Brillenhandel Der unscharfe Markt

Optiker-Branche im Umbruch Quelle: dpa Picture-Alliance

Nulltarif, Marktdominanz und zaghafte Digitalisierung: Der Markt für Brillen wird von wenigen Akteuren bestimmt. Aus der - meist - nötigen Sehhilfe ist ein Accessoire geworden, bei dem Kunden für Prestige gern zahlen.

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Wer eine neue Brille kaufen möchte, braucht vor allem eines: Starke Nerven. Das beginnt bei der Auswahl des Gestells. Selten ist es mit dem Gang zu nur einem Optiker getan. Und wenn es ein Gestell sein soll, das möglichst wenig Kosten verursacht - sei es, weil man die Brille oft verliert, zerstört oder das Budget einfach nicht mehr hergibt, führt der Weg nicht selten zu Fielmann. Denn dort gibt es sie noch: Die Brillengestelle zum "Nulltarif."

Um den zu bekommen, braucht man auch im Verkaufsgespräch starke Nerven. Die Nachfragen nach den möglichen Verbesserungen der Linsen - Kunststoff statt Glas, Entspiegelung - gilt es so entschieden mit einem Nein zu retournieren wie ein Tennisspieler einen Angriffsball, wenn er am Netz steht. Sonst hat es sich schnell mit der preiswerten Lösung.

Am 1. Juni 2004 endete die Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen, Sehhilfen zumindest anteilig zu bezahlen - das sogenannte Kassengestell. "Diese Vergangenheit ist eine Besonderheit des Marktes für Brillen in Deutschland, die ihn noch heute beeinflusst", sagt Thomas Truckenbrod, Optiker in Leipzig und Vorsitzender des Zentralverbandes der Augenoptiker und Optometristen. Im Jahr vor der Gesundheitsreform erlebte die Branche mit einem Absatz von 11,5 Millionen Gestellen ein Rekordjahr - 2004 sank sie zurück auf 8,4 Millionen Stück, um sich nun peu a peu wieder auf knapp 12 Millionen Stück im Jahr hochzuarbeiten.

"Es ist gelungen, der Brille die Anmutung des Gesundheitsgegenstandes zu nehmen", sagt Truckenbrod. Immer häufiger kämen Menschen in sein Geschäft, um ein Brillengestell zu kaufen und Gläser ohne Sehkorrektur einschleifen zu lassen.
Paul Smith, Chanel, Armani, Tiffany, Bulgari, Ferrari oder Dolce & Gabbana - alle diese Marken liefern dem modebewussten Kunden ästhetische Gestelle. Doch bei genauer Betrachtung steht dahinter nur ein einziges Unternehmen: Luxottica. Der italienische Hersteller versammelt nicht weniger als 29 Marken unter seinem Dach. Dazu gesellen sich zwölf Optiker-Ketten in aller Welt. Gesteuert von Mailand aus, wo Leonardo Del Vecchio das Unternehmen 1961 gründete. Das Waisenkind Del Vecchio arbeitete sich so laut "Forbes"-Ranking zum reichsten Italiener empor. Sein Unternehmen beschäftigt heute 78.000 Mitarbeiter und machte 2015 einen Umsatz von knapp neun Milliarden Euro.

1999 übernahm Luxottica die Rechte an der Marke Ray-Ban (was übersetzt so viel wie Strahlenschutz bedeutet) vom einstigen Gründer der Marke, der Optikerkette Bausch & Lomb. Ray-Ban bildet zusammen mit Oakley eine Markenmacht, an der kaum ein Optiker vorbeikommt. Ohne diese Marken Kunden anzuziehen sei sehr schwierig. Die Gruppe, die wiederum vor Kurzem mit dem französischen Brillenglasspezialist Essilor fusionierte, diktiert den Händlern die Bedingungen. Entstanden ist ein Brillengigant mit einem Börsenvolumen von zusammen 46 Milliarden Euro vor der Fusion 2017, mehr als 140.000 Mitarbeitern, einem Umsatz von 15 Milliarden Euro aus Geschäften in 150 Ländern. Das Unternehmen besitzt damit etwa 30 Prozent Marktanteil, nachdem die EU-Kommission der in vier Jahren vorbereiteten Fusion im März dieses Jahres zugestimmt hat.

Mühselige Brillen-Anprobe daheim

Es scheint kaum möglich, ein Geschäft mit Brillen zu betreiben, ohne mit Luxottica/Essilor in Kontakt zu kommen. Das Online-Portal Brillaro aus dem sächsischen Annaberg-Buchholz versucht es - und weist auf seiner Homepage gesondert darauf hin, auf Gestelle aus dem Reich Luxottica zu verzichten. Man habe sich über die Preise der Brillen geärgert. Brillaro lässt stattdessen eigene Gestelle für deutlich geringere Preise fertigen. Optiker Matthias Haase rechnet auf der Webseite vor, dass eine Brille der ebenfalls zur Luxottica gehörenden Marke Oakley den Konzern in der Produktion ungefähr 25 US-Dollar koste, der Verkaufspreis aber bei rund 150 Dollar läge.

