Corona-Lockdown In diesen Branchen geht es 2021 ums Überleben

Immobilien, Automobilindustrie, Touristik und stationärer Einzelhandel Quelle: dpa Picture-Alliance

Sanierungsexperten haben die Kennzahlen von Tausenden börsennotierten Unternehmen weltweit analysiert und Branchen und Regionen identifiziert, in denen der Corona-Winter besonders frostig wird.

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Kurz vor Heiligabend war es so weit: Eigentlich wären in den Wochen vor dem Fest Tausende Besucher aus aller Welt nach Rothenburg ob der Tauber geströmt, um die Weihnachtsglitzerwelt von Käthe Wohlfahrt zu bestaunen und nebenbei Pyramiden, Nussknacker, Räuchermännchen und Schwibbögen des Traditionsunternehmens zu shoppen. Doch im Corona-Lockdown fiel der Kundenansturm aus, die deutschlandweit acht eigenen Läden des Unternehmens mussten schließen, Weihnachtsmärkte im In- und Ausland, auf denen Käthe-Wohlfahrt Produkte verkauft, wurden abgesagt. Kurzum: Dem „Botschafter traditioneller deutscher Weihnacht“ brach das Geschäft weg und Unternehmensinhaber Harald Wohlfahrt sah sich gezwungen, ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren zu starten, um sein Unternehmen neu aufzustellen. 

Solche Rettungsmissionen wird es in diesem Jahr wohl häufiger geben. Je länger der zweite, harte Lockdown dauert, desto heikler wird die Lage für viele Unternehmen. Am vergangenen Montag stellte die börsennotierte Modekette Adler mit 170 Filialen Insolvenzantrag. Auch Europas größter Feuerwerkshersteller Weco kämpft nach dem Verkaufsverbot für Böller und Raketen an Silvester um die Existenz. Der Drogeriekonzern Douglas will demnächst zahlreiche Filialen schließen und seine Schulden neu sortieren. Selbst Fußballbundesligist Schalke braucht dringend frisches Geld, um eine Anleihe zu bedienen, deren erste Tranche im Juli zur Rückzahlung ansteht. 

„Der Restrukturierungsdruck nimmt 2021 vor allem in Deutschland stark zu“, sind denn auch die Sanierungsexperten der Unternehmensberatung Kearney überzeugt. Um jene Branchen und Regionen zu identifizieren, in denen der Corona-Winter besonders frostig wird, haben sie gut 51.000 Datensätze von über 7200 börsennotierten Unternehmen aus 93 Ländern analysiert und deren Kennzahlen zu Umsatz- und Gewinnentwicklung, Verschuldungssituation und Marktkapitalisierung zu einem „Restructuring Score“ zusammengefasst. Das Resultat der Studie, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, ist eindeutig: „Deutschland kommt im Vergleich zu China und USA wirtschaftlich deutlich schlechter durch die Krise“, sagt Kearney-Partner Markus Schmid. Von der Automobilindustrie über den stationären Handel bis zur Immobilienwirtschaft würden derzeit gleich mehrere wichtige Wirtschaftssektoren hohe Restructuring Scores aufweisen. Aber „am düstersten sind die Aussichten in der Reise- und Touristikbranche“, sagt Schmid. „Hier wird die Erholung auf Vorkrisenniveaus noch mehrere Jahre dauern.“

So rechnet der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) nicht vor dem Jahr 2024 mit dem Erreichen des Vorkrisenniveaus. Den Fluggesellschaften droht ein bis zu 90-prozentiger Abbau von Flugkapazitäten, Leasingfinanzierungen für Flugzeuge wackeln – und vielen Hotels droht der finale Check-out. Die Branche rangiert mit einem Restructuring Score von 7,4 bei Kearney ganz oben in der Riege der Problemsektoren. 

Was die Experten beschreiben, ist seit Monaten Alltag für die Manager der Hotelgruppe Dorint.  Seit den ersten Corona-Schließungen im vergangenen Frühjahr kämpft das Management ums Überleben der 62 Häuser. 2019 soll der operative Gewinn bei rund 6 Millionen Euro gelegen haben. 2020 wird es durch die Corona-Beschränkungen auf einen Verlust von mehr als 70 Millionen Euro hinauslaufen. „Wir haben mit unseren Banken und Investoren verhandelt, KfW-Mittel beantragt, Kurzarbeit eingeführt, die Kosten gesenkt und versuchen weiter durchzuhalten, um nach der Krise wieder durchzustarten“, sagt Aufsichtsratschef Dirk Iserlohe und fügt hinzu: „mal sehen, ob der Staat das zulässt.“ Das laufende Jahr werde zum „Schicksalsjahr“ für seine Branche. „Im Reise-, Tourismus- und Flugbereich könnte 2021 einiges auf uns zukommen“, erwartet auch Sven-Holger Undritz, Leiter der deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzabteilung der Wirtschaftskanzlei White & Case. Für nachgelagerte Dienstleister wie Taxibetriebe, Parkhausbetreiber oder Autovermieter bedeutet das gleichfalls Ungemach. 

Mit voller Wucht hat die Krise auch den Einzelhandel erwischt, zumindest jene Händler die nicht Lebensmittel verkaufen oder ihr Geld online verdienen.

„Der Handel ist zweigeteilt“, sagt Kearney-Experte Christian Feldmann. „Viele stationäre Händler leiden, während die großen börsennotierten Supermarktketten und Onlineplayer in der Krise sogar profitieren“. Das treibe die Aktienkurse und hält den Branchen-Score „relativ stabil“, bei einem Wert von 4,74. Zumal viele Händler nicht börsennotiert sind und ihre Zahlen somit nicht in die Bewertung einfließen. 

Spürbar ist die Krise dennoch – vor allem im Modehandel, wo bereits im vergangenen Jahr große Anbieter wie Esprit, Kaufhof-Karstadt und Hallhuber Insolvenz-Schutzschirme aufspannten. Gläubiger verloren Milliardenbeträge. Auch bei der Modekette Adler droht jetzt ein Aderlass. Dabei schien das Unternehmen mit seinen rund 170 Filialen sogar vergleichsweise robust aufgestellt. Ende 2019 hatte Adler noch eine Rekord-Netto-Liquidität von rund 70 Millionen Euro ausgewiesen. Doch die verdampfte schon im ersten Corona-Halbjahr. Adler konnte sich im Mai dank Landesbürgschaften zwar zusätzliche Kreditlinien über 69 Millionen Euro bei seinen Banken sichern. Doch für die Winter-Schließungen reichte das nicht aus. 

Weitere Fälle sind wohl nur eine Frage der Zeit. Es drohe das Aus für bis zu 50.000 Geschäfte mit über 250.000 Mitarbeitern, warnt der Handelsverband HDE. Nicht nur für die betroffenen Mitarbeiter und Inhaber wäre das ein Desaster. „Wenn Geschäfte schließen, spüren das auch die Eigentümer der Immobilien“, sagt die Berliner Insolvenzverwalterin Susanne Berner. Und „da viele Vermieter ihre Immobilien fremdfinanziert haben, könnten Ausfälle am Ende auch die Kreditinstitute treffen“. Ohnehin steigt der Druck im Gewerbeimmobilienbereich. In den vergangenen Monaten hat Berner gleich zwei Anbieter von Gemeinschaftsbüros, sogenannten Co-Working-Flächen, durch Insolvenzverfahren manövriert: „Der Trend zum Homeoffice hinterlässt Spuren“, sagt Berner. Mit einem Restructuring Score von 5,4 bewegt sich die Branche bislang aber noch im Mittelfeld.

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