WirtschaftsWoche: Herr Zengerle, Ihr Unternehmen plant, bis 2026 die Flotte massiv zu erweitern, von jetzt zwölf auf dann 23 Schiffe, von denen einige zudem deutlich größer als ihre bisherigen sind. Das Institut Allensbach ermittelte für die vergangenen vier Jahre hingegen eine konstante Zahl von Menschen, die sich für eine Kreuzfahrt interessieren. Wo nehmen Sie ihren Optimismus her?
Michael Zengerle: Die Umfrage nennt eine Zahl von 15 Millionen Menschen, die sich dafür interessieren und stellt aus unserer Sicht das langfristige maximal erreichbare Potenzial dar, auch wenn nicht jeder, der sich dafür interessiert, eine Kreuzfahrt antritt. 2016 wird unsere Branche dennoch erstmals wohl mehr als zwei Millionen Hochseekreuzfahrer aus Deutschland an Bord haben – das sind dann grob mehr als zwei Prozent aller Deutschen, da ist also noch ganz wahnsinnig viel Luft nach oben. Wir rechnen ganz klar damit, dass in den kommenden Jahren mehr Menschen eine Kreuzfahrt antreten werden, die das bislang noch nicht getan haben.
Was macht Sie so sicher, dass das für sie bislang erfreuliche Wachstum so stark zunimmt? Immerhin plant MSC die Verdoppelung der Bettenkapazitäten.
Wenn Sie als Grundlage nehmen, dass sich das Konsumverhalten von US-Amerikanern und Europäern in vielen Branchen stark ähnelt, dann gibt es Grund für Zuversicht. Der Anteil an US-Amerikanern, die eine Kreuzfahrt auf Hochsee antreten, ist mit etwa vier Prozent doppelt so hoch. Das kann unsere Branche unserer Ansicht nach mit deutschen Gästen ebenfalls hinbekommen. Dieses Jahr werden wir ungefähr 200.000 deutsche Gäste an Bord unserer Schiffe haben und wollen das auf gut 400.000 bis zum Jahr 2022 erhöhen. Und bis 2026 ist dann unser Kabinenangebot etwa verdreifacht und da spielt der deutsche Markt eine große Rolle. Er ist für MSC bereits der zweitwichtigste nach Italien.
Wie wollen Sie denn Menschen, die Kreuzfahrten nicht kennen oder gar Schiffsmuffel sind, dazu bewegen, es zu versuchen?
Es ist eine sehr komfortable Art, die verschiedenen Länder, die Kulturen und Landschaften kennen zu lernen. Nehmen Sie als Beispiel das westliche Mittelmeer: Da steigen Sie in Genua am Abend ein, essen abends an Bord, trinken einen Cocktail, sehen vielleicht die Show an Bord und dann wachen Sie in Rom auf und können sich die Stadt anschauen. Danach wachen Sie in Palermo auf und schauen sich die Stadt mit einem guten deutschsprachigen Reiseführer an, dann schwimmen Sie mit Delfinen auf Malta…
…begriffen, begriffen…
… so geht es sieben Tage lang. An Bord können sich Familien aufteilen, jeder seiner Wege gehen oder Dinge gemeinsam tun. Man ist zusammen, ohne sich auf die Nerven zu gehen. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist angesichts der vielen inklusiven Leistungen im Vergleich zu Urlaub in einem Ferienclub ausgesprochen attraktiv. Sie haben das Transportmittel, das Hotel, die Verpflegung, das Entertainment-Angebot alles in einem.
20 Millionen Euro Investition allein für Bühnentechnik
Wem wollen Sie denn die Kunden abspenstig machen? Die Zahl der Urlaubstage nimmt ja nicht zu. Den Hotelurlaub-Anbietern, Clubs, Studienreise-Anbietern oder Nordsee-Bädern?
Bei Neukunden sind alle Gruppen interessant. Wir wollen Familien etwas anbieten, ebenso wie Paaren die vielleicht luxuriöser reisen möchten und die bei uns im MSC Yacht Club - im „Schiff auf dem Schiff“ - einen besonderen Service und exklusive Bereiche vorfinden. Auf dem Schiff sind zu gleicher Zeit Urlauber mit verschieden Wünschen und Ansprüchen vertreten.
Buchen die Luxusverwöhnten nicht lieber gleich auf einem teuren Schiff wie der MS Europa oder einer Silver Cloud, um den Luxus ohne Einschränkung zu haben?
Die gibt es, aber bei uns bekommen sie zusätzlich durch die Größe der Schiffe beispielsweise das spektakulärere Entertainment-Programm. Wir arbeiten auf unserem neuen Flaggschiff MSC Meraviglia mit dem Cirque du Soleil zusammen und haben allein in die erforderliche Bühnentechnik 20 Millionen Euro investiert. So etwas funktioniert zum Beispiel nur auf Schiffen ab einer bestimmten Größe.
