Der Abo-Boom und seine Folgen „Unendliche Auswahl kann uns überfordern“

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Über die Spotify-Müdigkeit

Inwieweit spricht das für Abo-Modelle?
Entscheidungen erfordern den höchsten mentalen Aufwand. Auf Dauer wird das Gehirn faul und müde. Es ist mental überlastet. Diese kognitive Überforderung macht Abos attraktiv, weil der Konsument keine endgültige Entscheidung treffen muss. Ich binde mich für eine gewisse Zeit an ein Produkt oder einen Service, aber nicht voll und ganz.

Sind die Geschäftsmodelle nachhaltig?
Nicht alle. Abos erzeugen irgendwann auch ein Gefühl der Unfreiheit, der Klebrigkeit, besonders die im Internet geschlossenen bekommt man nur schwer wieder los. Unser Gehirn lebt zudem von kognitiven Differenzen, von neuen Anreizen. Und Abonnement machen erzeugen ja eher Gleichheiten. Unser Hirn ist kognitionspsychologisch auf Überraschungen geeicht, und Abonnements bringen entweder immer dasselbe, wie beim Schwarze-Socken-Abonnement, oder sie erzeugen eine unendliche Wahlmöglichkeit, die uns auch überfordern kann. Es gibt ja das Phänomen der "Spotify-Müdigkeit": Man kann alle Musik der Welt hören, aber nichts macht mehr richtig einen Unterschied. Deshalb entwickelt sich als Gegentrend zum Abonnement-Wesen dann wieder eine Sehnsucht nach dem Unikat, nach Handwerklichkeit und Einzigartigkeit...

Was bedeutet das für die Autobranche?
Der Nutzen eines Autos ist nicht allein die Mobilität, sondern der erweiterte Wohnraum. Der Fahrer kann im Auto vor seiner Außenwelt fliehen, er haust sich ein und zieht sich in seine Privatsphäre zurück. Als sich meine Eltern den ersten Ford gekauft haben, sind wir tagelang damit herumgefahren. Heute ist der Tesla meine Wohnstube. Das Auto vernetzt mich. Wenn ich einsteige, sind meine Lieblingslieder bei Spotify voreingestellt. Das Auto als Cocooning-Gerät lebt weiter.

Welche Abos sind dann vielversprechend?
Abos müssen eine Story erzählen. Es reicht nicht aus, einfach nur Produkte und Dienstleistungen als Abo zu verpacken und zu verkaufen. Dann rauscht das Abo nur so mit, bis der Kunde merkt, dass er es nicht mehr braucht. Früher war Tageszeitungs-Lesern das FAZ-Abo heilig. Heute ist es für viele das Netflix-Abo. Solange der Streaming-Dienst es schafft, bei den Konsumenten Signifikanz zu erreichen, indem er ihnen suggeriert, sonst die beste Serie zu verpassen, solange geht es Netflix gut.

Welche Story überzeugt Sie denn?
Ein Öko-Jeans-Abo der niederländischen Firma MUD. Pro Jeans zahlen wir rund acht Euro pro Monat, irgendwann gehört die Jeans uns, und wenn sie zerfetzt sind, schicken wir sie zurück und sie werden recycelt. Bio-Baumwolle, Fair Trade, Fair Work: Das ist echte Kreislaufwirtschaft, und in solchen Konzepten sehe ich noch viele Expansionsmöglichkeiten für Abonnements. Weil es einen echten Mehrwert bietet, einen echten Unterschied zum klassischen Konsum.

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