Deutsche Bahn Alexander Dobrindt fordert mehr Gemeinwohl

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt will den Staatskonzern neu ausrichten: weniger Gewinn, mehr Gemeinwohl. Bahnchef Grube sieht die Pläne kritisch. Doch am Ende könnten beide davon profitieren.

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Quelle: dpa Picture-Alliance

Es ist ruhig in Maschen um 10 Uhr 25. Alexander Dobrindt steht auf dem Dach der sechsgeschossigen Zentrale von Europas größtem Güterumschlagplatz auf der Schiene, ein halbe Stunde Autofahrt von Hamburg entfernt. Sein Blick streift über die danieder liegenden Gleise mit orangenen, grünen und grauen Containern. Die meisten kommen aus dem Hamburger Hafen oder sollen dahin.

Mitarbeiter der Deutschen Bahn bilden auf der flugfeld-großen Anlage bis zu 150 Güterzüge pro Tag, zusammengesetzt aus bis zu 3700 Einzelwagen. „Auf wie viele könntet Ihr noch rauf“, fragt Dobrindt einen Bahn-Mitarbeiter. „Auf locker 5000“, so die Antwort. Doch zurzeit sei das Schienennetz überlastet. „Die Züge fahren erst Spätnachmittag los“, sagt der Bahn-Mitarbeiter.

Der Bundesverkehrsminister machte sich am vergangenen Freitag ein Bild von der Lage und den Problemen im niedersächsischen Maschen. Bahnchef Rüdiger Grube ist an seiner Seite. Bund und Bahn investierten Millionen in den Ausbau der Drehscheibe auf der Schiene. Dobrindt hört den verantwortlichen Güterbahn-Managern geduldig zu, immer wieder nickt er. Auch Klagen über schwierige politische Rahmenbedingungen und den harten Wettbewerb mit dem Lkw muss er sich anhören. Doch Dobrindt nimmt vor allem zwei Botschaften mit zurück nach Berlin. Die eine: Die Güterbahn kann weiter wachsen. Die andere: Die Deutsche Bahn hat es selber in der Hand.

Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

Viel mehr Unterstützung wird Bahnchef Grube vom Bund jedenfalls nicht erwarten können. Im Gegenteil: Dobrindt macht klar, wie er sich die Zukunft der Deutschen Bahn vorstellt. Noch immer befindet sich das Unternehmen, das im vergangenen Jahr rund 40 Milliarden Euro Umsatz machte, vollständig im Besitz des Bundes. „Die Deutsche Bahn hat nicht die Aufgabe der Gewinnmaximierung“, sagt er. Sie müsse „Mobilität für alle“ anbieten, „Räume erschließen“ und „vernetzen“. Natürlich gelte nach wie vor die Prämisse, „keine Verluste machen zu dürfen“.

Überraschender Vorstoß

Weniger Gewinn, mehr Gemeinwohl. Dobrindts Doktrin macht klar, dass die Deutsche Bahn für ihn kein normales Unternehmen ist. Ob sich das beiße mit dem Aktienrecht, das einen Vorstandschef quasi zur Gewinnmaximierung verpflichtet? Nein, so Dobrindt. Der Bund sei Eigentümer, er dürfe Dinge maßgeblich mitbestimmen.

Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet

Für Bahnchef Grube kommt der Vorstoß überraschend. Bislang ließ der Verkehrsminister dem obersten Bahner weitestgehend freie Hand. Doch nach dem ersten Konzernverlust seit zwölf Jahren hat sich die Lage verändert. 2015 ruinierte das desaströse Ergebnis und Sonderabschreibungen bei der Güterbahn die Bilanz. Die Bahn fuhr 2015 einen Konzernverlust in Höhe von 1,3 Milliarden Euro ein. Der Bund ist skeptisch geworden.

Nach außen hin gibt sich Grube zwar gelassen. „Gewinnmaximierung um jeden Preis wäre sicher ein Fehler“, sagt er und lässt erkennen, dass es keinen Disput mit dem Minister gebe. Doch im nächsten Satz folgt die Einschränkung: „Es wäre aber auch falsch, wenn wir mit dem Geldverdienen aufhörten. Wie sollten wir dann zum Beispiel neue Züge kaufen können oder unsere riesige Infrastruktur in Ordnung halten?“ Keiner wolle „die Behördenbahn zurückhaben“, so Grube. „Die war in jeder Hinsicht alles andere als erfolgreich.“

Möglicherweise liegen Dobrindt und Grube gar nicht so weit auseinander. Doch die Tatsache, dass der Verkehrsminister die neue Marschroute ausgerechnet jetzt ausgibt, ist ein Paukenschlag. Die jüngsten Zahlen der Deutschen Bahn verheißen keine Trendwende.

