Vom Ausnahmezustand sind die Helios-Kliniken weit entfernt. Doch an einzelnen Standorten beobachtet der Krankenhausbetreiber wieder zunehmende Covid-Infektionen. Das Bild, so heißt es bei dem Unternehmen, sei sehr heterogen und regional sehr verschieden. Und mitunter seien auch gar nicht die Beschäftigten selbst betroffen, sondern zum Beispiel ihre Kinder, die dann in Quarantäne betreut werden müssten.
Durch die Erfahrungen der letzten Pandemie-Wellen sieht sich das Unternehmen auf weiter steigende Zahlen gut vorbereitet. Schnell ließen sich Ressourcen bündeln, um etwaige Personalausfälle bestmöglich zu kompensieren und so die pflegerische und medizinische Betreuung sicherzustellen. Und Masken böten einen zuverlässigen Schutz, um die Übertragung von Infektionen im Krankenhaus auch mit sehr ansteckenden Varianten zu verhindern. Wenn die nächste Welle kommt.
Kommt sie? Und bringt sie Unternehmen in gravierende Probleme, womöglich gar zum Stillstand? Die Signale sind offensichtlich: So steigen die offiziellen Infektionsfallzahlen seit Mitte September wieder – und haben sich seitdem verdoppelt. Deshalb verzeichnet auch die Krankenkasse DAK seit Kurzem wieder deutlich mehr Krankschreibungen aufgrund des Virus. Die Anzahl der Versicherten, die sich krankgemeldet haben und bei denen Corona nachgewiesen wurde, stieg zwischen Ende August und Anfang Oktober um 102 Prozent. Allerdings: Im Juli waren noch deutlich mehr Beschäftigte krankgeschrieben als aktuell.
Wiedereingliederung bei Long Covid
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein Instrument, um die Arbeitsunfähigkeitsdauer von Beschäftigten zu reduzieren und ihnen eine frühzeitige und strukturierte Rückkehr in den Betrieb ermöglichen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die länger als 6 Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, bekommen dadurch Unterstützung. Basis dafür ist das Sozialgesetzbuch § 167 SGB IX, das Arbeitgeber seit 2004 zum BEM verpflichtet.
Das Hamburger Modell ist ein Sonderfall des BEM. Denn die Krankenkasse zahlt weiter die Kosten für den Beschäftigten. Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass vor allem langzeiterkrankte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr langsam und schrittweise wieder in den Job eingegliedert werden. Ein Arzt oder eine Reha-Einrichtung erstellt einen Wiedereingliederungsplan mit Rücksicht auf den Genesungsfortschritt des Beschäftigten. Es geht darum, die Wochenarbeitszeiten langsam anzuheben und dabei auch die Belastbarkeit des Beschäftigten auszuloten.
Eine Coronainfektion kann als Arbeits-, bzw. Wegeunfall oder als Berufskrankheit anerkannt werden. Auf eine Berufskrankheit können sich Beschäftigte des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege und in Laboratorien berufen. Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sind dann vor allem bei der Rehabilitation umfangreicher als die der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) schreibt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb dieser Tätigkeitsbereiche können die Erkrankung als Arbeits- oder Wegunfall anzeigen.
Die Daten der DAK sind intern und liefern dadurch ein deutlich aktuelleres Bild als viele andere Auswertungen, welche die Krankenkassen aufbereiten und in Form von Studien veröffentlichen. Deshalb zeigt sich in den Zahlen der Versicherung Barmer noch kein eindeutiger Trend: In der Kalenderwoche 37, also Mitte September, waren mehr als 29.000 Versicherte aufgrund einer Infektion arbeitsunfähig. Gut 600 weniger als in der Vorwoche. Mitte Juli mussten sich mehr als 70.000 Versicherte krankschreiben lassen – in der letzten Märzwoche sogar fast 90.000. Auch in den Daten der AOK zeigt sich der Höchstwert seit Ausbruch der Pandemie im März dieses Jahres.
