Sie machten Tierärztin und Tierarzt zum Traumberuf vieler Kinder: Clarence, der schielende Löwen, der wegen seines Sehfehlers nicht mehr jagen kann. Judy, die kluge Schimpansendame, die permanent Unsinn anstellt. Und Dr. Marsh Tracy, der zusammen mit seiner Tochter Paula eine Wildtierstation in Afrika leitet. Sie waren die Hauptdarsteller der Abenteuer-Serie „Daktari“ (Swahili für „Arzt, Doktor“), deren vier Staffeln erstmals Mitte der Sechzigerjahre über die Bildschirme flimmerten.
Doch die Zeiten, als der Tierarzt noch Herr seiner eigenen kleinen Praxis war (bei „Daktari“, „Der Doktor und das liebe Vieh“ oder „Unser Charly“ romantisch in Szene gesetzt), neigen sich dem Ende entgegen – seit geraumer Zeit in den USA, bald wohl auch in Europa. Das Magazin Businessweek spricht von „Corporatization“ der Veterinärmedizin und meint: Großkonzerne übernehmen kleine Tierarztpraxen und -kliniken, so wie Wal-Mart und Aldi einst die Tante-Emma-Läden ausgerottet haben.
So wird die schwedische Tierklinikkette AniCura demnächst zum US-amerikanischen Lebensmittelriesen Mars gehören, dem Familienunternehmen mit Sitz in Virginia. Die Beweggründe des Konzerns, der neben Schokoriegeln (Twix, Snicker, Wrigley's-Kaugummi), Lebensmitteln (Uncle-Ben's-Reis), Getränken und Pflanzenpflegeprodukten auch Tiernahrung (Pedigree, Whiskas) herstellt, liegen auf der Hand: In der Haustiersparte sind die Wachstumsaussichten blendend, in der Süßwarensparte dagegen nicht.
Zum Konzern
AniCura wurde 2011 vom Private-Equity-Unternehmen Fidelio Capital und der Stiftung des Stockholmer Tierkrankenhauses gegründet. In nur sieben Jahren wurde daraus ein Unternehmen mit mehr als 4000 Mitarbeitern, davon 1200 Tierärzte, in etwa 200 Tierkliniken und Tierarztpraxen in sieben europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland. Auf der deutschen Internetseite sind derzeit 30 Standorte verzeichnet, obwohl AniCura erst seit 2015 hierzulande tätig ist.
Über den Kaufpreis hat sich der Konzern nicht geäußert, laut Reuters und Wall Street Journal sollen die Amerikaner knapp zwei Milliarden Dollar gezahlt haben. Eingegliedert wird AniCura in die Tiernahrungssparte Mars Petcare. Mars ist ein familiengeführtes Unternehmen mit über 75.000 Mitarbeitern in 50 Ländern. Der Lebensmittelkonzern erzielt mittlerweile weltweit die Hälfte seines Umsatzes von umgerechnet rund 30 Milliarden Euro mit Tierfutter wie zum Beispiel Pedigree, Whiskas, Royal Canin oder Sheeba.
Zugriff auf deutsche Tierärzte
In den USA betreibt Mars Petcare fast 2000 Tierarztpraxen und Kliniken. Mit dem Kauf von AniCura und dem britischen Tierarzt-Praxisnetzwerk Linnaeus am Monatsbeginn kommt der Konzern auch in Europa auf einen Schlag auf 287 Praxisstandorte in acht europäischen Ländern. In Deutschland ist AniCura mit 30 Praxen und Kliniken die bisher größte Tierarztkette.
Die Bedeutung von 30 Tierkliniken für die Versorgung sollte nicht unterschätzt werden. Solche Kliniken bieten ein großes Leistungsspektrum und eine umfangreiche technische Ausstattung. Sie haben damit typischerweise eine Schlüsselstellung für die tierärztliche Versorgung in ihrer Region. Außerdem finden gerade die Inhaber großer Kliniken naturgemäß nur schwer einen jungen Nachfolger, der einen angemessenen Kaufpreis finanzieren kann. Das bietet finanzstarken Unternehmen wie AniCura und der ebenfalls schwedischen Tierarztkette Evidensia auch in Deutschland viele Übernahmemöglichkeiten – mit lukrativen Margen. Die Rentabilität von Tierarztpraxen liegt in Deutschland im Mittel bei knapp 22 Prozent.
