Chaos in der Luftfahrt Darum brauchen Passagiere auch 2019 viel Geduld

Flug-Chaos auch im Jahr 2019 zu erwarten Quelle: dpa

Trotz aller Versprechen müssen Flugreisende auch in diesem Jahr mit reichlich Pannen und Verspätungen rechnen. Schuld sind längst bekannte Probleme – und zwei neue Risiken.

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In seinem Weihnachtsgespräch mit dem Branchenmedium airliners.de wollte Fraport-Chef Stefan Schulte Mut machen. 2019 werde es am Himmel und an den Flughäfen deutlich weniger chaotisch laufen als im Vorjahr. „Vom Luftfahrt-Bundesamt, über die Airlines bis hin zur Politik, den Flughäfen und der Flugsicherung“, so der 58-jährige Chef von Deutschlands größtem Flughafen-Konzern optimistisch, „alle Akteure haben viel gelernt.“

Schon kurz darauf, am Samstag vor Weihnachten, herrschte ausgerechnet an Schultes größtem Landeplatz Frankfurt Ausnahmezustand. Mal wieder. Mehrere Tausend Passagiere verpassten ihren Flug in die Ferien, weil sie vor den überlasteten Sicherheitskontrollen lange anstehen mussten. Da aus Sicherheitsgründen kein Koffer ohne seinen Passagier reisen darf, mussten die Airlines das Gepäck der betroffenen Kunden ausladen. Rund 100 Flüge mit eigentlich pünktlichen Reisenden starteten verspätet.

Dieses Chaos wird kaum der Schlusspunkt gewesen sein. Zwar wird es 2019 wahrscheinlich keinen neuen Rekord an Absagen und Verspätungen geben. Die Umbrüche der Branche nach der Pleite von Air Berlin sind einigermaßen unter Kontrolle. Zudem haben die Linien durch Zeitreserven im Flugplan und Ersatzmaschinen zusätzliche Puffer eingeplant. Die Lufthansa etwa will neue Mitarbeiter einstellen.

Vor allem zu Stoßzeiten bei Messen oder in Ferien müssen sich Reisende trotzdem auf massive Probleme einstellen. „Da bleibt das System überlastet“, warnt Detlev Kayser, der seit der Neujahrsnacht als Vorstand der Lufthansa für einen verlässlicheren Flugbetrieb sorgen soll.

Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die Problemstellen im „System Flugverkehr“.

1. Fehlende Fachkräfte

Im Fluggeschäft fehlt das Personal an gleich zwei Stellen, die besonders schnell Reisepläne durcheinanderbringen. Am sichtbarsten ist die Lücke an den Sicherheitskontrollen. „Es gibt Personalmängel bei allen drei Sicherheitsdienstleistern“, kritisiert Reza Ahmari, Sprecher der Bundespolizei in Frankfurt.

Dass der Mangel für Warteschlangen vor allem zu Spitzenzeiten sorgt, ist nicht zuletzt die Schuld seines Arbeitgebers. Während anderswo die Flughäfen teilweise oder ganz die Suche nach verbotenen Gegenständen organisieren, gibt an allen deutschen Flughäfen die Behörde vor, wie viele Leute der Dienstleister wann einsetzen soll. Die mit den Checks beauftragten Firmen kritisieren, dass die Vorgaben oft ungenau seien und die Bundespolizei den Vorlauf bei der Ausbildung von neuem Personal unterschätze.

Und trotz Rekrutierungsoffensiven bleibt geeignetes Personal knapp: Es melden sich weniger Interessenten als früher und es schafft oft nicht mal jeder fünfte Kandidat die Prüfung. Geeignete Arbeitnehmer finden derweil häufig anderswo einen besser bezahlten Job mit weniger Schichtdienst. Also werden auch 2019 Kontrolleure fehlen – vor allem an Wochenenden, in den Ferien und an Feiertagen.

Ebenfalls knapp bleiben Fluglotsen. Für deren Mangel sorgt nicht die schlechte Bezahlung, sondern die EU. Sie schreibt den nationalen Flugsicherungsbehörden in einem Fünf-Jahres-Plan die Wachstumsraten und damit die Zahl der Mitarbeiter vor. Nachdem die Vorgaben im Plan von 2010 bis 2014 zu großzügig waren, unterschätzte die EU für 2015 bis 2019 den Bedarf. Das geschah nicht zuletzt auf Druck der Airlines, für die mehr Flugaufseher höhere Gebühren und steigende Kosten bedeuten.

2. Streiks

Fehlendes Personal in Terminal und Tower befördert Flugausfälle sowie längere Wartezeiten noch auf eine andere Weise. Wenn es viele freie Stellen gibt, können Arbeitnehmer leichter höhere Gehälter fordern. Notfalls erhöhen sie den Druck durch Streiks. Der erste Ausstand der Passagierkontrolleure droht in Deutschland bereits im Januar. Die Gewerkschaft Verdi wertete das nur zögerlich steigende Angebot der deutschen Luft-Sicherheitsunternehmen „als die Aufforderung zum Streik durch die Arbeitgeber“.

Es wird nicht der letzte Ausstand sein. Wie im vergangenen Sommer legten schon mehrfach die Lotsen vor allem in Frankreich zur Hauptreisezeit die Arbeit nieder. Auch in Deutschland nutzt die Gewerkschaft Verdi gern einen Ausstand der Flughafenbeschäftigten, um Forderungen für den ganzen öffentlichen Dienst durchzusetzen. „Streiks am Airport bekommen mehr Aufmerksamkeit als die im Katasteramt“, so ein Gewerkschafter.