Wenn man sich als Kunde auf Youtube vor der Entscheidung für eine Kreuzfahrt ein paar Imagevideos anschaut, dann gleitet immer ein mehr oder weniger gleichförmiges weißes Schiff durch flaches Wasser, Poollandschaften erstrecken sich am Oberdeck, Kellner servieren feines Essen, Cocktailbars werden zum Club an Bord. Wenn ich Sie mit verbundenen Augen in ein Schiff bringen würde – woran würden Sie erkennen, dass es sich um eines von MSC Kreuzfahrten handelt?
Sie hören es. Sie werden nicht nur Englisch und Deutsch hören, sondern viele Sprachen. Wir sind ein europäisches Unternehmen für internationale Gäste und haben unsere Wurzeln in Italien. Wir haben sehr viele verschiedene Nationen an Bord, das schafft automatisch eine ganz eigene Atmosphäre. Ich behaupte, dass wir die einzige internationale Reederei sind, die so einen vielfältigen Gästemix hat. Einige Zahlen: Wir haben 15 Prozent italienischsprachige Gäste, 20 Prozent deutschsprachige, etwa 10 Prozent jeweils aus Spanien und Frankreich und dann folgen Amerikaner und viele andere Nationen.
Babylonische Verhältnisse als Unique Selling Proposition?
Nicht allein, denn diese Vielfalt erkennen sie unter anderem auch beim Frühstück wieder. Wir bieten den Menschen aus vielen Nationen die Dinge an, die sie wünschen. Sie riechen dann toskanischen Schinken und auch vielfältige Eierspeisen, aber natürlich ist auch Nutella an Bord.
Vollkornbrot?
Natürlich auch die Brotsorten, die deutsche Passagiere bevorzugen.
Fehlt nur noch, dass es auch Mettbrötchen gibt.
Beef Tatar gibt es an Bord - auch wenn ich es beim Frühstück zugegebenermaßen noch nicht gesehen habe. Aber dabei bleibt es ja nicht, wenn sie abends in die Sportsbar gehen auf einem Schiff mit einem großen Anteil an deutschen Gästen, dann läuft da auch die Sportschau.
Derzeit sind zwölf Schiffe bei Ihnen unterwegs, wonach suchen sich Menschen aus, welches sie wählen?
Die Schiffsgröße ist ein Thema. Unser neuestes Schiff, das ab Mai 2017 zu uns stößt, hat dann Platz für 5000 Gäste, da ist die Vielfalt an Restaurants zum Beispiel größer als auf einem Schiff mit der halben Kapazität. Auch die Route spielt immer noch eine große Rolle. Soll es lieber durch die Fjorde gehen, in die Karibik oder das Mittelmeer. Für den deutschen Markt ist auch hilfreich, dass wir Reisen ab Hamburg, Kiel und Warnemünde anbieten.
"Triest oder Bari sind auch schöne italienische Städte"
Ausgerechnet im Mittelmeer wird es eng, die Top-Destination Venedig ist für große Schiffe nicht mehr direkt anzufahren. Bereitet Ihnen das Probleme?
Wir als Reederei müssen uns den politischen Entscheidungen anpassen. Derzeit können wir dort mit einigen Schiffen unserer Flotte anlegen.
Die ganz großen und vor allem die von Ihnen geplanten Schiffe mit Platz für mehr als 5000 Passagiere dürfen nicht mehr dort ankern. Von denen bauen Sie aber gerade viele.
Das stimmt und unsere Schiffe der „Fantasia“-Klasse laufen Venedig nicht mehr an. Das sind die Regeln, mit denen wir umgehen müssen. Venedig hat eine besondere Ausstrahlungskraft, deswegen bieten wir es auch an. Wenn Reeder und die Stadt vernünftig miteinander kooperieren, dann wird die Stadt auch weiterhin ein attraktives Ziel für die Kreuzfahrtindustrie bleiben. Unsere neuen Schiffe setzen wir im westlichen Mittelmeer ein, was auch dem Markt entspricht.
Auch weil das östliche Mittelmeer mit Stationen wie Istanbul problematisch ist?
Da haben wir uns relativ schnell zurückgezogen, ebenso wie aus Ägypten und Tunesien. Das ist natürlich der Vorteil eines Schiffs. Wenn sie ein Hotel betreiben, können sie das nicht einfach verlegen. Wir ändern die Route. Für die Länder tut uns das leid, aber da müssen wir uns nach den Aspekten Sicherheit und der Nachfrage richten. Und die hat für diese Regionen nachgelassen. Sollte sie wieder steigen, müssen wir uns Alternativen überlegen.
Die da sein könnten?
Triest oder Bari sind auch schöne italienische Städte, es gibt die Alternativen. Aber auch griechische Inseln oder Athen kämen in Fragen.
Obgleich Ihre bestehende Flotte große Schiffe beinhaltet, werden Ihre kommenden Schiffe noch größer. Sie werden dann aber immer noch nicht die größten sein. Ist der Superlativ nicht wichtig für Sie?
