
Ulrich Homburg wollte nicht länger warten. Der Bahn-Aufsichtsrat hatte kurz zuvor seine neue Fernverkehrsstrategie abgenickt. Deshalb verließ Homburg das Kontrollgremium, um sein Projekt so schnell wie möglich der Presse vorzustellen. „Eine Chance, so etwas zu präsentieren, kriegt man selten“, sagte der Personenverkehrsvorstand in der Berliner Freiheit nahe des Potsdamer Platzes. Es freue ihn außerordentlich, „die größte Angebotsoffensive in der Geschichte der Bahn“ zu präsentieren.
Und dabei versprach Homburg nicht zu viel. Die Bahn werde in den kommenden 15 Jahren 25 Prozent mehr Fernverkehrsverbindungen anbieten als derzeit. Damit wolle die Bahn 50 Millionen zusätzliche Kunden pro Jahr für die Zugfahrt begeistern. Sie sollen vor allem aus dem Pkw-Verkehr kommen. Aber auch Fernbusfahrer, die die Bahn im vergangenen Jahr 120 Millionen Euro gekostet haben, will Homburg überzeugen.
Neue Züge der Deutschen Bahn
Die neuen ICx von Siemens erhalten eine Beleuchtung, die sich an Zeit und Außenstimmung anpasst. Zudem erlauben sie die Mitnahme von Rädern. Die ersten der 130 bestellten Züge kommen 2017. Investition: 5,3 Milliarden Euro. Pro Jahr liefert Siemens 20 Stück. Ein rund 200 Meter langer Zug besteht beim ICx aus sieben statt acht Wagen wie beim ICE. Das senkt Kosten und bringt mehr Sitzplätze. Siemens baut zwei Modelle: 345 und 202 Meter lang, Höchsttempo 249 und 230 Kilometer pro Stunde.
Die Doppelstockzüge von Bombardier kommen vor allem auf Nebenstrecken zum Einsatz. Anders als im Nahverkehr, wo sie bereits als Regionalexpress unterwegs sind, erhalten die 44 bestellten Dostocks das blaue Velours-Ambiente eines Intercity. Investition: 660 Millionen Euro. Es gibt keinen Schnickschnack: Sitzreihen und Toiletten sind enger, kein Bordrestaurant, stattdessen mobiler Gastro-Service. Betriebliche Vorteile: Die Züge sind in der Länge variabel und gelten als extrem verlässlich.
Die wichtigsten Neuerungen im Überlick:
ICE im Halbstundentakt: Die Bahn will ein Kernnetz für den ICE-Verkehr etablieren, auf dem sie die deutschen Metropolen zwei Mal pro Stunde verbindet. Solche Takte wird es etwa auf den Strecken von Köln Richtung Frankfurt und München, von Berlin in Richtung Ruhrgebiet und von Hamburg Richtung Basel geben. Allerdings wird diese Taktverdichtung erst ab 2021 wirksam und soll erst 2030 komplett abgeschlossen sein. Fraglich ist, ob die Bahn klare Halbstundentakte einführen kann. Sie befürwortet dies zwar, könnte aber in Bahnhöfen wie Köln, Hamburg und Frankfurt auf Kapazitätsengpässe stoßen. Realistischer sind daher ICE-Züge, die etwa zur vollen Stunde und dann etwa 20 oder 40 Minuten später fahren.
Zusätzliche Sprinter: Neue Sprinterverbindungen sollen bereits ab 2016 auf bestimmten Strecken die Fahrzeit deutlich verkürzen. So fährt die Bahn ab kommendem Jahr von Köln nach Stuttgart zehn Minuten kürzer. Die Verbindung Köln-Hamburg soll abends 30 Minuten schneller bedient werden. Vor allem durch die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und München kann die Bahn ab 2018 deutlich kürzere Fahrzeiten anbieten: etwa München-Berlin, München-Leipzig und Dresden-Berlin.
Zwei-Stunden-Takt in der Fläche: Das Herzstück der neuen Fernverkehrsstrategie: Die Bahn will nahezu alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern in den Fernverkehr integrieren. Sie sollen mindestens alle zwei Stunden angefahren werden. Möglich wird dies, weil die Bahn ab Ende dieses Jahres die ersten von 120 Doppelstock-Intercitys von Bombardier erhält. Unter dem Schlagwort „IC NEU“ will die Bahn so fünf Millionen Einwohner zusätzlich per Fernverkehr anbinden. 190 neue Direktverbindungen aus der Fläche in die 50 größten Städte sollen entstehen. Es entstehe „ein gesamtdeutsches Netz ohne weiße Flächen“, verspricht Homburg. Einzige Ausnahmen mit 100.000 Einwohnern: Offenbach, Bremerhaven, Neuss, Bottrop, Moers, Remscheid und Bergisch Gladbach.
Preisoffensive: Vor einem Jahr hat die Bahn den Preis für die Sitzplatz-Reservierung auf 4,50 Euro erhöht. Nun folgt die Rolle rückwärts. Künftig soll ein Sitzplatz mit dem Kauf einer Fahrkarte kostenlos reserviert werden können. Zudem senkt die Bahn die billigsten Tickets von 29 auf 19 Euro, zumindest für den Intercity. Die Sparpreise sind zudem bis kurz Abfahrt zu kaufen, wenn die Auslastung der Züge gering ist. Bislang endet die Vorkaufsfrist für Sparpreise einen Tag von Abfahrt. Zudem bietet die Bahn demnächst auch die Bahncard 25, 50 und 100 als Drei-Monats-Variante an. Damit reagiert die Bahn direkt auf die Konkurrenz der Fernbusse.
Die neue Fernverkehrsstrategie hat tatsächlich das Potenzial, das Zugfahren in Deutschland nachhaltig zu verändern.
Kritiker der Deutschen Bahn forderten seit Jahren einen „Deutschlandtakt“, der regelmäßige Verbindungen zwischen kleineren und größeren Städten zusammenführt. Stattdessen hatte die Bahn in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Verbindungen in der Fläche wie etwa in Trier eingestellt. Die rheinland-pfälzische Stadt wird im neuen Konzept wieder berücksichtigt. Homburg sprach nun von „Deutschland im Takt“.
Homburg verweist darauf, dass das von ihm vorgestellte Konzept erst jetzt realisierbar ist. Die Bahn erhält neue Züge. Ab Ende dieses Jahres kommen die ersten Doppelstock-Intercitys von Bombardier. Im kommenden Jahr folgen die ersten der 130 bestellten ICE-Züge von Siemens, die unter dem Namen ICx laufen. Die ICE-Flotte erhöht sich somit um fast 100 auf circa 360 Stück.
Doch klar ist auch: Die Umsetzung des neuen Konzeptes wird viele Jahre dauern. Für dieses Jahr verspricht die Bahn eher kosmetische Verbesserungen. Ab August wird der Einsatz neuer Mobilfunk-Repeater für den besseren Handy- und Internetempfang abgeschlossen sein. Im September ist ein Relaunch des DB-Navigators geplant.
Erst ab dem Fahrplan ab Dezember 2015 werden die ersten Doppelstock-Intercitys auf den Strecken Dresden-Köln und Leipzig-Emden zum Einsatz kommen. Zudem folgt eine Kapazitätserhöhung auf der Strecke Köln-Stuttgart und schnellere Verbindungen von Frankfurt nach Berlin und Dresden.