




Herr Kassaei, wo waren Sie, als Mario Götze mit seinem Tor Deutschland in Rio zur Weltmeisterschaft schoss?
Auf Ibiza mit meiner Familie.
Sie sind im Iran geboren, in Österreich aufgewachsen, haben in Deutschland Karriere gemacht und leben seit Jahren auch in New York – wie sieht die Welt diese deutsche Nationalelf?
Als eine moderne, progressive Mannschaft, die die Werte eines neuen Deutschlands repräsentiert und fussballerisch nichts mehr mit den deutschen Klischees der Vergangenheit zu tun hat.
Ist das ein anderes Bild als nach der WM 2006?
Ja, weil das System und das Team endlich auch Erfolg haben.

Färbt das Image des Teams ab auf die „Marke Deutschland“?
Definitiv. Wenn sogar in England der Ruf nach der Erfolgsformel der „Mannschaft“ laut wird und man sich Deutschland als Vorbild nimmt, dann hat diese Mannschaft für die Marke Deutschland herausragendes geleistet.
Wofür steht diese Marke aktuell?
Für Organisation, Systematik, Akribie, Zielstrebigkeit und Wahrhaftigkeit. Also nicht die schlechtesten Werte, die eine Marke haben kann.
Zur Person
Kassaei, 45, ist seit 2011 weltweiter Kreativchef des Agenturnetzes DDB in New York. Geboren in Iran, aufgewachsen in Österreich, studierte er an der französischen Eliteschule Insead. 2009 kürte das Branchenmagazin „The Big Won“ Kassaei, der hinter dem VW-Slogan „Das Auto.“ steckt, zum „besten Kreativen der Welt“.
Wer prägt stärker für das Bild dieser seltsamen Deutschen – der blutende Bastian Schweinsteiger, der sich immer wieder aufrafft und im Spiel bleibt, oder der filigrane Zauber von Mario Götzes Tor?
Beides. Genau diese Mischung macht ja die Magie der neuen Nationalmannschaft, aber auch ihren Erfolg aus und beide stehen auch jetzt stellvertretend für die alten und neuen Tugenden der Deutschen.
Profitieren nur die direkten DFB-Sponsoren von dem Erfolg oder verschafft der Titel auch anderen deutschen Unternehmen international einen WM-Bonus?
Naja, es war ja nicht so, dass global agierende deutsche Unternehmen und Marken kein Ansehen hatten. Man schätzt und respektiert immer noch „Made in Germany“. Aber man kann auf dem Erfolg der Nationalmannschaft das teils eindimensionale Bild von deutschen Marken um die Werte Menschlichkeit, Respekt, Modernität und Eleganz erweitern.
Small Talk WM
Zwei Wochen brauchte die rumänische Nationalmannschaft im Sommer 1930 von Bukarest nach Montevideo. Außer ihr hatten nur drei weitere europäische Vereine den Weg nach Uruguay auf sich genommen – nämlich Belgien, Frankreich und Jugoslawien. Bei dieser ersten Fußball-WM gab es keine Qualifikationsrunde. Jede Nationalmannschaft, die Lust hatte, konnte teilnehmen.
Kommt die Sprache auf Spieler die verletzungsbedingt ausfallen, wie der Franzose Franck Ribéry oder Marco Reus, könnten Sie folgende Anekdote zum Besten geben: Dem spanischen Nationaltorwart Santiago Cañizares vermasselte eine Flasche mit Aftershave die Teilnahme an der WM 2002. Er wollte sich gerade im Badezimmer frisch machen, um mit seiner Mannschaft zu Abend zu essen, da viel ihm die Flasche hinunter. Aus Reflex versuchte Cañizares sie mit dem Fuß aufzufangen – aber keine Chance. Die Flasche zersplitterte, eine Scherbe durchtrennte eine Sehne im Fuß des Torwarts. Die WM war für ihn gelaufen.
