Brexit-Folge Spediteure: Großbritannien als „Gelegenheitsziel“ unattraktiv

Die Dokumente eines Lastwagenfahrers werden von Eurotunnel-Mitarbeitern kontrolliert. Wegen der neuen Zollvorgaben verzichten viele Spediteure seit dem Brexit auf das Geschäft mit Großbritannien. Quelle: dpa

In letzter Minute hatten sich Großbritannien und die EU noch auf einen Brexit-Handelsvertrag geeinigt. Die Wirtschaft atmete auf. Doch gut ein halbes Jahr später gibt es noch erhebliche Probleme – mit Folgen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wegen der neuen Zollvorgaben verzichten viele Spediteure seit dem Brexit auf das Geschäft mit Großbritannien. Nur Unternehmen mit jahrelanger Expertise würden noch fahren, sagte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), berichtet die Deutsche Presse-Agentur. „Transportlogistikunternehmen, die nicht regelmäßig Ziele im Vereinigten Königreich ansteuern und ihre Expertise eher im Intra-EU-Bereich sehen, scheuen den zusätzlichen Aufwand und die Risiken für Transporte nach und aus dem neuen Drittland.“

Großbritannien ist zum 1. Januar 2021 auch aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt ausgetreten. Zwar gelang in letzter Minute noch die Einigung auf ein Handelsabkommen. Dennoch werden für viele Waren nun Zölle fällig, der bürokratische Aufwand etwa bei der Warenanmeldung oder wegen Arbeitsvisa für Fahrer ist deutlich gestiegen.

Die komplexe neue Vorschriftslage mache Großbritannien als „Gelegenheitsziel“ unattraktiv, sagte Engelhardt. Die Konsequenzen würde vor allem das Vereinigte Königreich zu spüren bekommen. Der BGL-Chef forderte sogenannte green lanes („Grüne Fahrbahnen“) zwischen der EU und Großbritannien, um schnellen und freien Warenverkehr zu ermöglichen.

Auch der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) berichtet von Problemen im Lieferverkehr mit Großbritannien. So fehle in Deutschland und anderen EU-Staaten sowie im Vereinigten Königreich weiterhin qualifiziertes Personal für die Zollabwicklung von Sendungen, teilte der Branchenverband mit, berichtet die dpa. Zwar hätten sich die Zollprozesse soweit eingespielt. Akut bereite der drastische Anstieg unerledigter Ausfuhrverfahren aber Probleme.

Viele Lastwagen gelangten unkontrolliert und damit ohne Erhalt einer Ausgangsbestätigung nach Großbritannien, sagte Jutta Knell, stellvertretende DSLV-Hauptgeschäftsführerin. Folge: Deutschen Exporteuren fehlt der zoll- und umsatzsteuerliche Nachweis über die Ausfuhr. Zudem hake es beim Export über Frankreich. Grund seien technische Defizite und fehlerhafte Anwendungen des dortigen IT-Verfahrens. „Als Konsequenz erwägen deutsche Logistiker bereits die Verlagerung ihrer Verkehre über niederländische Häfen, da die dortige Exportabwicklung nicht so fehleranfällig ist“, sagte Knell.

In Großbritannien haben der Brexit und die Corona-Pandemie die Lage deutlich erschwert. Dort fehlen nach Branchenangaben bis zu 100.000 Lastwagenfahrer, etwa weil Arbeitskräften aus Osteuropa seit dem Brexit die Visa zu teuer sind. Als erste Maßnahme hat die britische Regierung die Ruhezeiten gelockert – trotz scharfer Kritik der Branche. Die Regelung erhöhe lediglich den Druck auf die Fahrer, bringe aber nicht mehr Arbeitskräfte, sagte auch BGL-Chef Engelhardt.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Den europäischen Spediteuren kommt die Brexit-Lücke in Großbritannien aber nicht zugute. „Der grassierende Lkw-Fahrermangel hat ganz Europa fest im Griff“, sagte Engelhardt. Der BGL geht allein in Deutschland von 45.000 bis 60.000 fehlenden Fahrern aus. 30.000 Lkw-Fahrer gingen pro Jahr in den Ruhestand, doch wurden zuletzt nur 15.000 bis 20.000 Lkw-Führerscheine jährlich neu erworben. Die Lücke dürfte daher größer werden, sagte Engelhardt. Wenn nicht bald gegen den Mangel vorgegangen werde, drohe ein Versorgungskollaps.

Mehr zum Thema: Britische Touristen werden zum EU-Streitthema. Wegen der Delta-Variante kontrollieren Portugal und Spanien Briten jetzt strenger – für Berlins Geschmack aber noch nicht streng genug.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%