China, Rentner und Instagram Drei Gründe für den Übertourismus

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Reisende Rentner: „Reich, gelangweilt und immer auf dem Sprung“

Einen besseren Job machten Europas Reiseriesen bei der zweiten wichtigen Wachstums-Gruppe: Pensionäre aus den Industrieländern. „Reich, gelangweilt und immer auf dem Sprung“, so beschreibt David Roeska, Analyst des Brokerhauses Bernstein aus New York, die Generation. Laut einer Studie seines Hauses beruht deren Reiselust – neben der im Vergleich zu früheren Generationen besseren Gesundheit – darauf, dass für die Gruppe der heute mehr als 65-Jährigen Reisen einen höheren Stellenwert hat. Die Senioren haben im Schnitt nicht nur eine höheres Einkommen als frühere Pensionärsgenerationen. Sie stecken auch einen in etwa doppelt so großen Anteil in Reisen. Dazu erleichtert die Branche von den Kreuzfahrtlinien bis sogar zum Billigflieger Ryanair allen die Urlaubsreise durch spezielle Seniorenangebote, inklusive besonderer Hilfen für „Mobilitätseingeschränkte.“

Schwer tut sich die Branche hingegen beim dritten Treiber: einem neuen – nicht zuletzt von Social Media geförderten – Reiseverhalten. Noch vor 20 Jahren dominierten bei Auslandstouren Gruppen- oder Pauschalangebote per Bus oder Flugzeug. Nun verreist gut ein Drittel der Urlauber mehr oder weniger individuell. Dafür sorgt nicht zuletzt die wachsende Zahl von Singles oder Pensionären mit Reiseerfahrung, die sich wie jüngere Leuten sich ihre Ferien nun selbst im Internet zusammenstellen bei Billigfliegern, Hotels oder Wohnungsvermittlern wie Airbnb oder Booking.com – nicht zuletzt, weil letztere dank geringerer Auflagen meist günstiger als Hotels sind.

Dazu kommt ein neuer Faktor: Instagram, Facebook & Co. Denn das Gros der neue Individualtouristen sucht in den schönsten Wochen des Jahres weniger Ruhe und Erholung in klassischen Touristenvierteln. Sie zieht es in die Städte zu Erlebnissen und die großen Sehenswürdigkeiten, die sie von Freuden und Influencern kennen. Die wollen sie selbst besuchen, ihrerseits posten und dabei möglichst noch die Erlebnisse der Vorgänger toppen. Dabei bleiben die meisten nur kurze Zeit in einer Stadt, um angesichts ihrer knappen Zeit und ihrer engen Budgets möglichst andere viele Orte abhaken zu können.

„Das ist es ein anderer Tourismus. Es geht den meisten der neuen Städtetouristen anders als ihre Vorgänger weniger um Kultur, sondern um Spaß und Feiern“, beschreibt Josep-Francesc Valls, Professor für Marketing und Tourismus an der Hochschule ESADE in Barcelona, den Wandel seiner Heimatstadt. Weil sich jeder als Insider fühlen will und nur die anderen für Touristen hält, bucht diese Gruppe statt Bettenburgen im Ferienghettos wie S’Arenal oder Magaluf auf Mallorca nun Hotels oder besser noch Wohnungen mitten in den Vierteln der Einheimischen. Dabei verändern die Urlauber das Leben der Bewohner.

In diesen zehn Städten ist das Übernachten am teuersten
Platz 10: Bundeshauptstadt Berlin Quelle: imago images
Platz 9: Portugiesische Hauptstadt Lissabon Quelle: imago images
Platz 8: Frankfurt am Main als teuerste deutsche Stadt Quelle: dpa
Platz 7: Italienische Modemetropole Mailand Quelle: imago images
Platz 6: Hauptstadt der Niederlande Amsterdam Quelle: imago images
Platz 5: Italienische Hauptstadt Rom Quelle: imago images
Platz 4: London auf Platz 4 der teuersten Städte Europas Quelle: imago images

In immer mehr Regionen gibt es fast nur noch Hochsaison. Die Urlauber kommen das ganze Jahr – anders als in Ferienhaus-Regionen wie Sardinien. Hier ertragen die Einwohner den Ansturm der Fremden, weil die nur schlimmstenfalls ein Vierteljahr im Sommer den Alltag prägen. Doch in Orten wie Barcelona oder Lissabon dauert die Reisezeit inzwischen fast das ganze Jahr.

Das zerstört immer öfter den Alltag der Einheimischen. Sie gehen nicht nur rein zahlenmäßig in der Reisewelle unter, weil oft wie in Venedig oder dem griechischen Santorin auf jeden Bewohner bis zu drei Touristen kommen. Sie leiden unter den Nachteilen: neben klassischen Nebenwirkungen wie Wasserknappheit und Lärm explodieren die Lebenshaltungskosten. In Palma, wo die Stadtverwaltung gerade die Zahl der Betten in Hotels und Ferienwohnungen um ein Viertel kürzen will, sind die Mieten seit 2013 im Schnitt um 40 Prozent geklettert. Grund ist die Umwandlung von Appartements in Feriendomizile. Denn Touristen bringen Investoren mehr Rendite als einheimische Mieter. Dazu verschwinden die Einkaufsmöglichkeiten für Alltagsdinge, weil Metzgereien, Lebensmittelläden und Korbflechtereien zunehmend Edelboutiquen oder Ramschläden weichen, die höhere Mieten zahlen können. Selbst das Traditionslokal Bar Cristal an der Plaça d’Espanya am Bahnhof von Palma ist zuletzt unter die Räder gekommen, weil sich die Besitzer den Anstieg Monatspacht auf 25.000 Euro nicht mehr leisten konnte.

Das Problem Overtourism ist nicht leicht zu lösen. Denn die natürliche Bremse – dass es den Touristen zu voll ist –- greift nicht so recht. „Da haben viele das Gefühl, lass uns das nochmal ansehen, so lange das noch einigermaßen geht“, so Experte Born. Zumal manche Besuchergruppen wie Chinesen selbst die vollen Altstadtstraßen in Dubrovnik im Vergleich zum Gedränge daheim nicht als unangenehm empfinden.

Also helfen, so das Ergebnis einer Studie der Beratung McKinsey, am Ende wohl nur weitere Einschränkungen – und Preiserhöhungen. Und auch die werden das Problem wohl bestenfalls mindern, glaubt Frans van der Avert, oberster Vermarkter des vom Übertourismus besonders gebeutelten Amsterdam. „Ob wir wollen oder nicht: Es werden immer mehr Touristen kommen.“

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