Brexit-Folgen Wird Großbritannien zum Urlaubsland?

Im Riesenrad London Eye auf die Themse blicken oder durch blühende Gärten im Süden streifen - Großbritannien hat vielfältige Reize. Das Rekordtief des Pfunds könnte nun Folgen für den Tourismus haben.

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Wie es nach dem Referendum weiter geht
Premierminister David Cameron Quelle: dpa
Artikel 50 Quelle: dpa
Der ungeregelte Austritt Quelle: dpa
Das Modell „Norwegen“: Quelle: dpa
Das Modell „Schweiz“: Quelle: dpa
Das Modell „Kanada“: Quelle: dpa
Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Wer in diesem Sommer nach Großbritannien reist, kann sich die Hände reiben. Der Absturz des britischen Pfunds macht den Aufenthalt dort billiger. Ein Lichtblick trotz der düsteren Prognosen vieler Wirtschaftsexperten für die Zukunft des Landes? „Tourismus und Freizeit können unter einem Brexit weiter wachsen“, sagte Nick Varney, Chef des Branchenverbands British Hospitality Association, kürzlich auf einer Fachkonferenz in London.

Einerseits könnten die Briten Experten zufolge künftig mehr Urlaub im eigenen Land machen. Andererseits locke der Absturz des Pfunds mehr Gäste aus dem Ausland an, meint Varney. Das Pfund als Krisenbarometer war nach der Entscheidung für einen Austritt aus der EU erstmals seit 1985 zeitweise unter die Marke von 1,28 US-Dollar gerutscht.

Anton Papenfuß aus Leipzig ist nach England gereist, um seinen Bruder zu besuchen: „Der macht jetzt seine Ausbildung hier.“ Er habe seine Reise spontan gebucht, unabhängig vom Brexit-Votum, erzählt der 27-Jährige. Aber das stark unter Druck geratene Pfund könnte solche Touren einfacher machen. „London ist extrem teuer.“ Papenfuß weiß, wovon er spricht. „Ich habe hier studiert und musste für einen sechs Quadratmeter kleinen Raum umgerechnet 700 Euro zahlen.“

Eine Kanadierin findet den Gedanken, jetzt mehr fürs Geld in Großbritannien zu bekommen, verführerisch. „Das kann mich beeinflussen, dort mal wieder Urlaub zu machen“, sagt die 19-Jährige bei einem Zwischenstopp auf dem Londoner Airport Heathrow.

Ist denn in der Metropole an der Themse schon etwas von einem vermehrten Gästeansturm in den vergangenen Wochen zu spüren? Ein britischer Touristenführer winkt ab: „Hier in London wird sich nichts ändern, hier ist doch schon jede Menge los!“ Verwundert sei er aber, wie viele Fragen vor allem die Besucher aus den USA zum Brexit stellten. Auch eine Angestellte eines Budget-Hotels ist gelassen: „Wir sind in den Sommermonaten sowieso immer ausgebucht.“

Großbritannien und die EU - eine schwierige Beziehung

Großbritannien sei kein klassisches Reiseland wie Spanien mit seinen Stränden, gibt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband zu bedenken. „Es ist eher ein Städte-, Studien- und Rundreiseziel.“ Mit einer Ausnahme: „Bei den Kurzreisen der Deutschen ins Ausland landete Großbritannien im vergangenen Jahr auf Platz 4 der Top Ten.“

London steht dabei hoch in der Gunst. 62 Prozent der Deutschen, die 2015 eine Kurzreise nach Großbritannien machten, wählten nach Angaben der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen die Multi-Kulti-Stadt an der Themse als Ziel. Niemand wisse, wie sich das britische Pfund weiter entwickle und den Tourismus im Vereinigten Königreich beeinflusse, betont Schäfer. „Letztlich ist das wie der Blick in die Glaskugel.“

