Bus, Bahn und Flugzeug Was Reisende in den Wahnsinn treibt

Wartende Reisende Quelle: Illustration

Heinz Klewe ist Chef der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Auf seinem Schreibtisch landen die ganz schwierigen Fälle. Er erklärt, was im Flieger, in Zügen und Fernbussen alles schief läuft.

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Herr Klewe, Air Berlin ist insolvent. Ist die Zahl der Beschwerden in diesem Jahr explodiert?
Heinz Klewe: Wir haben in der Tat so viele Schlichtungsanträge erhalten wie noch nie. Unter anderem deshalb, weil unternehmerische Probleme bei Air Berlin insbesondere im ersten Halbjahr die Beschwerden stark ansteigen ließen. Die folgende Insolvenz des Unternehmens hat viele Kunden hart getroffen und wir haben in den Monaten August bis Oktober viele Anrufe und E-Mails von Kunden erhalten, die wissen wollten, was sie nun tun können. Leider sind bei einer Insolvenz auch für eine Schlichtungsstelle die Möglichkeiten der Hilfe sehr begrenzt.


Sind die Deutschen insgesamt streitfreudiger geworden?
Das würde ich nicht sagen. Die Verbraucher wissen aber zunehmend um ihre Rechte und sind wohl auch sehr mobil. Zudem nimmt der Bekanntheitsgrad der SÖP zu. Die Streitenden schätzen die juristische Qualität der Schlichtung. Die Verbraucher schätzen, dass die Schlichtung für sie komplett kostenfrei ist. Wir erwarten bis Ende des Jahres rund 15.500 Beschwerden. Das wären 15 Prozent mehr als im Vorjahr – und damit ein neuer Rekord.

Was bringt die Reisenden denn auf die Palme?
Im ersten Quartal haben wir fast 50 Prozent mehr Beschwerden insbesondere bei den Fluggesellschaften registriert. Offensichtlich konnten einige Airlines in den Wintermonaten nicht die notwendige und von den Reisenden geforderte Qualität liefern, so dass es zu Verspätungen und Flugausfällen kam. Dann streiten sich Kunde und Unternehmen darum, ob das Verkehrsunternehmen für die Verspätung verantwortlich war oder nicht. Hier kann die außergerichtliche Streitbeilegung schnell und unbürokratisch helfen - zum Nutzen beider Parteien.

Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern


Und wer hat meistens recht?
Eine pauschale Antwort ist auf diese Frage nicht möglich. Nehmen Sie das Beispiel Krankmeldungen. Wird ein Pilot krank, sollte eine Airline in der Lage sein, rechtzeitig Ersatz zu holen. Eine stornierter Flug wäre dann wohl eher dem Unternehmen anzulasten. Wenn aber die Krankmeldungen des fliegenden Personals von einem auf den anderen Tag massenhaft zunehmen, ist dem Unternehmen kaum ein Vorwurf zu machen, wenn dieses alles versucht hat, den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten. Da muss, wie immer bei unserer Arbeit, jeder Einzelfall geprüft werden.

Muss der Gesetzgeber da ran?
Sicherlich wäre es hilfreich, wenn die Rechtsgrundlage insgesamt etwas klarer wäre. Beim Fliegen und Bahnfahren ist es die Ankunftsverspätung, die zählt, bei den Fernbussen die Abfahrtsverspätung. Manchmal ist pauschal zu entschädigen, manchmal prozentual vom Ticketpreis. Bei der Bahn muss bei höherer Gewalt entschädigt werden, bei anderen Verkehrsmitteln wie dem Flugzeug wiederum nicht. Insoweit ist der Verkehrsträger übergreifende Ansatz der SÖP bestens geeignet für die Verbraucher, Klarheit im Fahrgastdschungel zu schaffen. Mit großem Erfolg: in rund 80 Prozent der Fälle finden wir eine einvernehmliche, beide Parteien bindende Lösung.

Auch bei Ärger mit der Deutschen Bahn?
Bei den Bahnen sind die Beschwerden in diesem Jahr wieder gestiegen, nach drei Jahren zurückgehender Beschwerden. Das dürfte zwei Gründe haben. Zum einen hatte die Deutsche Bahn in diesem Jahr durchaus Qualitätsprobleme zu melden. Zum anderen fahren aber auch immer mehr Leute mit dem Zug. Da kommen dann nahezu automatisch mehr Beschwerden auf die Unternehmen und auf die SÖP zu.

Die Top-Beschwerdethemen der Deutschen


Und was sind die Top-Themen, die Fahrgäste zur Verzweiflung treibt?
Auch im Schienenverkehr sind Verspätungen und Zugausfälle der Hauptgrund für eine Beschwerde. Dann geht es etwa darum, ob ein Kunde die Taxifahrt erstattet bekommt, wenn er wegen einer Verspätung seinen geplanten Anschlusszug nicht erreicht hat. Auch das ist in jedem Einzelfall zu prüfen.


Wie sollte sich ein Kunde in so einem Fall verhalten?
Im Idealfall bespricht er sein Problem vor Ort mit einem Servicemitarbeiter. Zum Beispiel sollte er in einem solchen Fall nach einem Taxigutschein fragen. Ist das nicht machbar, hat der Reisende in vielen Fällen die Möglichkeit der Weiterfahrt mit dem Taxi. Für spätere Erstattungsansprüche kann es sehr hilfreich sein, wenn ein Gestrandeter sein Taxi mit anderen Reisenden teilt. Das zeigt dem Verkehrsunternehmen, dass es dem Reisenden nicht um den bequemen Rückweg ging, was eine Lösung zumeist erleichtert.

Im Prinzip sind die Fahrgastrechte bei Zugfahrten eindeutig. Bei Verspätungen von 60 Minuten erhält der Fahrgast 25 Prozent des Ticketpreises zurück, ab 120 Minuten gibt es 50 Prozent. Warum sind da überhaupt Schlichtungsstellen nötig?
Es kann immer mal was schief laufen. Aber es gibt auch andere Probleme von Reisenden. Rund zehn Prozent der Beschwerden gibt es zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bahncard. Da hat ein Kunde beispielsweise vergessen zu kündigen und hofft, aus dem Jahres-Abo raus zu kommen. Mitunter bekommen wir auch sehr absurde Beschwerden – allerdings erfreulich selten.

Wie sich der Fernbusmarkt aufteilt


Ein Beispiel bitte...
Ein Reisender hat mal ein Jahr lang jede Minute Verspätung mit dem Zug akribisch notiert. In der Summe kam er am Jahresende auf drei Tage Verspätung. Dafür wollte er entschädigt werden. Solche Probleme bereichern das Schlichtungsportfolio, sind aber einer Schlichtung nicht zugänglich.

Seit 2015 können sich Reisende bei Ihnen auch über die Leistung von Fernbussen beschweren. Wie fällt die Bilanz aus?
Die Beschwerdezahl ist stark gestiegen, aber absolut gesehen auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Hauptbeschwerdegrund ist hier das Thema Gepäck. Beschädigungen, Verlust aufgrund eines vertauschten Koffers oder aber aufgrund von Diebstahl. Auch hier finden wir fast immer eine Lösung, der die Verbraucher und die Unternehmen zustimmen.

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