Mit Größe können Sie mehr Vielfalt anbieten, das stimmt. Gleichzeitig ist Größe auch ein wirtschaftlicher Aspekt. Die größten Kosten, die Sie haben, sind die Investitionskosten. Schiffe dieser Größenordnung kosten inzwischen rund eine Milliarde Euro. Je größer, desto wirtschaftlicher sind sie. Aber nicht alle Häfen haben die nötige Infrastruktur, diese Megaliner abzufertigen. Deswegen achten wir darauf, dass unsere Schiffe nicht wesentlich länger werden. Derzeit bewegen wir uns bei 300 bis 315 Metern. Wir planen unsere Schiffe so, dass sie jeweils ein wenig breiter und höher werden. Einem immer größeren Wachstum müsste also auch eine Veränderung und Vereinheitlichung von Standards bei den Häfen vorangehen. Für uns als Anbieter ist es aber wichtiger, dass wir innovativ sind, beispielsweise bei Architektur und Design - und nicht einfach die größten.
"Wir sind ein Familienunternehmen, das unterscheidet uns"
Bislang sehen alle ziemlich gleich aus.
Das ändert sich aber. Unser Schiff MSC Seaside, das kommendes Jahr fertig gestellt ist, zum Beispiel setzt auf das Erlebnis Meer. Es ist so gebaut, dass die Nähe zum Wasser möglichst überall zu spüren ist. Das beginnt mit Restaurants und Cafés, die keine acht Meter über den Wasserspiegel eine Terrasse haben und so dem Gast das Gefühl großer Nähe zur Meeresoberfläche vermitteln.
In Ihren Broschüren weisen Sie auf die Umweltverträglichkeit Ihrer Schiffe hin. Sie betreiben ein Spendenprogramm für Unicef. Die derzeitig im Einsatz befindlichen Schiffe der MSC fahren jedoch unter der Flagge Panamas, die kommenden unter Maltesischer. Neben steuerlichen Vorteilen sind die Kreuzfahrtgesellschaften somit auch nicht an Arbeitsrecht und Tarife der Heimatländer gebunden. Es gibt immer wieder Berichte über ungleiche Bezahlung und lange Arbeitsstunden. Werden hier nicht ökonomische Gründe auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen?
Wir sind ein Familienunternehmen, das unterscheidet uns von den drei Gesellschaften, die noch vor uns liegen und börsennotiert sind. Wir wissen, dass die Mitarbeiter ganz wichtig sind. Gäste erwarten guten Service – den können Sie nicht anbieten, wenn die Mitarbeiter nicht zufrieden sind. Happy crew, happy guests. Niemand wird gezwungen auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. Ein ganz großer Anteil unserer Crewmitglieder arbeitet schon sehr lange bei uns. Und wir benötigen natürlich bei unseren Wachstumszielen zukünftig mehr. Aber alle haben freie Tage. Diese Geschichten von Mitarbeitern, die 20 oder 24 Stunden durcharbeiten, die als Gerücht kursieren, gibt es nicht. Es gibt weltweite Standards, an die wir uns halten.
Die nur eben aus der Perspektive deutscher Arbeitnehmer sehr arbeitgeberfreundlich sind.
Unsere Mitarbeiter werden alle angemessen bezahlt, sonst würden sie nicht zu uns kommen.
Diese Kreuzfahrtschiffe werden 2015 ausgeliefert
Reederei: P&O Cruises
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 591,9
Reederei: Aida
Werft: Mitsubishi HI
Kosten in Mio. €: 477,3
Reederei: Royal Caribbean
Werft: Meyer Werft
Kosten in Mio. €: 690,7
Reederei: Tui Cruises
Werft: STX Finland
Kosten in Mio. €: 392,4
Reederei: Viking Ocean Cruises
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 271,9
Reederei: Norwegian CL
Werft: Meyer Werft
Kosten in Mio. €: 661,3
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Angemessen ist relativ für Menschen, die aus Nationen kommen, in denen 500 Euro im Monat wahnsinnig viel ist.
Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Mitarbeiter an Bord auch kostenfrei wohnen und verpflegt werden. Es gibt gute ärztliche Versorgung. Auch die Zeiten der großen Mannschaftsräume sind vorbei auf den modernen Schiffen. Wir haben kleinere Einheiten mit Einzel- und Zweibettbelegung. Auch wenn es einige Nationalitäten gibt, die sich gerne in einer größeren Gruppe aufhalten.
Wäre es neben dem Verweis auf Umweltschutz und Spendenprogramm nicht sinnvoll, auf allen Schiffen den Mitarbeitern einen Mindestlohn zu zahlen, um das Gehaltsgefälle an Bord zu minimieren und damit Diskussionen um Arbeitsbedingungen entgegenzutreten? More happy crew, more happy guests?
Vielleicht ist es sinnvoll, auch bei diesem Thema proaktiver vorzugehen. Andererseits hat auch das Crewmitglied beim Gehalt steuerliche Vorteile. Auch haben alle Mitarbeiter eine Pause, die zwischen zwei bis drei Monaten lang ist, bevor ein Crewmitglied wieder an Bord kommt. Glasklar, Gehalt ist relativ, aber wenn unsere Mitarbeiter nicht gerne wiederkämen, hätten wir ein Problem. Ich denke, die modernen großen Reedereien bezahlen die Mitarbeiter fair.