Die schwere Krise der Bahn

Die Deutsche Bahn steckt in ihrer schwersten Krise. Die Sanierung der Güterbahn kommt nur schleppend voran und neue Wettbewerber im Nah- und Fernverkehr drücken Marktanteile und Gewinn. Die Sparpreise in den ICE- und Intercity-Zügen als Reaktion auf die Fernbusse haben zwar den Umsatz im Fernverkehr um drei Prozent erhöht. Doch das ging zulasten der Profitabilität.

Es rächt sich heute, dass der Bund die Bahn viel zu lange Zeit einfach hat machen lassen. Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 droht aus den Fugen zu geraten. Dann kaufte der Konzern unter Grubes Ägide den Bus- und Bahnbetreiber Arriva für drei Milliarden Euro, der aber noch nie seine Kapitalkosten verdient hat. Außerdem liegt die Profitabilität von Arriva, „deutlich unter der der meisten Wettbewerber“, sagt Christian Böttger, Experte für Verkehrswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Nun sollen Teil der Tochter wieder verkauft werden.

Doch der Börsengang wackelt, nachdem die Briten sich in einem Referendum für den Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen haben. Der Brexit werde Folgen auf die Wirtschaft in Großbritannien haben, heißt es bei der Bahn. „Und die könnten auch unsere Konzerntochter Arriva treffen“, sagt Grube. „Das müssen wir im Kopf haben, wenn wir über einen Teilverkauf von Arriva nachdenken.“ Soll heißen: Der Börsengang könne verschoben werden oder gleich ganz ausfallen.

Das wäre ein Desaster. Die geplante Eindämmung des Defizits wäre dahin. 17,5 Milliarden Euro Netto-Schulden standen Ende 2015 in den Büchern des Konzerns. Grube wollte über den Teilverkauf von Schenker und Arriva die Verschuldung zumindest bei 19 Milliarden Euro deckeln. Kommt es anders, wäre das Ziel nicht mehr haltbar.

Auch für die Politik ist die Lage bei der Deutschen Bahn heikel. Im kommenden Jahr ist Bundestagswahl. Wenn die Deutsche Bahn derart ihre Ziele verfehlt, dann sind die verantwortlichen Politiker klug beraten, wenn sie nicht mehr den wirtschaftlichen Erfolg in den Vordergrund stellen, sondern das Gemeinwohl. Dobrindt müsste sich nicht so sehr für die desolate Lage bei der Bahn rechtfertigen.

Drei Ziele für Grube

Der Minister hat dem Bahnchef deshalb drei Ziele ins Stammbuch geschrieben, die leichter zu erreichen sind.

Erstens: Statt Gewinnmaximierung heißt es nun: Keine Verluste schreiben. Da Sonderabschreibungen wie im vergangenen Jahr nicht zu erwarten sind, gilt das Ziel als sicher.

Zweitens: Die Bahn muss die Pünktlichkeit der Züge verbessern. Auch das scheint erreichbar, denn die Bahn hat gerade erst eine Vielzahl von Baustellen abgemeldet, um die Stabilität im Schienennetz zu erhöhen.

Drittens: Das Unternehmen muss die Digitalisierung weiter vorantreiben. Noch in diesem Jahr sollen alle ICE-Züge mit neuen Repeatern für besseren Mobilfunkempfang und WLAN im Zug ausgerüstet werden. Ein Vertrag mit einem schwedischen Ausrüster ist unterschrieben. Das Ziel scheint realistisch.

Das sind die größten Regional-Konkurrenten der Bahn
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Grube hat es somit selber in der Hand, dass sein bis Ende 2017 laufender Vertrag noch einmal um zwei Jahre verlängert wird. Bis Ende des Jahres muss der Bund ihm Bescheid geben. Noch stehe die Entscheidung dazu nicht an, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. Doch wenn Grube die Bahn verlustfrei, pünktlich und digital macht, spricht wenig gegen eine Vertragsverlängerung. Grube, der in einer Woche 65 Jahre alt wird, könnte dann bis 68 weiter machen.

Dobrindt käme das entgegen. Denn so könnte er sich zunächst vor einer unangenehmen Personaldebatte drücken. Denn wer könnte Grube als Bahnchef nachfolgen? Der bisherige Vize Volker Kefer hört bald auf, er fällt also weg. Ronald Pofalla (CDU) wäre der nächste heiß diskutierte Kandidat im Vorstand. Kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 wäre eine Debatte um die Nachfolge Grubes nicht gerade das, was sich Dobrindt als Verkehrsminister wünscht.

Weniger Gewinn, mehr Gemeinwohl – die von Dobrindt neu formulierten Ziele für die Deutsche Bahn sind deshalb auch Selbstschutz im besten Sinne.

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