Coronatests Warum hat Österreich reichlich günstige PCR-Tests, Deutschland aber nicht?

In Deutschland sind die sicheren PCR-Tests knapp und teuer, in Österreich gibt es sie massenhaft und günstig. Woran liegt das? Quelle: imago images

Während Deutschland die besonders sicheren PCR-Tests nun rationiert, hat das Nachbarland Österreich seine Kapazitäten rechtzeitig hochgefahren. Der Wiener Laborbetreiber Lifebrain verlangt auch nur sechs Euro pro Test. In Deutschland sind dagegen Preise von 70 Euro und mehr üblich. Wie ist das möglich?

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Rainer Sturma steht inmitten eines entfesselten Chaos. Auf der Straße, die durch durch das Medizinareal Baumgartner Höhe im Wiener Bezirk Penzing führt, halten im Minutentakt zentnerschwere Laster, um PCR-Testproben abzuliefern. Männer mit vollbepackten Schiebewagen sprinten im Laufschritt an dem 33-jährigen biomedizinischen Techniker vorbei. Vor Sturma bremst ein Auto, der Fahrer springt heraus. „Ich habe die Corona-Tests von der Polizei im Kofferraum. Wo kann ich die abliefern?“

Sturma, Co-Geschäftsführer des Wiener Corona-Testanbieters Lifebrain, scheint die Hektik wenig anhaben zu können. „Einfach geradeaus zum nächsten Pavillon“, erklärt der dem Fahrer in Seelenruhe und deutet auf ein Jugendstilgebäude. Hinter den denkmalgeschützten Fassaden arbeiten schrankgroße Maschinen daran, die PCR-Testproben innerhalb von 24 Stunden auszuwerten: Positiv oder negativ? Bis zum Mittag des 24. Januar 2022 sind bereits 130.000 PCR-Tests im Lifebrain-Labor auf der Baumgartner Höhe eingetroffen. Rund 400.000 sollen es an diesem Tag laut Computervorhersage noch werden. An Spitzentagen wertet Lifebrain sogar bis zu 800.000 PCR-Tests aus. Ist das überhaupt zu schaffen?

Während in Deutschland die besonders sicheren PCR-Tests künftig rationiert werden – an Risikopatienten und Klinikpersonal – sind die Kapazitäten in Österreich reichlich verfügbar. Allein in Wien können pro Tag fast eine Million Tests durchgeführt werden. Zum Vergleich: Für ganz Deutschland liegt die Tageskapazität bei rund 400 000 PCR-Tests täglich.

Was noch mehr verwundert, ist der Preis der PCR-Tests in Österreich. So verlangt Lifebrain, der führende Laborbetreiber in Wien, gerade einmal sechs Euro pro Test. In Deutschland sind hingegen Preise von 70 Euro und mehr die Regel. Fragt sich nur, wie dieses Preisgefälle möglich ist. Produziert das Unternehmen Lifebrain Dumping-Analysen oder sind die deutschen Labore schlicht zu teuer?

Rund 1000 Mitarbeiter beschäftigt Lifebrain, der Umsatz dürfte 2021 rund 300 Millionen Euro erreichen. Rainer Sturma hat den Pavillon 17 betreten. Auch auf den Gängen emsiges Treiben; Menschen laufen mit Kisten voller PCR-Testkits herum. Es sind längliche Röhren, die die Flüssigkeiten von den sogenannten Gurgeltests beinhalten, wie sie in Wien massenhaft angeboten werden. Statt eines Nasen- oder Rachenabstrichs gurgeln die Wiener bei diesem Verfahren mit einer speziellen Flüssigkeit, die anschließend im Labor analysiert wird. „Man bekommt die Gurgeltests im Drogeriemarkt und kann sie dann einfach wieder dort oder in Supermärkten sowie an Tankstellen, in Schulen oder an Bahnhöfen abgeben“, sagt Sturma. In maximal 15 Gehminuten kann jeder Wiener an einen solchen Gurgeltest herankommen und ihn wieder abgeben.

Sturma betritt einen Raum des Pavillons, in dem es etwas ruhiger zugeht. Nur ein leichtes Surren von den Dutzenden Robotern auf den Tischen vor Sturma ist zu vernehmen. „Pipettierroboter“, nennt Sturma die Maschinen. Die Roboter fassen den Inhalt von zehn Testkits zu je einer Probe zusammen. Von den Maschinen im nächsten Pavillion werden aus den zusammengefassten Proben dann die PCR-Tests gemacht. Poolverfahren nennt sich das. Ist im Pool eine Probe positiv, werden die einzelnen Tests nochmal separat ausgewertet. Das spart Ressourcen und damit Geld.



