Der Krupp-Roller Als Scooter noch Benzinmotoren hatten

Die amerikanische „Autoped Company of Long Island City“ stellte 1915 den ersten, ursprünglich als Kinderroller gedachten Motorroller her. Quelle: imago images

Genau 100 Jahre bevor der E-Scooter nach Deutschland kam, versuchte der Industriekonzern Krupp einen Scooter in Deutschland zu etablieren – mit zweieinhalb PS, 40 km/h Höchstgeschwindigkeit und „Merkel-Motor“.

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Es stand zu befürchten, dass der E-Scooter, dieses scheue, lautlose Wesen, sich nach unserer sehr teutonischen Debatte über Helmpflicht, Kennzeichen und umkämpfte Bürgersteige gar nicht mehr nach Deutschland trauen würde. Diese Sorge war unbegründet. Die E-Scooter sind ins Land gerollt und zwar in Divisionsstärke. Gefühlt an jeder Ecke stehen sie nun stramm. Morgens bringen sie Anzugträger ins Büro und Hipster ins Loft. In der Dämmerung führt das Party-Volk, teils zu zweit aufs Trittbrett geklemmt, sehr eindrucksvoll vor, dass Alkohol noch lange nicht die größte Gefahr für den tätowierten Leib sein muss.

Nach Millionen E-Bikes nun also die E-Roller-Invasion und zunehmend auch E-Modelle in deutschen Autohäusern – kann es sein, dass sich das Land der Dichter und Diesel doch allmählich dem großen E verschreibt? Welch ketzerischer Gedanke für die Gläubigen der Kolben-Kirche.

Was die stolzen Freunde der in Deutschland erfundenen Kolbenkraftmaschinen vollends in den Wahnsinn treiben muss: Rollerland hätte gar nicht an den E-Feind gehen müssen. Es hätte auch ganz anders, also gänzlich unelektrisch, laufen können. Wenn, ja wenn, Alfried Krupp, Stahlbaron des letzten Jahrhunderts, seinen „Krupp-Roller“ mit Benzinmotor – man würde heute wohl sagen: B-Scooter – am Markt durchgesetzt hätte.

Der Krupp-Roller aus dem Jahr 1919 war ohne jede Übertreibung die Mutter aller Scooter: Zwei kleine Räder, dazwischen ein Trittbrett, vorne ein Viertaktmotor und eine Stange zum Lenken und Festhalten. Wollte man bremsen, lehnte man sich leicht zurück, die Lenkstange kippte ein wenig, das Vehikel kuppelte automatisch aus und bremste. Zum Starten dann einfach leicht nach vorne lehnen, der Motor kuppelte ein und fuhr mit bis zu 2,4 PS und 40 km/h Top-Speed los – genial!

Der CO2-Ausstoß des Maschinchens ist nicht überliefert. Aber zieht man in Betracht, dass die E-Scooter unserer Tage allabendlich mit dem Diesel-Laster eingesammelt, irgendwo aufgeladen und dann wieder per Lkw in der Stadt verteilt werden müssen, dann muss der B-Scooter den CO2-Vergleich mit seinen Nachfolgern womöglich gar nicht scheuen.

„Das Fahrzeug gehörte“, wie der „Spiegel“ 1955 zu berichten wusste, „zu den Friedenserzeugnissen, auf die sich die Firma (Anm: Krupp) verlegt hatte, nachdem es (Anm: nach dem ersten Weltkrieg) mit dem Kanonenschmieden zunächst vorbei war“. Mit einem der wenigen jemals hergestellten Exemplare des Markt-Flops sei Alfried Krupp „nach dem Abitur regelmäßig in die Lehrwerkstatt der väterlichen Fabrik“ gefahren, wo er Schmied, Dreher und Schlosser lernte. Lange mussten die Krupps übrigens keine erfolglosen Friedenserzeugnisse vermarkten. Denn schon bald nach dem Krupp-Roller-Debakel rüstete Deutschland zum nächsten Krieg – mit Alfried Krupp als NS-Wehrwirtschaftsführer an vorderster Front.

So wegweisend der B-Scooter theoretisch auch war, er floppte. Um Verschwörungstheorien deutscher Verbrenner-Freunde an dieser Stelle gleich vorzubeugen: Es waren nicht die USA und auch nicht China, die dem Verbrennungsmotor im Scooter den Garaus machten, um ihre E- Technik durchzusetzen. Das kann zweifelsfrei bewiesen werden: Die USA hatten kein Interesse, den Krupp-Roller kaputt zu machen. Denn der kam aus den USA, war eine in Lizenz gebaute, amerikanische Erfindung. Als „Autoped“ kurvte der Scooter schon 1913 durch New Jersey. China hatte die Finger auch nicht im Spiel, denn die damals frisch deklarierte Republik war ein Bauernstaat und keine Lithium-Ionen-Akku-Großmacht.

Nein, es waren wohl die banalen Dinge, die Krupps B-Scooter bremsten; vielleicht sein Gewicht (59 Kilogramm), vielleicht sein Preis (in den USA: 100 Dollar). Der Motor dagegen war gut gewählt, denn er klang, obwohl aus US-Produktion, doch sehr nach Made in Germany. Er hieß – kein Witz – „Merkel-Motor“.

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