
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Am Mittwoch trifft sich der Aufsichtsrat zur halbjährlichen Routine-Sitzung. Nur einen Tag später, am frühen Donnerstagvormittag, lädt der Vorstand der Deutschen Bahn die Fachpresse zu einer gemeinsamen Erklärung ein. Normalerweise scheuen Unternehmen öffentliche Auftritte so direkt nach einer Aufsichtsratssitzung, denn das dort Besprochene gilt als vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Doch dieses Mal ist alles anders: Die Deutsche Bahn will und muss sich erklären.
Selten zuvor war die Situation der Deutschen Bahn so verkantet wie derzeit. Das erste Mal seit Jahren wird sich in diesem Jahr ein gewaltiger Verlust anhäufen. Die Güterbahn befindet sich in katastrophaler Lage, der Nahverkehr verliert jedes Jahr Marktanteile und der Fernverkehr wächst kaum noch. Die Prognosen für die kommenden Jahre hat der Konzern deshalb einkassiert. Umsatz und Gewinn werden deutlich unter den einstigen Schätzungen liegen. Die Verschuldung wird auf 22 Milliarden Euro steigen. Die Bahn braucht wieder Erfolgsmeldungen.
Das Geschäftsjahr 2014 der Deutschen Bahn
Das Geschäftsjahr 2014 der Deutschen Bahn im Vergleich zum Vorjahr und zur Konzernplanung.
Quelle: PwC, Deutsche Bahn
2014: 79,8 Milliarden Personenkilometer
Veränderung zu...
2013: -0,7 Prozent
Plan: -2,3 Prozent
Quelle: PWC, Deutsche Bahn
2014: 102,8 Milliarden Tonnenkilometer
Veränderung zu...
2013: -1,4 Prozent
Plan: -2,8 Prozent
2014: 39,7 Milliarden Euro
Veränderung zu...
2013: +1,5 Prozent
Plan: k. A.
2014: 26 Prozent
Veränderung zu...
2013: -7,8 Prozent
Plan: -15 Prozent
2014: 1,3 Milliarden Euro
Veränderung zu...
2013: -7,8 Prozent
Plan: -6,2 Prozent
Die glaubt der Vorstand nun präsentieren zu können. Auf der Aufsichtsratssitzung und der Pressekonferenz werden Bahnchef Rüdiger Grube und seine fünf Vorstandskollegen die Details des im Sommer bereits angekündigten Konzernumbau erklären und das Programm „Zukunft Bahn“ vorstellen, das die Bahn in die Erfolgsspur setzen soll und auf mehrere Jahre ausgelegt ist.
Die meisten Ideen des Plans sind in den vergangenen zwei Wochen bereits in der Öffentlichkeit gezielt durch den Konzern gestreut worden. In einem „Gelbbuch“ nennt die Bahn Dutzende Einzelmaßnahmen: bessere Fahrgastanzeigen auf dem Bahnsteig, Sensoren an Weichen für schnellere Fehlerbehebung, mobile Instandhaltung in den Zügen gegen defekte Toiletten, pünktlichere Züge in allen Sparten. Und so weiter.
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Dem Aufsichtsrat reichen die Maßnahmen nicht
Doch im Aufsichtsrat des Staatskonzerns kommt die Strategie gar nicht gut an. „Die einzelnen Maßnahmen sind zwar alle richtig“, sagt ein Aufsichtsratsmitglied der WirtschaftsWoche. „Doch das reicht nicht. Solche Maßnahmen sind selbstverständlich. Das erwarte ich von einem Vorstand jedes Jahr“. Dafür brauche es keine breit angelegte PR-Offensive.
Fakten zum Personenverkehr der Deutschen Bahn
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,854 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 69,5 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +2,9 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 43,0 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 34.100 Kilometer
Quelle: Statista.de/Deutsche Bahn
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,835 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 70,5 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +5,6 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 42,1 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 34.000 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,92 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 74,7 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +2,9 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 44,2 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.900 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,908 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 73,2 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +3,9 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 45,1 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.700 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,95 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 77,8 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +1,89 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 48,0 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.700 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 1,981 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 76,1 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +0,0 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 46,8 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.600 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 2,152 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 76,6 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +3,9 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 50,3 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.500 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 2,235 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 78,8 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +2,8 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 50,7 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.400 Kilometer
Anzahl der Reisenden im Schienenpersonenverkehr: 2,254 Milliarden Fahrgäste
Anzahl der Reisenden mit dem ICE: 78,0 Millionen Fahrgäste
Preisentwicklung im Fernverkehr: +2,5 Prozent
Auslastung der Züge im Fernverkehr: 49,9 Prozent
Betriebslänge des Schienennetzes: 33.400 Kilometer
Tatsächlich fehlt vielen Kontrolleure im Aufsichtsrat eine Vision, wohin sich die Deutsche Bahn bewegen soll.
So einen Wurf hat es zuletzt für den Fernverkehr gegeben, als ausgerechnet der vor wenigen Monaten geschasste Vorstand Ulrich Homburg ein mutiges Konzept vorlegte. Die Bahn kündigte an, bis 2030 den Fernverkehr um ein Viertel auszubauen, nahezu alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern mit ICE- oder Intercity-Zügen anzufahren und den Takt zwischen Metropolen auf zwei Mal pro Stunde auszubauen. Solche Visionen wünschen sich die Kontrolleure auch für die anderen Sparten. Doch dort gibt es sie nicht.
Stattdessen wurschtelt sich die Bahn mehr schlecht als recht durch und bremst das Wachstum aus.





Eine Vision für die Güterbahn könnte lauten: Die Deutsche Bahn setzt sich zum Ziel, den Marktanteil der Eisenbahn im Güterverkehr von heute 17 Prozent bis 2030 auf 25 Prozent auszubauen und wird gemeinsam mit ihren Wettbewerbern alles dafür tun, dass dieses Ziel erreicht wird – durch politisches Lobbying, vernetzte Strukturen, kooperatives Verhalten.
Bei einem wachsenden Güterbahnmarkt wäre es dann kein Problem, wenn die Deutsche Bahn Marktanteile verlieren würde, denn unterm Strich stünde ein absolutes Plus. Stattdessen soll die Transportleistung der Güterbahn-Tochter DB Schenker Rail in Deutschland nun aber bis 2017 zurückgehen und auch 2020 noch unter dem heutigen Niveau liegen, heißt es aus dem Umfeld des Kontrollgremiums. Die Bahn streicht Verladestationen und benennt sich künftig in „DB Cargo“ um – wie die Konzernsparte schon einmal hieß. Doch das ist Kosmetik statt Kampfgeist, monieren die Kontrolleure.