"Wir müssen Europa entgiften"
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien muss Europa aus Sicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine „massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlierern“ in der Europäischen Union, sagte der Vizekanzler am Samstag in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Ob sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in Zukunft weiter positiv entwickle, hänge entscheidend davon ab, ob Europa „stabil und kräftig“ bleibe. Gabriel betonte, Deutschland sei „Nettogewinner“ und nicht „Lastesel der Europäischen Union“, wie oft behauptet werde. Der Blick der Welt auf Europa werde sich ohne Großbritannien in der EU verändern. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute - das sei „verheerend“, betonte Gabriel. „Da geht die Idee Europas verloren“ - und das erzeuge Wut und Verachtung. Der Zorn richte sich gegen das „Sparregime aus Brüssel“ und oft ebenfalls gegen Berlin. Klar sei daher, „dass wir Europa entgiften müssen“. Die EU sei von Anfang an auch als „Wohlstandsprojekt“ gedacht gewesen. Das gehöre dringend wieder stärker in den Fokus. Die EU-Schuldenländer brauchten mehr Freiraum für Investitionen in Wachstum, Arbeit und Bildung, forderte Gabriel. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den britischen Premierminister scharf kritisiert. Auf die Frage, was er davon halte, dass David Cameron erst im Oktober zurücktreten will, warf Schulz dem Premier vor, er nehme aus parteitaktischen Überlegungen erneut einen ganzen Kontinent „in Geiselhaft“. dpa dokumentiert den Wortlaut: „Offen gestanden: Ich finde das skandalös. Zum wiederholten Male wird ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Er hat vor drei Jahren, als er in seiner Partei unter Druck stand, den Radikalen am rechten Rand der Tories gesagt: Ich gebe Euch ein Referendum, dafür wählt Ihr mich wieder. Das hat geklappt. Da wurde ein ganzer Kontinent verhaftet für seine parteiinternen taktischen Unternehmungen. Jetzt ist das Referendum gescheitert. Jetzt sagt der gleiche Premierminister, ja, Ihr müsst aber warten, bis wir (...) mit Euch verhandeln, bis der Parteitag der Konservativen im Oktober getagt hat. Dann trete ich zurück, dann gibt's einen neuen Parteichef, der wird dann Premierminister. Also ehrlich gesagt: Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will. Ich finde das schon ein starkes Stück, das der Herr Cameron mit uns spielt.“ Quelle: dpa
Obama, Brexit Quelle: AP
Putin, Brexit Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: REUTERS
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erklärt, dass der Ausgang des Referendums „uns alle nur traurig stimmen kann“. In einer vom Präsidialamt am Freitag in Lissabon veröffentlichten Erklärung betonte das 67 Jahre alte Staatsoberhaupt aber auch: „Das Europäische Projekt bleibt gültig.“ Allerdings sei es „offensichtlich“, so Rebelo de Sousa, dass „die Ideale (der EU) neu überdacht und verstärkt“ werden müssten. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Quelle: dpa

Und andersherum: Können sich künftig weniger Briten eine Reise nach Deutschland leisten? Im vergangenen Jahr wurden laut Statistischem Bundesamt 2,56 Millionen Ankünfte und 5,54 Millionen Übernachtungen britischer Touristen in Deutschland registriert. „Das bedeute den vierten Platz im Ranking der Top-Quellmärkte“, sagt die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus, Petra Hedorfer.

Die ersten drei Plätze gingen an die Niederlande, Schweiz und USA. Die meisten Briten in Deutschland ziehe es nach Berlin - beliebt seien aber auch München, Frankfurt und Hamburg. Die Folgen eines Ausstiegs aus der EU seien noch nicht absehbar, meint Hedorfer.

Sollten die Briten tatsächlich in Zukunft genauer aufs Geld schauen müssen, dürfte das nach Einschätzung des weltgrößten Reisekonzern Tui vor allem die Branche auf den Balearen und Kanaren, in Griechenland, der Türkei und der Karibik zu spüren bekommen. Denn dorthin flögen die Briten bisher am liebsten. So sind sie nach Medienberichten die zweitgrößte Besuchergruppe in Griechenland und gaben dort in den letzten zehn Jahren über 16 Milliarden Euro aus, wie ein griechischer Fernsehsender meldete.

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