„Wenn wir nur 5000 Tests pro Tag auswerten würden, könnten wir sie nicht für sechs Euro pro Stück anbieten. Weil wir aber täglich rund 500.000 Proben auswerten, haben wir Skaleneffekte, durch die wir zu diesem Preis anbieten können“, sagt Sturma.

Der Gründer und CEO von Lifebrain, der frühere Herzchirurg Michael Havel, nennt die Zentralisierung und Automatisierung der Laborkapazitäten als Gründe dafür, warum sein Unternehmen entsprechend günstig anbieten kann. 2012 hat sich Havel mit einem Laborunternehmen selbstständig gemacht, zunächst war er vor allem in Italien erfolgreich. Im Oktober 2020 erkannte Havel, dass es massive Engpässe bei den Testkapazitäten geben wird. Er bot der Stadt Wien an, ein großes Testzentrum neu hochzuziehen und die Tests günstig anzubieten.

Und dann sind da natürlich noch die hohen Margen, die sich die Konkurrenz offensichtlich einverleiben will. „Dass die Preise anderswo höher sind, ist schön für die jeweiligen Laborbetreiber“, sagt Havel, „die Gewinnspannen müssen dort exorbitant hoch sein.“ Lifebrain mache auch bei sechs Euro noch Gewinn, versichert Havel. Eine Expansion nach Deutschland plane Lifebrain jedoch nicht: „Dort ist der Konkurrent Synlab zu stark.“

Der Vergleich mit den niedrigen Preisen bei Lifebrain scheint deutschen Laborbetreibern eher unangenehm zu sein. Der deutsche Marktführer Synlab lehnt eine Stellungnahme ab und verweist auf den Interessenverband der akkreditierten medizinischen Labore in Deutschland ALM. Auf eine entsprechende Anfrage reagiert der ALM jedoch nicht.

Kai te Kaat, Manager beim deutschen Dax-Konzern Qiagen, der PCR-Testautomaten für die Labore herstellt, kann dem österreichischen System durchaus einiges abgewinnen – etwa das Angebot an PCR Gurgel-Tests, das in Deutschland „so nicht zu finden“ sei. „Aus meiner Sicht ist es angesichts steigender Infektionszahlen sinnvoll, mehr PCR-Tests von zu Hause durchzuführen“, sagt te Kaat. Um Kapazitäten zu sparen, könnten sich Haushalte etwa im Pooling-Verfahren testen.

Es gebe auch noch Möglichkeiten, die Testkapazitäten in Deutschland zu steigern, heißt es vonseiten der Hersteller. Geeignete technische Verfahren, um PCR-Tests schneller durchzuführen, seien verfügbar. Zudem könnten etwa auch Apotheker PCR-Tests durchführen.

Gänzlich unumstritten ist Lifebrain, das über die französische Gesellschaft Cerba Healthcare zum Finanzinvestor EQT gehört, in Österreich allerdings auch nicht. So wirft etwa die Ärztekammer Wien Lifebrain vor, keine gültige Bewilligung für solche Tests zu haben, und hat gegen Lifebrain geklagt. Bislang erfolglos. Zuletzt verwarf das Handelsgericht Wien die Klage der Ärztekammer. Die Berufung läuft. Bei Lifebrain wertet man die Klage als Einschüchterungsversuch von etablierten Testanbietern, die durch Lifebrain nun eben preislich unterboten werden.

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Co-Geschäftsführer Sturma wirkt auch dabei gelassen. Am Ende des Rundgangs steht er wieder vor dem Pavillon. Lkw pressen an Sturma vorbei, ein Auto des österreichischen Bundesheeres mit einem Koffer voller Testkits parkt vor ihm. Eines fällt Sturma neben den Skaleneffekten noch ein, warum Lifebrain die Tests so günstig anbieten kann. „Es gehört eben auch der Wille dazu, auf eine allzu hohe Marge zu verzichten.“

Mehr zum Thema: Bund und Länder wollen kostenlose PCR-Tests nur noch bestimmten Gruppen zugänglich machen, weil Labore an Kapazitätsgrenzen kommen. Unverständlich, sagt Christoph Neumeier, einer der größten Teststellenbetreiber.

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