Es gibt Hotels in China, deren Frühstücksbuffet beeindruckender ist als das Angebot vieler westlicher Hotelrestaurants. Trotzdem geht der europäische Gast nicht hin. Weil das Buffet zwar Nudelsuppe und Süßkartoffeln, aber weder Brötchen noch Kaffee umfasst.
Es gibt Hotels in China, in denen wird der Gast nachts von einem Telefonanruf geweckt. Wenn er etwas Chinesisch kann, versteht er, dass die Dame am anderen Ende der Leitung eine Massage anbietet. Wenn er etwas mehr Chinesisch kann, kann er das Angebot verneinen. Spricht er gar keines, steht die Mitarbeiterin wenig später in sehr kurzem Rock vor der Tür.
Es gibt Hotels in China, die bieten Raucherzimmer an. Allerdings riechen auch die Nichtraucherzimmer schon so, als sei dort die letzte Nacht eine Junggesellenparty mit drei Stangen Zigaretten und zwei Flaschen Reisschnaps gefeiert worden.
Aber im Sunrise-Hotel rund 60 Kilometer nördlich von Peking ist natürlich alles anders. Der amerikanische Fernsehsender CNN hat es vor Kurzem als „das unglaublichste Hotel der Welt“ bezeichnet. Es ist ein Hort der Exklusivität, der von außen aussieht wie eine gläserne Riesenpille oder ein UFO, das die Außerirdischen bei der Landung auf die Kante gesetzt haben.
Nachts schläft der Gast ungestört in einem der 306 Zimmer, morgens erwacht er mit einem grandiosen Blick auf den gefrorenen Yanqi-See. In der Mitte des Gewässers liegt eine Insel, auf der sich eine filigrane Pagode erhebt. Dahinter beginnt das Gebirge, das das Kulturland China früher vor barbarischen Reiterhorden schützte und auf dem man, weil die Natur allein nicht ausreichte, noch eine Mauer errichtete, die sich 22 Jahrhunderte später noch immer anmutig auf dem Kamm schlängelt. Zum Frühstück gibt es Kaffee, frisch gebackene Croissants und Obst. Wer mag, kann auch Oktopus-Salat essen. Das Hotel bietet ein Teehaus, ein Paulaner-Wirtshaus mit deutscher Wurst und Bier und noch ein paar andere Restaurants. Insgesamt sind es neun. Der Spa-Bereich ist größer als ein städtisches Hallenbad in Deutschland, und geraucht wird höchstens in der Bar im 21. Stock, wo eine anmutige Schweizer Barkeeperin Whiskey Sour mixt.
Chinesische Krankheit
Durch die großzügige Lobby des Hotels spazieren Chinesen in pinkfarbenen Anoraks, mit grauen Fellmützen auf dem Kopf. Mal trinken sie eine Tasse Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne auf einer der Mahagoniholzbänke, mal drücken sie eine Zigarette auf dem Marmorboden aus. Sie sind gekommen, weil sie das Hotel ebenfalls ziemlich unglaublich finden und weil gerade die Ferienwoche des chinesischen Frühlingsfests begonnen hat. Aber sie wohnen nicht hier, sondern im nahe gelegenen Bezirk Huairou. Auch das „unglaublichste Hotel der Welt“ leidet an derselben chinesischen Krankheit, von der auch der Rest der Branche befallen ist. Zwar wird in China ein Luxushotel nach dem anderen gebaut, aber die Gäste bleiben aus. Auch das Sunrise, das von der Kempinski-Gruppe betrieben wird, hat bisher nicht viele beherbergt. Es ist, genauer gesagt, ziemlich leer, was auch daran liegen mag, dass es erst vor Kurzem eröffnet wurde.
Mit einer Auslastungsquote von 65 Prozent in „Greater China“ liegen die Deutschen immerhin über dem Branchendurchschnitt von 57 Prozent. Allerdings zählen zu „Greater China“ auch Taiwan und vor allem Hongkong, wo die Auslastung bei 80 Prozent liegt. 70 Prozent sind nötig, um in die Gewinnzone zu kommen, so eine Daumenregel der Branche. Doch wenn es an Gästen fehlt – warum eröffnen dann ständig neue Luxushotels in China?