Reiht sich Unentschieden an Unentschieden und Ihre Gesprächspartner sind sich schon einig, dass diese Ergebnisse für die Gruppenphase schon reichen werden, erwähnen Sie Neuseeland und die WM 2010. Ungeschlagen und mit drei Punkten im Gepäck verabschiedete sich die neuseeländische Nationalmannschaft nach Hause.
Auch wer sich auf dem Themengebiet Mode wohler fühlt, findet bei Fußball-Weltmeisterschaften immer wieder Anknüpfungspunkte. Zum Beispiel in Form des Hattrick-BHs, den ein japanischer Unterwäscheproduzent im Jahr 2002 pünktlich zur WM auf den Markt brachte. Die Körbchen des Büstenhalters waren mit Netzstoff überzogen und der BH für 145 Euro zu erstehen.
Das gilt für die Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft von 1970. Nachdem die Brasilianer in Mexiko den WM-Titel gewonnen hatten, wurden sie in ihrem Heimatland von der Steuerpflicht befreit.
Viel diskutiert: Das Klima in Brasilien. Deutsche Fußball-Fans fürchten, dass die europäischen Mannschaften mit dem südamerikanischen Wetter nicht zurechtkommen – auch während der WM wird darüber weiterhin hitzig diskutiert werden. Ihr Anknüpfungspunkt: Die WM 1950 in Brasilien. Die Engländer hatten versucht, sich auf die Wärme vorzubereiten. Die Mannschaft trainierte in einem ehemaligen Flugzeug-Hangar, in den heiße Luft gepumpt wurde. Doch damit nicht genug: die Spieler mussten zusätzlich langärmlige Pullover tragen. Das Ergebnis des harten Trainings: Vorrunden-Aus.
Interviews mit Fußballern direkt nach dem Spiel haben meist einen geringen Mehrwert. Sie sind total ausgelaugt; bedienen sich der Phrasen, die ihnen die Medientrainer beigebracht haben. Ganz anders bei einer WM-Anekdote, die Sie bezüglich Interviews erzählen könnten. Abwehrspieler Paul Janes gab nämlich nach der WM 1934 in Italien ein legendäres Interview, das sich wie folgt liest: „Herr Janes, Sie waren mit der Nationalelf in Italien?“ - „Ja.“ - „Sind Sie mit dem Abschneiden zufrieden?“ - „Ja.“ - „Hätten Sie Weltmeister werden können?“ - „Nein.“ - „Der dritte Platz tut es auch?“ - „Ja.“ - „Wie war es in Italien?“ - „Warm.“
Hat es Sinn, sich als Unternehmen jetzt noch werblich dranzuhängen an den Triumph?
Nein. Aber Unternehmen sollten sich in Marketing und Kommunikation am Quell-Code der Ära Klinsmann und Löw orientieren: Mut zum Risiko, das Hinterfragen von alten Strukturen und Denkwegen, das systematische Unterordnen aller Unternehmensentscheidungen unter ein großes, aber visionäres und langfristiges Ziel. Und auch bei Rückschlägen den eingeschlagenen Weg zu Ende zu führen
Wer sollte liebe die Finger davon lassen?
Marken und Unternehmen, die die Werte der Nationalmannschaft zwar predigen aber nie und nimmer im realen Unternehmer-Leben liefern
Wer von den Weltmeistern hat für Sie das größte Potenzial als Werbeheld?
Thomas Müller wird aufgrund seiner Art und seines Spiels für ehrliche und eher bodenständige Marken geeignet sein. Sami Khedira und Jerôme Boateng haben das gewisse Coolness-Potenzial, das man in der Lifestyle- Kategorie sehr gut ausschöpfen kann. Manuel Neuer wird in Asien ähnlich groß werden wie Oliver Kahn. Er repräsentiert alle Werte eines modernen Helden. Und Toni Kroos ist für mich ein Rohdiamant. Nicht nur vom Talent und der Intelligenz als Fußballspieler aber auch als Medien- und Marketing-Figur. Aber Vorsicht – man muss ihn so nehmen, wie er ist und man muss mit seinen Starken spielen.