Boeing Der geplatzte Deal könnte ein Glücksfall sein

Fliegendes Streitobjekt - Boeing 737 Max auf einem Testflug. Quelle: REUTERS

Nach langen Verhandlungen will Ryanair nun doch seine Bestellung beim Unglücksflieger 737 Max nicht im großen Stil aufstocken. Doch die aggressive Absage könnte dem US-Flugzeughersteller am Ende sogar ganz recht sein.

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Boeing-Chef Dave Calhoun hat allen Grund sich zu ärgern, als ihm sein Großkunde Ryanair heute Morgen die Verhandlung zum Kauf von bis zu 250 Flugzeugen seines Mittelstreckenmodells 737 Max abbrach. Ryanair-Chef Michael O’Leary ließ den Deal über die neu verlängerte Version Max-10 mit einem Wert von laut Preisliste bis zu gut 30 Milliarden Dollar nicht nur einfach platzen. Er schickte noch hinterher, Calhoun und sein Konzern hätten keine Ahnung von den aktuellen Flugzeugpreisen und würden derzeit wirklich jeden Auftrag brauchen. 

Das wirkt wie ein Tiefschlag. Denn die Max hat nach zwei Abstürzen ein ramponiertes Image, so dass der Rüffel des Großkunden weitere Abnehmer verschrecken könnte. Und es ist nicht Calhouns einziges Problem im Passagierflugzeug-Geschäft. Von Boeings beiden Langstreckenmodellen hat der Dreamliner 787 schier endlose Produktionsprobleme und bei der neuen 777-X wackeln sowohl der Liefertermin als auch die Zahl der Aufträge. Darum ist es fraglich, ob sich das neue Topmodell je rechnet. 

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Trotzdem ist der geplatzte Deal für Boeing kein großes Problem. Denn der Konzern hat trotz der Absage des irischen Billigfliegers und weiterer Stornos immer noch gut 3.300 Bestellungen in den Büchern. Dafür sorgten nicht zuletzt Großaufträge wie der von Lufthansa-Partner United über 150 Exemplare. Das reicht angesichts der aktuellen Auslieferungszahlen für bis zu sechs Jahre Produktion.   
Den Amerikanern kann O’Learys ungewohnt harsche Mitteilung am Ende sogar ganz recht sein. Denn damit zeigt Boeing, dass sie sich selbst in der aktuellen Not beim Preis nicht beliebig drücken lassen - und schon gar nicht von jemandem, der sich wie O’Leary in der vorigen Woche damit brüstet, dass er fast jeden Preis bekommt. „Boeing hat dafür viel Zeit gebraucht, aber offenbar in den vergangenen Monaten genug Nachfrage und Selbstbewusstsein aufgebaut“, so ein Kenner des Flugzeugmarktes. 

Als Ryanair vor einem Jahr im beginnenden Herbstlockdown 75 Max-Jets kaufte, war das noch anders. Damals zahlten die Iren dem Vernehmen nach pro Stück nicht viel mehr als ein Drittel des Listenpreises von 121 Millionen Dollar. Und sie nannten die Jets demonstrativ nicht beim Boeing Markennamen 737 Max, sondern 737-8200. Das wiederum sorgte offenbar für Unmut bei anderen Kunden. „Alle, mit denen Boeing gerade sprach, wollten nun einen ähnlichen Preis – und wer gerade abgeschlossen hatte, verlangte Nachbesserungen“, so ein Kenner des Flugzeugmarkts. 

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Das fragt nun wohl erstmal keiner mehr. „Wir müssen Disziplin zeigen und Entscheidungen treffen, die Sinn machen für uns und unsere Kunden“, so ein Boeing-Sprecher. Beobachter deuten dies als Signal, dass neben Ryanair auch andere Kunden künftig mit weniger Rabatt rechnen können. 

Zwar lies O’Leary die Abfuhr nicht auf sich sitzen und vermeldete offenbar leicht beleidigt, der US-Hersteller würde die Fluglinien mit seinen „optimistischen Preisprognosen“ in die Arme seines Erzrivalen Airbus treiben. Doch Beobachter sehen den US-Hersteller unbeeindruckt. „Die Attacke zielte wohl eher an die Boeing-Aktionäre, die Calhoun im Sinne von Ryanair ins Gewissen reden sollen“, so ein Kenner des Flugzeugmarkts. Doch denen seien die bisherigen Rabatte ohnehin etwas hoch gewesen.

Boeing hilft, dass sich der Flugzeugmarkt in den vergangenen Monaten gedreht hat. Nicht nur, dass die Nachfrage nach Flugreisen und damit auch Flugzeugen wieder anzieht. Am Stärksten erholen sich die kürzeren Strecken innerhalb von Europa, den USA oder von China, auf denen vor allem Maschinen der Max-Größe fliegen. Dazu dürfte die Nachfrage nach den sparsamen Fliegern weiter steigen. „Angesichts der wachsenden Umweltauflagen kommen Fluglinien gar umhin, mehr neue Jets zu kaufen“, so der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Dabei kommen sie an Boeing kaum vorbei. Denn Airbus kann angesichts seiner knapp 4600 Bestellungen vom Max-Konkurrenzmodell A320neo derzeit nur mit Mühe neue Aufträge annehmen. 

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Darum vermuten Beobachter, dass gerade für O’Leary die Verhandlungen noch nicht vorbei sind – auch wenn er sie öffentlich als Zeitverschwendung bezeichnet. „Der öffentliche Schlagabtausch könnte wie eine Auseinandersetzung in einem Pub sein“, so ein Beobachter. „Zuerst schreit man sich an – und dann setzt man sich doch wieder an einen Tisch.“ 

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