Streit droht immer wieder auch zwischen Kabinenpersonal und Airlines. Beispiel Ryanair: In Spanien wollen Flugbegleiter der Billigfluglinie ebenfalls im Januar streiken. Dadurch könnten auch Flüge in Deutschland von Ausfällen oder Verspätungen betroffen sein, warnen Branchenbeobachter.

Das weckt schlimme Erinnerungen: Die Streiks des Kabinenpersonals und der Piloten hatten im Sommer 2018 für Hunderte Flugausfälle gesorgt. Betroffen waren rund 100.000 Reisende.

3. Infrastruktur

Schwieriger noch als die Personalengpässe sind die Lücken bei der Infrastruktur zu schließen. Obwohl der Flugverkehr seit Jahrzehnten doppelt so schnell wächst wie die Wirtschaft eines Landes, werden die Airports bestenfalls zögerlich ausgebaut. Dazu werden selbst mögliche Erweiterungen gebremst. So hat der Flughafen München eine Baugenehmigung für eine dritte Bahn. Doch aus Angst, sich unbeliebt zu machen, zögert der Freistaat mit dem Bau. Selbst wenn auf dem Papier die Kapazitäten der Pisten und Abfertigungsgebäude noch ausreichen: Spätestens wenn es Unwetter oder Schnee gibt, stauen sich die Maschinen. Die Folge: Verspätungen.

Für Verzögerungen sorgt die deutsche Bürokratie auch bei den Sicherheitskontrollen. Weil bei den öffentlichen Ausschreibungen für die Prüfgeräte Kundenfreundlichkeit, Effizienz oder gar Flexibilität weniger wichtig sind als der Preis, setzen die heimischen Airports mehr veraltete Maschinen ein als ihre Wettbewerber aus anderen Ländern. Das verhindert Neuerungen. So hat der Kölner Flughafen „Easy Security“-Kontrollstellen erfolgreich getestet, die pro Spur im Schnitt doppelt so viele Passagiere schaffen könnten wie heutige Geräte. Doch eine Einführung ist nicht geplant.

Wo ausgebaut wird, dauert die Umsetzung oft lange. So können die im vorigen Herbst beschlossenen neuen Kontrollspuren in Frankfurt wohl erst zu den Sommerferien öffnen, sodass Osterreisende wahrscheinlich noch mit langen Wartezeiten rechnen müssen.

Als ob diese drei alten Gründe nicht ausreichten, kommen noch zwei neue dazu.

Vor diesen neuen Herausforderungen steht die Luftfahrt-Branche

4. Brexit

Der am schwersten zu kalkulierende Faktor ist der Austritt Großbritanniens aus der EU. Auch wenn sich Politiker und Manager auf beiden Seiten des Ärmelkanals bereits seit zweieinhalb Jahren auf den Schritt vorbereiten, ist der genaue Ablauf ebenso unklar wie die Folgen. Noch immer gibt es kein Abkommen über den Flugverkehr. Ohne das müssten schlimmstenfalls alle Flüge zwischen dem Vereinigten Königreich und EU-Ländern ganz ausfallen.

Auch wenn sich die EU und Großbritannien noch auf einen Notfallplan einigen, ist mit Problemen zu rechnen, befürchtet Raphael Schwartzman, stellvertretender Europa-Chef des Luftfahrt-Verbandes IATA. „Selbst das wird kaum reichen, um kurzfristig Störungen zu vermeiden.“

Fraglich ist zum Beispiel, wie es mit Flügen weitergeht, die von britischen Fluglinien nicht aus dem Heimatland durchgeführt werden, sondern ausschließlich im europäischen Ausland stattfinden. Fluggesellschaften wie Ryanair, Easyjet und British Airways, aber auch deutsche Ferienflieger wie Tuifly und Condor rüsten sich, damit ihre Maschinen Ende März nicht am Boden bleiben müssen.

5. Kaum Alternativen

In anderen Wirtschaftszweigen sorgen Engpässe und steigende Preise für neue Wettbewerber. Für das Fluggeschäft gilt das nur begrenzt. Auch wenn in der Nähe überlasteter Airports wie Düsseldorf oder Frankfurt Landeplätze wie Köln, Weeze oder Hahn Platz haben, sind sie weniger denn je eine Alternative zu den Metropolen. Weil sie sich mehr Kunden und höhere Preise erhoffte, zog die Lufthansa-Billigtochter Eurowings von Köln nach Düsseldorf und Ryanair fährt gerade Hahn zugunsten von Frankfurt runter.

Die aufgegebenen Routen übernimmt selten eine andere Airline. „Starteten früher noch reihenweise Kunden aus der Provinz wenn die Tickets da billiger waren, so ist es angesichts der steigenden Einkommen in Deutschland für mehr Kunden nicht mehr attraktiv genug“, klagt ein führender Manager eines Wettbewerbers.

Auch die Eisenbahn ist trotz aller Forderungen nach klimafreundlicherem Reisen oft keine Alternative. Sie ist auf Strecken innerhalb Europas entweder zu lang unterwegs oder gilt als zu unzuverlässig. „Wir sind einfach zu oft verspätet und bei uns startet manchmal nicht mal jeder zweite Zug komplett ohne Mangel“, sagt ein Bahn-Insider.

Somit bleibt den meisten Passagieren auch in diesem Jahr gerade zu Stoßzeiten nur Geduld – und die Hoffnung auf 2020. „Dann sollte wenigsten der größte Mangel beim Sicherheitspersonal und den Lotsen behoben sein“, so ein führender Flugmanager. „Dann wird es sicher besser – wenn wir als Branche mit unserer Wachstumssucht nicht alle freien Kapazitäten wieder zustellen.“

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