen Repertoire, aus dem es auf Selektionsdruck reagieren kann.

Bisher scheinen die Impfstoffe auch mit den mutierten Varianten klarzukommen.
Aber das bedeutet leider nicht, dass es auch bei allen zukünftigen Varianten so sein wird. Wir werden deshalb die Teststrategie darauf anpassen müssen: Konsequent per Sequenzierung überwachen, welche Varianten in Deutschland vorhanden sind, und wie sich deren Häufigkeit verändert. Und sich darauf vorbereiten, eine gefährliche Variante auch effektiv zu managen.

Bisher werden zwischen fünf und zehn Prozent der Proben in Deutschland auf diese Weise genauer untersucht, um die konkrete Virusspezifikation erkennen zu können. Sowohl die Variante, die zuerst in England auftreten ist, als auch die, die in Südafrika auftauchte, konnte relativ schnell nachgewiesen werden. Genügt das nicht?
Man muss zwei Fälle unterscheiden: Die Virusüberwachung und das Management der infizierten Person. Für die Überwachung ist es vor allem wichtig, einen repräsentativen Anteil der Proben zu untersuchen, hierfür sind die 5 bis 10 Prozent eine gute Zahl und die Sequenzierung auch die Methode der Wahl. Damit kann ich aber kein Management der Infizierten machen.

Soll heißen?
Wenn eine gefährlichere Variante des Virus in Deutschland auftritt, muss jede positive Probe darauf getestet werden, ob der Infizierte diese Variante in sich trägt, um geeignete Handlungen zu ergreifen, wie zum Beispiel die Priorisierung in der Kontaktnachverfolgung oder Quarantänemaßnahmen. Gegebenenfalls auch differenzierte Behandlung. Und die Information muss praktisch zeitgleich mit der Diagnose vorliegen.



Das hieße aber auch, die Zahl der Sequenzierungen mindestens zu verzehnfachen.
Nicht unbedingt. Denn Identifikation bestimmter gefährlicher Mutationen muss nicht notwendigerweise über recht langsame Sequenzierung erfolgen, die dauert immerhin 3 bis 5 Tage. Sondern beispielsweise über spezielle PCR-Tests zur Genotypisierung, die als Zweittest erfolgen kann, und den machen viele Labore zur Sicherheit derzeit ohnehin schon. Viel aufwändiger wäre es, die Gesamtzahl der Tests deutlich zu steigern. Aber genau das müssten wir jetzt tun.

Warum denn das? Wir sind doch noch mitten im Lockdown.
Trotzdem wissen wir auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie zu wenig über die echte Virusverbreitung, wir rennen dem Virus hinterher. Das Problem dabei sind die völlig symptomfreien Verläufe. Wenn wir das Infektionsgeschehen wirklich verstehen wollen, dann müssten wir jeden Bürger zweimal im Monat testen. Rechnet man das auf die Zahl der nötigen Tests um, würde das eine Verzehnfachung bedeuten, von einer Million auf zehn Millionen.

Das klingt erstens unmöglich und zweitens unnötig: Wenn die massenweisen Impfungen kommen, werden wir das doch gar nicht mehr benötigen.
Die Machbarkeit wäre in der Tat eine große Herausforderung, möchte ich aber mit den richtigen Public-Private Partnerships auch nicht ganz ausschließen. Und bis die Impfungen soweit fortgeschritten sind, dass sie wirksam das Infektionsgeschehen verändern, dauert es noch. Wollen wir uns so lange den Lockdown leisten? Wir müssen auch wieder das normalere Leben ermöglichen, gleichzeitig aufpassen, dass wir über Varianten nicht eine neue Welle bekommen. Ich sehe keine Alternative zu einer stark ausgeweiteten Testung per PCR für die nächsten Monate, strikter Überwachung der Varianten per Sequenzierung, und, sollte der unglückliche Fall einer wirklich gefährlichen Variante auftreten, hierauf vorbereitet zu sein.

Was soll das heißen? Regelmäßige PCR-Tests bis in alle Ewigkeiten? Das kann sich doch nur ein Hersteller solcher Tests, wie Qiagen, wünschen.
Nein, wir können schon erwarten, dass wir mit solchen Maßnahmen effektiv das Virus bekämpfen können. Eine interessante Technologie, die meiner Meinung nach mehr Beachtung in diesem Zusammenhang verdient, ist die die Abwassertestung. Das wird bisher noch viel zu wenig thematisiert, aber das ist tatsächlich ein guter Weg, um zu erkennen, welche Viren in der Bevölkerung grassieren und wo Hotspots sind. Weil da unabhängig von Symptomen oder Testbereitschaft alles erfasst wird. Und da hat sich technologisch unglaublich viel getan in den vergangenen Jahren.

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Gibt es aus Ihrer Sicht eine realistische Perspektive, um in ein paar Monaten halbwegs normal mit dem Virus zu leben?
Durchaus. Wenn wir jetzt die Infektionen herunterbekommen, massenhaft und regelmäßig testen und parallel ein Monitoring der Abwässer beginnen, wie es das ja schon in Frankreich gibt. Den Rest erledigt dann hoffentlich die Impfung und bessere Therapien, die wir ja jetzt schon haben.

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