Dennoch sind Oakley und Ray-Ban führende Marken. Die gerade einmal zehn Jahre alte Optikerkette Mr. Spex, angetreten, um mit den Konventionen des Brillenhandels zu brechen, führt Ray-Ban als Nummer 1 in der Auswahlliste des Online-Shops. Auch die Nulltarif-Anbieter von Fielmann führen Ray-Ban neben einigen anderen Marken der Luxottica-Gruppe in ihren rund 600 Filialen in Deutschland. Mehr Geschäfte versammelt nur noch der Händler Apollo unter seinem Namen, 800 eigene und Franchise-Filialen sind in Deutschland in den Klein-, Mittel- und Großstädten zu finden - selbstverständlich mit Ray-Ban an Position 1 der angebotenen Marken.

Im Fahrwasser dieser Übermarke des Brillenhandels sind bei all diesen Händlern auch weitere Marken der Luxottica-Gruppe vertreten. Deren Marktstellung ist in den USA sogar noch ungleich größer als in Deutschland, dank Handelsketten wie Sunglass Hut, die deutsche Kunden am ehesten aus den Geschäften internationaler Flughäfen kennen.

Die Übermacht Luxotticas kann selbst die Digitalisierung des Handels, dem die Branche derzeit noch recht gelassen entgegensieht, nicht brechen. Noch ist der Online-Gigant Amazon nicht groß in das Geschäft mit Korrekturbrillen eingestiegen. Auch, weil eine Brille anders als Kleidungsstücke wirkt. Ein Gestell, das gefällt, muss nicht zwingend im eigenen Gesicht einen guten Eindruck hinterlassen. Das mögen Kunden bei Sonnenbrillen dieses Risiko vielleicht noch in Kauf nehmen. Sobald es aber um die Anpassung und Vermessung des Augenabstandes geht, sind reine Online-Händler überfordert. Mister Spex bietet eine Schablone für ein Lineal an, das der Kunde sich als PDF ausdrucken kann - um damit den äußeren Abstand der Brille zu messen, um so angeblich vier mal so gut treffsichere Modelltipps zu erhalten - etwas, das ein geübter Optiker beim Eintritt des Kunden ins Geschäft mit einem Blick und einem gezielten Griff ins Regal beherrscht.

Und die optischen Daten der Brillengläser sind damit noch nicht erfasst. Vom leichten Biegen eines Gestells zur Perfektionierung des Sitzes ohne unangenehmen Druck auf Nasenrücken und Ohren ganz abgesehen. Die neuen Marktteilnehmer brechen mit vielen Konventionen - den direkten Kontakt zum Kunden suchen jedoch auch sie. Flagshipstores in den Metropolen besitzen sowohl die Kette Viu wie auch Ace & Tate. Sie richten sich mit ihren Designs an ein modernes, modebewusstes Klientel, das eine Brille nicht erst ersetzt, wenn sich die Sehstärke um eine Dioptrie verändert hat, sondern wenn der nächste Trend eine Umgestaltung des Gesichtsauftritts erfordert.

Ein wenig bedienen sie sich dem Modell, das Fielmann mit seinem Nulltarif-Modell vorlebt: Ein fester, vergleichsweise niedriger Preis, der es den Kunden umso eher erlaubt, zur roten Jacke noch ein extra Gestell zu ordern.
Wie immer verbirgt sich der Teufel im Detail, Menschen mit einer Fehlsichtigkeit ab +/- 4 Dioptrien werden von Viu aufgefordert, die Pupillendistanz und Sichthöhe in einem der derzeit gerade mal 17 Stores in Deutschland ausmessen zu lassen. Wer kein Flash-Plugin nutzt, kommt schon am Rechner nicht weiter. Auch die Auswahl an Gestellen, die zu Hause anprobiert werden dürfen, ist auf vier Stück begrenzt.

Eine App, die Brillen per Virtual Reality passgenau auf ein Porträtfoto montiert, ist Zukunftsmusik. "Die Technik für die Auswahl einer Brille via App ist noch nicht ausgereift", meint Truckenbrod. Die stationären Optiker, von denen es immer weniger gibt, setzen derweil verstärkt auf Dienstleistung. Die beginnt bei der Vermessung der Augen, wie sie vor der Gesundheitsreform vor allem die Domäne der Augenärzte war. Mit immer aufwändigerer Technik soll der Kunde zur richtigen Sehstärke geführt werden.

Und wenn er dann noch bei Fielmann die Nerven behält, die Angebote für Kunststoffgläser, Entspiegelung, Kratzschutz und zu guter Letzt der Brillenversicherung ausschlägt - dann kommt zumindest das Gestell tatsächlich zum Nulltarif.

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