Das wissenschaftliche Institut der AOK hat erst im September ausgewertet, wie lange krangeschriebene Mitarbeiter im Schnitt ausfielen, in welchen Branchen besonders viele Beschäftigte wegen einer Infektion nicht arbeiten konnten – und mit welchen Auswirkungen sich somit auch Unternehmen konfrontiert sehen. Die untersuchten Daten erstrecken sich vom Beginn der Pandemie im März 2020 bis Ende Juli 2022. Demnach fielen die AOK-Versicherten mit einer Infektion im Schnitt 9,5 Tage aus. Mit einer viel längeren Abwesenheit mussten Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechnen, wenn die Versicherten nach der Infektion an Long-Covid erkrankten. Dann fielen sie im Schnitt 47,4 Tage aus.
Das Institut ermittelte auch, in welchen Branchen besonders viele Arbeitnehmer mit einer Coronainfektion in den vergangenen zweieinhalb Jahren krankgeschrieben waren. So traf es allen voran Kindererzieher. Pro 100.000 Versicherten verzeichnete die Krankenkasse mehr als 28.000 Erkrankte in dieser Jobgruppe. Dahinter folgen medizinische Fachangestellte, Berufe in der pharmazeutisch-technischen Assistenz und Ergotherapeuten. Auch unter Physiotherapeuten, Bankkaufleuten und Werkzeugtechnikern zeigten sich viele Ausfälle – mit jeweils mehr als 20.000 Erkrankten pro 100.000 Versicherten. Bei Straßenbahn- und Busfahrern, Berufen im Hochbau und Landwirten traten hingegen die wenigsten Fälle auf.
Bislang keine Auswirkungen
Bisher führen die gehäuften Infektionen bei den meisten Unternehmen zu keinen größeren Störungen im Betriebsablauf. Bei der Einzelhandelskette REWE halte sich „glücklicherweise noch alles im Rahmen“, sagt ein Sprecher. Nur „hier und da“ komme es durch das Zusammentreffen von Herbstferien und Corona zu „Härtefällen“. Der Wohnungskonzern Vonovia teilt auf Anfrage mit, dass sich der Krankheitsstand im Unternehmen mit den durchschnittlichen Zahlen in Deutschland decke. Die Prozesse würden reibungslos laufen. Vonovia zeigt sich zuversichtlich, „mit unserem bewährten Hygiene- und Schutzkonzept gut durch den Herbst und Winter zu kommen“. Dafür gebe es eine enge Abstimmung mit dem betriebsärztlichen Dienst, vor allem aber setzte das Unternehmen auf Eigenverantwortung.
Auch der Autobauer Mercedes sieht aktuell keine Auswirkungen auf die Produktion. Man beobachte die Ausbreitung des Coronavirus jedoch „engmaschig, um jederzeit auf die sich sehr dynamisch verändernde Situation reagieren zu können“, heißt es beim Unternehmen.
Tatsächlich spricht viel dafür, dass die Pandemie die Unternehmen in den kommenden Wochen wieder stärker herausfordern wird. Ein Forscherteam verschiedener deutscher Universitäten und Institute hat modelliert, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln könnte. Die Forscher entwerfen drei Szenarien. Im besten Szenario würde keine neue Virusvariante auftreten. Allerdings: Selbst in diesem Szenario würde eine Infektionswelle im Winter auftreten, die „wegen vieler Infektionen zu einer Verschärfung des Personalmangels in kritischen Infrastrukturen“ führen könnte, heißt es in der Analyse.
Um gewappnet zu sein, setzt der Klinikbetreiber Asklepios auf Vorbeugung. Grundsätzlich, heißt es bei dem Unternehmen, sei der Krankenstand in den Kliniken bereits seit Jahresbeginn im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen höher. Die Personalausfälle bewegten sich dabei etwa analog zu denen in anderen Unternehmen und Einrichtungen in den jeweiligen Regionen. Eine hohe Impfquote von fast 95 Prozent, die Pflicht, FFP2-Masken zu tragen und regelmäßige Tests sollen nicht nur den Schutz der Patienten, sondern auch den Betrieb sichern. Dazu gehört auch die Vorbereitung auf ein weiteres saisonales Risiko: Bundesweit laufen derzeit Kampagnen für eine Grippeschutzimpfung, um auch hier Personalausfällen vorzubeugen.
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