Containerschiffe Chaosjahr 2021: Was der Container-Schifffahrt droht

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Reedereien mit Flugzeugflotte, mehr Vorratshaltung durch Unternehmen

„Es wird eine grundsätzliche Verschiebung des Kostenniveaus geben“, sagt etwa Oliver Knapp, Partner bei Roland Berger. Das gelte auch für die Kunden der Reedereien: „Die Logistikkosten werden für Unternehmen an Relevanz gewinnen, auch wegen der Diskussion um Nachhaltigkeit und CO2-Werte.“

3. Die Reedereien haben mehr verdient als je zuvor – und geben das Geld auch aus

Die höheren Frachtraten haben auch die Situation der Reedereien verändert – gravierend. Etwa Maersk: In 117 Jahren des Bestehens habe das Unternehmen nie ein profitableres Quartal erlebt, berichtete der Konzern bei der Vorstellung der Zahlen für das dritte Quartal Anfang November. Nach einer Schätzung des Analysedienstes Drewry könnte die Branche dieses Jahr insgesamt mehr als 150 Milliarden Dollar verdient haben. Allein Hapag-Lloyd, die größte Reederei Deutschlands, rechnet mit einem Gewinn von rund zehn Milliarden Euro.

Das Geld wollen die Reedereien nun ausgeben. Einen Teil der Gewinne investierten sie bereits in neue Schiffe: Hapag-Lloyd hat 16 Schiffe geordert – darunter gleich sechs Mega-Frachter, die mit einer Kapazität von 23.500 Standardcontainern zu den größten der Welt zählen werden. Konkurrent MSC bestellte gleich 43 neue Schiffe. Und Evergreen will seine Flotte mit 56 neuen Riesenfrachtern gleich verdoppeln.

Bis die Schiffe aus den Werften laufen, dauert es jedoch noch. Erst 2023 könnten die Schiffe auf See in Einsatz kommen und die bisher so knappen Kapazitäten ergänzen. Allerdings müssen die Reedereien wegen strengeren Umweltvorschriften Schiffe aussortieren, weil diese zum Beispiel zu viele Emissionen verursachen.

Und es sieht nicht danach aus, als würden die Reedereien sich erneut einen Wettkampf auf dem Wasser leisten wollen. Stattdessen drängen die Reeder zunehmend auch ans Land und in die Luft. Die chinesische Reederei Cosco etwa kaufte sich in ein Terminal am Hamburger Hafen ein und baut so ihre Position in Europa aus. Hapag-Lloyd beteiligte sich an einem Terminal in Wilhelmshaven, CMA CGM hingegen gab über zwei Milliarden Dollar aus, um ein Terminal am Hafen von Los Angeles zu übernehmen.

Andere Reedereien bauen ihre Flugzeugflotte aus. So kaufte Maersk zwei Boeing 777 Frachter, außerdem übernahm das Unternehmen den deutschen Fluglogistiker Senator. Damit hat Maersk mittlerweile 20 Frachtflieger, mit denen die Reederei ihren Kunden auch im Notfall schnelle Lufttransporte anbieten kann, falls die Schiffe gerade feststecken und die Waren nicht fristgerecht abholen oder liefern können. Auch Konkurrent CMA CGM hat deshalb seine Luftflotte auf zehn Frachtflieger vergrößert. Das zeigt: Die Reedereien wollen nicht mehr nur Waren über das Wasser befördern, sondern sich am gesamten Lieferweg beteiligen.

4. Lieber Just-in-Case als Just-in-time

Die Reedereien reagieren damit auch auf die veränderten Bedürfnisse ihrer Kunden. Viele Unternehmen haben in diesem Jahr die Erfahrung machen müssen, dass ihre Lieferketten längst nicht so stabil sind, wie sie erwartet hatten. Und sie müssen darauf reagieren. „Die Lösung wird nicht sein: Alles bleibt, wie es ist, und wir müssen einfach nur unsere Logistikstrukturen wieder in den Griff bekommen“, sagt Oliver Knapp, Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Berger. Die Logistik stehe vor Umbrüchen, müsse sich auch technologisch an den Klimawandel anpassen. Auch die politische Landkarte verändert sich, Populismus und Regionalismus kratzen an der Idee der globalen Arbeitsteilung. „Das führt zu einer Veränderung der Warenströme.“

Das zeigt auch eine Umfrage der Beratung McKinsey unter Logistikmanagern: 42 Prozent der Firmen haben im vergangenen Jahr Lagerbestände ausgebaut, um flexibler zu sein. Statt auf das Prinzip „Just in time“ setzen sie auf das Prinzip „Just in case“: Sie wollen nicht riskieren, dass sie ihre benötigten Ressourcen nicht vor Ort in ihrem Werk haben, wenn sie sie benötigen. Stattdessen schaffen Sie sich lieber einen Vorrat. Der Vorteil: Lagerraum lässt sich auch kurzfristig anmieten. Lieferketten umzustellen ist aufwendiger. Nur 15 Prozent der Unternehmen haben laut McKinsey im vergangenen Jahr ihren Einkauf oder ihre Produktion regionalisiert. Dabei hatten das bei der Umfrage ein Jahr zuvor noch 40 Prozent der Befragten vor.

5. Das Chaos ist noch nicht vorüber

Wird 2022 nun weniger verrückt? Da sind sich auch die Experten nicht einig. Viele hoffen noch, dass sich die Situation in den kommenden Monaten entspannt. Andere knüpfen ihre Prognosen an Bedingungen: „Wenn die Pandemie grippeähnlich wird und sich die Konsumausgaben wieder stetig von Waren auf Dienstleistungen verlagern, wird es noch mehrere Monate dauern, bis sich die aktuellen Engpässe auflösen“, sagte etwa Chris Rogers, Ökonom bei der digitalen Spedition Flexport der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Doch was, wenn die Pandemie zu weiteren Lockdowns und Hafenschließungen führt? Wenn die Nachfrage nach Konsumgütern und Transporten weiter stark bleibt? Dann könnten sich die Probleme in den Logistiknetzwerken bis weit ins Jahr 2023 hinziehen, sagt auch Rogers.

Auch ohne Coronapandemie steht den weltweiten Lieferketten spätestens im Juni ein neuer Stresstest bevor: Dann verhandeln an der US-Westküste Hafenbetreiber mit der Gewerkschaft ILWU. Bereits bei früheren Verhandlungen hatte die Gewerkschaft Häfen wie Los Angeles und Long Beach bestreikt, die Auswirkungen waren rund um die Welt spürbar.

von Jacqueline Goebel, Tobias Gürtler, Henryk Hielscher, Martin Seiwert, Peter Steinkirchner

Und so glaubt Angela Titzrath, Vorstandsvorsitzende des Hamburger Hafenbetreibers HHLA, nicht an eine Rückkehr zur Normalität: „So sehr wir uns alle danach sehnen, das Wort Normalität wieder in den Mund zu nehmen, so sehr glaube ich, dass wir uns alle davon verabschieden müssen, dass es so etwas wie Normalität im nächsten Jahr geben wird“, sagt sie.

Mehr zum Thema: Häfen und Straßen sind verstopft, Frachtraum bleibt knapp. Vieles spricht dafür, dass das Chaos in den Lieferketten im kommenden Jahr anhalten wird und die Logistik dauerhaft teurer wird. Unternehmen müssen sich radikal umstellen.

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