Coronavirus „Eine vergleichbare Situation hat es noch nie gegeben“

Um die Ausbreitung des Coronavirus einzuschränken, werden aktuell die meisten Großveranstaltungen abgesagt. So auch die Internationale Tourismus Börse (ITB) in Berlin. Quelle: dpa

Die jüngsten Veranstaltungsausfälle setzen Messebetreiber unter Druck. Viele Aussteller testen andere Konzepte, um ihre Produkte zu zeigen – etwa per Livestream. Offenbar mit Erfolg. Wackelt das Geschäftsmodell Messe?

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Das Coronavirus erschüttert die globale Messelandschaft. Wo Erkrankungen bekannt sind, werden für März und April geplante Großveranstaltungen reihenweise verschoben. Jährlich stattfindende Events werden gar abgesagt, wie zuletzt die Leitmesse der weltweiten Tourismusbranche ITB oder die Leipziger Buchmesse. Allein in Deutschland finden bislang 45 Messen nicht zum geplanten Termin statt, weltweit sind es hunderte.

Ob eine Veranstaltung ausfallen muss, entscheiden die örtlichen Gesundheitsämter, die sich an den Empfehlungen des Krisenstabs der Bundesregierung orientieren. Nun hat Gesundheitsminister Jens Spahn ausdrücklich empfohlen, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern vorerst abzusagen. Zur Zeit geschehe das aus seiner Sicht immer noch zu zaghaft: „Wir werden in den nächsten Tagen darüber sprechen, wie wir mit den wirtschaftlichen Folgen umgehen“, sagte der CDU-Politiker.

Im Gegensatz zu vielen anderen Veranstaltern, etwa den großen Fußballklubs, reagierten die meisten Messebetreiber jedoch schon vor Spahns Empfehlung auf die Ausnahmesituation. Denn laut Harald Kötter, dem Sprecher des Messeveranstalter-Verbands AUMA, ist das Gelingen einer Messe nicht über die bloße Ausrichtung gesichert: „Auch wenn es von Seite der Gesundheitsbehörden keine Beschränkungen gibt: Der Erfolg einer Messe hängt in erster Linie von der Präsenz der Aussteller und Besucher ab“.

Verluste sind für Messebetreiber unvermeidlich

Diese Erfahrung machten die Messebetreiber in Nürnberg, die Ende Februar wie geplant die „Embedded World 2020“ ausrichteten, eine Fachmesse für eingebettete Technologien. Etwa 200 Unternehmen zogen die Teilnahme kurzfristig zurück, die Besucherzahl lag mit 13.800 nicht halb so hoch wie im Vorjahr. „Die Diskussion rund um Ausstellerabsagen und das Coronavirus hat sich stark auf die Embedded World ausgewirkt“, sagt Geschäftsleitungsmitglied Thomas Preutenborbeck. Einige Aussteller hätten den Messeverlauf „als eher unbefriedigend für sich“ bewertet, es gäbe aber auch positive Resonanz.

Allerdings dürfte der wirtschaftliche Schaden bei Absage einer Messe weit höher liegen. Zudem ist noch unklar, wer dann die Kosten trägt. Handele es sich um einen Fall höherer Gewalt, würden die Verträge „normalerweise rückabgewickelt, sodass keine gegenseitigen Schadensersatz-Ansprüche bestehen“, sagt Silvia Bauermeister, Referentin für Recht des Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (Auma). Ob das Coronavirus als höhere Gewalt angesehen wird, sei wegen der schnellen und häufigen Änderung der aktuellen Lage schwierig zu beantworten.

Versicherbar sind die Risiken aus Epidemien für Veranstalter wie die Messebetreiber faktisch nicht, sagt Guido Gudat, Leiter der Unternehmenskommunikation der Köln-Messe. Von einem deutschen Messebetreiber, der sich vor einiger Zeit um so eine Versicherung bemüht hat, war hinter vorgehaltener Hand zu erfahren, dass die Beiträge gemessen am Nutzen einer solchen Police viel zu hoch gewesen seien.

Die Messebetreiber bevorzugen daher eine Verschiebung der Veranstaltungen, wie in Köln die internationale Eisenwarenmesse. Laut Gudat behalten dabei alle Verträge ihre Gültigkeit, somit belaufe sich der wirtschaftliche Schaden vor allem auf den Aufwand für die Umplanung.

„Alle Messegesellschaften befinden sich gerade in einer Ausnahmesituation“

Wie hoch die wirtschaftlichen Schäden sind, wenn eine Messe verschoben wird, lässt sich derzeit nicht seriös beziffern. Laut Sandra Kircher, Geschäftsführerin der Messe Offenburg-Ortenau, ist es jedenfalls ein Verlustgeschäft, da „bei einer Verschiebung im Vorfeld bereits Kosten angefallen sind, die zu einem neuen Termin ebenfalls aufgewendet werden müssen“. Aktuell suchen die Offenburger nach einem Ausweichtermin für die Geo-Therm, Europas größter Fachmesse für Geothermie. Erschwerend sei dabei, dass Terminverschiebungen bei gut ausgelasteten Veranstaltungsstätten „immer auch Auswirkungen auf den gesamten Terminkalender“ hätten, erklärt Kircher.