Mehr als 15 Milliarden Dollar für Veterinärbesuche
Schon zu Beginn des vergangenen Jahres hatte Mars die Weichen für sein Tierklinik-Imperium gestellt. Der Konzern schluckte den Tierklinikbetreiber VCA für 7,7 Milliarden Dollar. Einschließlich der Übernahme von Schulden belief sich der Deal auf mehr als neun Milliarden Dollar. VCA wurde 1986 gegründet und betreibt seinerseits fast 800 Tierkliniken in den USA und Kanada. „Zusammen können wir noch mehr Wert schaffen und besseren Service und bessere Versorgung für Tiere und Tiereigner anbieten“, jubilierte Mars-Chef Grant Reid seinerzeit.
Das Geschäft dürfte sich lohnen. Mehr als 15 Milliarden Dollar gaben die Amerikaner 2015 für Veterinärbesuche aus. Und anders als in der Humanmedizin müssen sich Tierärzte nicht mit unbezahlten Rechnungen herumärgern – oder mit Krankenkassen, die Preise nachverhandeln wollen. Herrchen und Frauchen zahlen bar und direkt an Ort und Stelle.
1,6 Millionen Haustiere in den USA haben sogar eine eigene Krankenversicherung. Es ist ein kleiner, aber steigender Prozentsatz, weil Unternehmen wie die Fluggesellschaft Delta oder die IT-Konzerne Hewlett-Packard und Microsoft sie Mitarbeitern als Lohnzusatz anbieten. Für die Tierkliniken ändert das wenig: Auch für versicherte Tiere muss der Halter den Arzt direkt bezahlen und sich dann sein Geld von der Versicherung zurückholen.
Weitere Vorteile: Es drohen keine Kunstfehler-Prozesse, wenn etwas schiefgeht. Tiere gelten vor dem Gesetz als Sachen, Tierärzte müssen nicht horrende Schmerzensgeldforderungen befürchten. Auch Aufsichtsbehörden gibt es kaum, anders als in der Humanmedizin.
Alles unter einem Dach
Wenn Fressnapf-Gründer Torsten Toeller über den neun Milliarden Dollar schweren Deal von Mars im vergangenen Jahr sinniert, bekommt der Krefelder glänzende Augen. „Das würde super zu uns passen“, schwärmt er. Der Markt für Tiergesundheit habe ein riesiges Potenzial und sei eine perfekte Ergänzung zur Ernährung.
Zumindest im Kleinen ist Fressnapf in diesem Markt ohnehin schon präsent. Zum Tiernahrungskonzern gehört das Tierartzpraxis-Unternehmen Activet mit derzeit drei Filialen in Krefeld, Duisburg und Hannover. Fressnapf investiert in die Praxen, die von einem selbstständigen Tierarzt geführt werden. Sie sind jeweils in einen großen Fressnapf-Laden integriert. Im August eröffnet eine weitere Praxis im Fressnapf-Markt in Gelsenkirchen.
Der europäische Marktführer für Tierbedarf hat ehrgeizige Ziele: Der Umsatz soll in diesem Jahr die Zwei-Milliarden-Euro-Grenze durchbrechen. Doch ausschließlich mit Tiernahrung ist das nicht zu schaffen. In diesem Markt herrscht ein gnadenloser Preis- und Marktanteilskampf, nicht zuletzt befeuert durch Supermärkte, Discounter und Drogeriemarktketten.
Entsprechend breit stellt sich Fressnapf beim Angebot auf. Schon ein Drittel des Umsatzes macht der Krefelder-Konzern nicht mit Tiernahrung, sondern mit Zubehör. „Wir tun alles dafür, das Zusammenleben von Mensch und Tier einfacher, besser und glücklicher zu machen“, ist einer der Leitsätze des Unternehmens.
Und das scheint sich auch auszuzahlen. Zwar nennt Fressnapf traditionell keine Gewinnzahlen. Aber Toeller macht keinen Hehl daraus, dass sein Unternehmen profitabel ist. „Unser Ergebnis hat sich noch besser entwickelt als der Umsatz“, sagt er.