Chaos um Corona-Tests „Bei kostenlosen PCR-Tests betreiben wir im Grunde schon eine Triage“

Fragwürdiger Boom? Das Geschäft mit PCR-Tests. Quelle: Getty Images

Mehr und mehr Menschen verlangen PCR-Tests. Doch viele Betreiber lehnen es ab, die Kunden kostenlos zu testen – trotz rotem Hinweis in der Corona-Warn-App. Stattdessen bieten sie kostenpflichtige PCR-Tests an – oft zu Fantasiepreisen. Dürfen die das?

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Marcus Reisiger informiert seine Kunden ohne Umschweife und in Versalien: „KEINE kostenlosen PCR wegen roter CORONA WARN APP!“, schreibt er auf der Webseite seiner Firma Corona-Schnelltest-Hamburg. Der Unternehmer beschäftigt sechs bis sieben Mitarbeiter pro Schicht, sie nehmen mehrere hundert Abstriche pro Tag. Die Frage, warum er kostenlose PCR-Tests ablehne, treffe „einen wunden Punkt“, sagt er. „Die Behörden haben sich überlegt, dass – wenn möglich – jeder solch einen kostenlosen PCR-Test machen darf, aber unsere Kapazitäten und die unseres Labors reichen dafür bei weitem nicht aus.“

Außerdem, ergänzt Reisiger, biete er ja die kostenpflichtigen PCR-Tests an, ab 69 Euro. Günstiger als viele andere. Das sei privatwirtschaftlich geregelt, läuft also ohne Beteiligung der Krankenkassen. „An denen verdienen wir“, sagt Reisiger, „bei den anderen zahlen wir drauf.“ Doch unabhängig von diesem wirtschaftlichen Unterschied: Er und sein Team arbeiteten „bis an die Grenze des Möglichen“, um so viele PCR-Tests wie möglich durchzuführen, kostenlose und kostenpflichtige.

An diesem Beispiel aus Hamburg zeigen sich die Probleme mit den PCR-Tests in Deutschland. Denn: Wer hat eigentlich Anspruch auf einen kostenlosen PCR-Test? Und wie viel darf ein Virencheck maximal kosten? Testzentrenbetreiber jedenfalls agieren gewinnorientiert – und leiden unter Kapazitätsengpässen der Labore. Die Lage ist zunehmend chaotisch.

Die Nachfrage nach PCR-Tests wird weiter steigen, denn sie korreliert mit den Infiziertenzahlen. Das Robert Koch-Institut (RKI) vermeldete zuletzt rund 1,5 Millionen Tests pro Woche. Die theoretische Gesamtkapazität gibt das RKI mit bis zu 2,4 Millionen Tests in der Woche an. Doch wie der Berufsverband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) gestern mitteilte, führt die Omikron-Virusvariante nun zu einem sprunghaften Anstieg: Laut ALM wurden in der ersten Woche des neuen Jahres bei den fachärztlichen Laboren in Deutschland rund 56 Prozent mehr PCR-Tests angefordert als noch in der Silvesterwoche. Michael Müller, erster Vorsitzender der ALM, spricht in diesem Zusammenhang von einem „explosionsartigen Anstieg“.
(Viele Schnelltests können selbst hochpositive Proben nicht erkennen, erklärt die Virologin Isabella Eckerle. Lesen Sie hier, warum sie erwartet, dass sich jeder mit Omikron ansteckt.)

Rote Corona-Warn-App gleich kostenloser PCR-Test?

Das Chaos mit den PCR-Tests beginnt schon bei der Frage, wer denn überhaupt einen rechtlichen Anspruch auf eine kostenlose Analyse hat. Ein Hinweis in der Corona-Warn-App (CWA), der ein erhöhtes Risiko anzeigt, reicht dafür jedenfalls nicht unbedingt. In der Nationalen Teststrategie des Robert Koch-Instituts heißt es zwar, dass ein PCR-Test bei Kontaktpersonen die Regel sei. „Nur im Ausnahmefall“ sollten Antigen-Schnelltests angewendet werden, zum Beispiel „bei begrenzter PCR-Kapazität oder in dringenden Fällen (...).“ Aber dieser „Ausnahmefall“ scheint immer häufiger zur Regel zu werden.

Und in der Corona-Testverordnung steht zwar, dass Personen mit roter CWA einen Anspruch auf einen Test haben. „Die Entscheidung, ob im konkreten Einzelfall ein PCR-Test durchgeführt wird, trifft jedoch grundsätzlich die Ärztin oder der Arzt beziehungsweise das Gesundheitsamt“, teilt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums mit; ein ausschließlicher Anspruch auf PCR-Testung bestehe in diesem Fall nicht.

In der Praxis dürften längst nicht alle Menschen zu einer Ärztin gehen, um sich testen zu lassen, sondern ein Corona-Testzentrum aufsuchen. In all diesen Fällen würde also kein Arzt und keine Ärztin die Entscheidung für oder gegen einen PCR-Test treffen – sondern die Teststellenbetreiber wie Marcus Reisiger. Und die haben verständlicherweise neben einer gesundheitlichen Agenda auch eine wirtschaftliche. Zudem sind sie angewiesen auf die Auslastung ihres Kooperationslabors. „Was die kostenlosen PCR-Tests angeht, sind wir im Grunde schon in einer Art Triage und müssen täglich vielfach entscheiden, wo der PCR am wichtigsten ist und wo erst mal ein Schnelltest ausreicht“, sagt Reisiger. Mitunter kämen pro Tag nun Dutzende Leute zu ihm, die eine rote Corona-Warn-App vorzeigen und damit einen gratis PCR-Test einforderten; dazu noch Anrufe und Mails mit derselben Intention. „Denen müssen wir sagen: Das können wir nicht leisten.“ Wer hingegen ein positives Schnelltest-Ergebnis vorweise, habe Anspruch auf PCR-Testung – und werde priorisiert, sagt Reisiger.

Die Abstrichname für PCR-Tests ist keine ärztliche Leistung mehr

Die Abrechnung von PCR-Tests ist ein ebenso unübersichtliches Feld. Die überwiegende Mehrheit der Tests wird in Laboren ausgewertet. Testzentren benötigen also ein Labor, mit dem sie kooperieren. Als im Frühjahr 2021 die kostenlosen Antigen-Schnelltests eingeführt wurden, gab es PCR-Tests anfangs fast nur bei Ärztinnen und Ärzten. Denn der PCR-Test galt als ärztliche Leistung. Im Laufe des Sommers wurde die Regelung aufgeweicht, so dass fortan die Abstrichname für einen PCR-Test nicht mehr als ärztliche Leistung gilt, sondern nur noch die Test-Auswertung im Labor.

Wenn private Teststellenbetreiber also kostenpflichtige PCR-Tests anbieten, bestimmen sie den Preis selbst. Der Anteil, den sie erstattet bekommen von den Kassenärztlichen Vereinigungen, ist geregelt - alles, was darüber hinaus geht, erhöht die Marge. „Der PCR-Test ist, wenn der Patient keinen gesetzlichen Anspruch darauf hat, eine freie Preisvereinbarung zwischen dem, der ihn macht, und dem, der ihn haben will“, sagt Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Und sein Kollege Detlef Haffke von der KV Niedersachsen erklärt: Ob das PCR-Testergebnis nun binnen 48 Stunden vorliegen soll oder binnen 24 Stunden, mache für die Arbeit im Labor keinen Unterschied. Der Arbeitsaufwand sei derselbe. „Mit den PCR-Tests ist es wie mit dem Schlüsseldienst: Wer den am Wochenende schnell braucht, zahlt auch mehr.“

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