Auch in Hamburg laufen die Planungsarbeiten auf Hochtouren: „Eine vergleichbare Situation hat es noch nie gegeben – alle Messegesellschaften befinden sich gerade in einer Ausnahmesituation“, sagt Karsten Broockmann, Pressesprecher der Hamburg Messe und Congress. Das Unternehmen hat zwar einen neuen Termin für die internationale Fachmesse für Hotellerie, Gastronomie, Bäckereien und Konditoreien (Internorga) gefunden – die Verschiebung war laut Broockmann allerdings herausfordernd: „Gerade bei jährlich stattfindenden Veranstaltungen ist es schwierig, zeitnahe Alternativtermine zu finden, damit sie nicht zu dicht am Termin für das nächste Jahr liegen“.

Doch die Messebetreiber müssen nicht nur die freien Kapazitäten und den Abstand zur nächsten Veranstaltung beachten: „Auch die Branche muss mit den neuen Terminen einverstanden sein, das ist nicht einfach“, sagt Markus Quint, Pressesprecher der Frankfurt Messe, dem weltweit größten Messe-, Kongress- und Eventveranstalter mit eigenem Gelände – ein großer Vorteil, wenn es um die Suche nach Ersatzterminen für Großveranstaltungen geht. So konnte etwa die Weltleitmesse für Licht und Gebäudetechnik „Light + Building“ in den Herbst dieses Jahres verschoben werden.

Allerdings sollten die Frankfurter dieses Jahr auch 28 Messen in China ausrichten. Zehn davon wurden bereits verschoben, eine gar abgesagt. „In China ist es schwierig, Ausweichtermine zu finden, weil die Behörden sämtliche Veranstaltungen für das erste Quartal abgesagt haben. Jetzt suchen alle Veranstalter nach Möglichkeiten“, erklärt Quint.

Sind digitale Formate das Ende der klassischen Messe?

Auch in der Schweiz hat die Regierung Veranstaltern die Entscheidung, ob Events stattfinden, abgenommen. Der Bundesrat verbot bis auf weiteres alle öffentlichen und privaten Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Dadurch musste auch der Genfer Autosalon abgesagt werden, der erfahrungsgemäß rund 600.000 Besucher aus aller Welt anzieht.

Viele Autobauer präsentierten ihre Produkte deshalb im Livestream, etwa die deutschen Hersteller Audi und BMW. Neu ist das allerdings für beide Unternehmen nicht: „Die digitale Begleitung von Weltpremieren, Messeauftritten und anderen Events über unsere Online- und Social-Media-Kanäle gehört längst zur Normalität“, sagt eine Unternehmenssprecherin bei Audi. Die detaillierten Auswertungen zum Livestream laufen zwar noch, das Unternehmen sei aber sehr zufrieden mit dessen Erfolg. Auch BMW streamte bereits Teile anderer Konferenzen. Bislang habe der Livestream über 20 Millionen Aufrufe, sagt Unternehmenssprecher Christophe Koenig: „Wir sind mit der ins Netz verlegten Präsentation hochzufrieden“.

Beide Unternehmen wollen Veranstaltungen auch zukünftig digital begleiten. Aber könnte das Format die klassischen Messen ersetzen? Audi schließe kein Format grundsätzlich aus, es müsse aber passen, sagt die Sprecherin: „Messen müssen Schritt halten mit dem Wandel in unserer Industrie – und mit der veränderten Erwartungshaltung in der Gesellschaft. Sie müssen erlebbar, anfassbar und ansprechend für die Öffentlichkeit sein“. BMW gehe davon aus, dass es zu einer weiteren Konzentration im Messebereich kommen wird, sagt Unternehmenssprecher Koenig, betont allerdings: „Der direkte Kontakt ist für uns jedoch nicht ersetzbar.“

Auma-Geschäftsführer Harald Kötter betrachtet die Relevanz der Messen als gesichert: „Von Ausstellern und Beobachtern, die sich Alternativkonzepte angesehen haben, haben wir gehört, dass sie auf den persönlichen Kontakt, auch mit dem Produkt, weiterhin großen Wert legen.“

Er gehe nicht davon aus, dass sich die Messelandschaft in Deutschland auf lange Sicht durch das Virus verändern werde, auch mittelfristig seien keine schwerwiegenden Schäden für die Veranstalter zu erwarten: „Die aktuell besonders betroffenen Events sind von internationaler und nationaler Bedeutung. Sie werden meist von Veranstaltern durchgeführt, die über das Jahr ein breites Messeprogramm haben und zumindest von einzelnen Absagen nicht im Kern getroffen werden“, erklärt Kötter. Regionale Messen würden hingegen häufig von kleinen Veranstaltern ausgerichtet, die nur wenige Events im Jahr organisieren – bislang hätten die meisten dieser Veranstaltungen jedoch stattgefunden. „Jetzt werden auch kleinere Messen verschoben, das könnte kleinere Unternehmen empfindlich treffen“, sagt Kötter. Insgesamt sei die aktuelle Situation eine gewaltige Herausforderung für den Messeplatz Deutschland.

Welche Lehren die Messebetreiber und Veranstalter aus den Folgen des Virus ziehen, lässt sich laut Markus Quint von der Frankfurt Messe noch nicht sagen: „Es gibt noch viele Details zu klären. Zum Beispiel lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen noch nicht seriös einschätzen“, sagt der Pressesprecher. Die Messen zu verschieben sei aber „definitiv die richtige Entscheidung“ gewesen. 

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