Wenn Vorstandschef Rüdiger Grube öffentlich über die Deutsche Bahn redet, macht er gern wohlfeile Versprechungen: „Schlanker, schneller, effizienter, noch kundenfreundlicher“ solle die Bahn werden.
Intern, im Aufsichtsrat des Staatskonzerns, wählt Grube andere Worte. Dort verwendet er seit Neuestem ein Kürzel, das außer ihm nur Eingeweihte und seine Kontrolleure kennen: „EiD“. Die drei Buchstaben stehen für „Eisenbahn in Deutschland“ und finden sich auf den Papieren, die Grube dem Gremium Ende Juli präsentierte.
Die wichtigsten Baustellen der Bahn 2015
Von Mitte Januar bis Anfang Mai wird auf der Nord-Süd-Verbindung der Oberbau, die Leit- und Sicherungstechnik und der Tunnel unter die Lupe genommen. In dieser Zeit ist die Strecke zwischen Gesundbrunnen und Yorkstraße gesperrt. Von Ende August bis Ende November wird außerdem eine Brückenkonstruktion am erst 2006 eröffneten Berliner Hauptbahnhof saniert. Fernzüge halten dann im unteren Teil des Kreuzungsbahnhofs.
Mitte Mai sollen auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwölf Weichen erneuert werden. Während der Bauzeit wird die Strecke gesperrt. Der Fernverkehr wird von Hannover über die alte Strecke nach Göttingen umgeleitet. Das dauert 30 Minuten länger.
Von Mitte April bis Mitte Mai werden auf der ICE-Strecke 44 Kilometer Schienenstrang ausgewechselt. Dazu wird die Strecke durch den Westerwald an vier Wochenenden gesperrt. Die Züge werden dann am Rhein entlang fahren. Die Fahrzeit verlängert sich um 60 Minuten.
Die Strecke bekommt von Ende Juni bis Mitte August auf 22 Kilometern neue Gleise. Fernzüge fahren einen Umweg über Venlo und brauchen dafür 45 Minuten länger. Auf der Route Köln-Siegen werden im gleichen Zeitraum 35 Kilometer Gleise renoviert. Davon sind in der Bauzeit 77 Nahverkehrszüge betroffen, die durch Busse ersetzt werden.
Von Mitte September bis Ende Oktober werden auf der Schnelltrasse Gleise und Weichen ausgetauscht. Dafür wird die Strecke zwischen Kraichtal und Stuttgart-Zuffenhausen zeitweise gesperrt. Die Umleitung über die alte Strecke kostet 40 Minuten Fahrzeit.
Von Anfang März bis April wird ein zehn Kilometer langer Streckenabschnitt saniert. Zeitweise ist eine Sperrung nötig. Die Fernzüge der Linie Nürnberg-Karlsruhe werden über Treuchtlingen umgeleitet. Das dauert 40 Minuten länger als sonst.
Auf dieser Route wird voraussichtlich noch bis August 2015 die Schienentechnik erneuert, damit Züge künftig dort mit Tempo 200 fahren können. Dabei muss ein alter Damm saniert, Gleise erneuert und neue Signalkabel verlegt werden. Ein Teil der Fernzüge muss über Augsburg umgeleitet werden. Das führt zu einer 30 Minuten längeren Fahrzeit.
Die Abkürzung ist keine banale Neubeschreibung der Deutschen Bahn, sondern markiert eine Abkehr von der Geschäftspolitik der vergangenen 15 Jahre. Um seine Versprechungen einlösen zu können, kassiert Grube gerade die Strategie seines Vorgängers Hartmut Mehdorn, die er seit seinem Amtsantritt 2009 noch bis vor Kurzem fortführte, nun aber umkehren will:
- Statt Geld und Managementkapazitäten in Auslandstöchtern zu binden, soll die Deutsche Bahn (DB) laut Grubes interner Präsentation den Schwerpunkt künftig auf das klassische Eisenbahngeschäft legen, also auf den Personenverkehr auf der Fern- und Kurzstrecke, den Gütertransport auf der Schiene sowie das Gleisnetz mitsamt der Bahnhöfe. Dort hinein sollen künftig „rund 90 Prozent aller DB-Investitionen“ fließen, ließ Grube seine Kontrolleure wissen.
- Das Auslandsgeschäft wird, so die neue Linie, zur Randaktivität degradiert. „Wir müssen uns neu aufstellen“, sagt Grube. Die Verantwortung für die Konzernableger liegt künftig bei Finanzvorstand Richard Lutz, der diese als Beteiligung betreut und selbst nie im Eisenbahngeschäft operativ tätig war.
- Gleichzeitig stellt Grube mit „EiD“ die Zukunft der Speditionstochter Schenker sowie des europaweiten Nahverkehrsablegers Arriva unter dem Dach der Bahn infrage.
Wichtigster Repräsentant des Kurswechsels ist der bisherige Fernverkehrschef Berthold Huber, der fortan sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr zuständig ist – ein Novum im Bahn-Betrieb. Zudem adelt Grube Infrastrukturvorstand Volker Kefer zum Stellvertreter, weil durch dessen Hände in den nächsten Jahren Investitionen von mehr als 50 Milliarden Euro fließen: etwa in die Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke Halle–Erfurt, den unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21 sowie die Sanierung und den Ausbau des Schienennetzes.
Operatives Ergebnis ausgewählter Sparten der Deutschen Bahn nach Zinsen
2014: 212 Millionen Euro
Veränderung zu...
2013: -35 Prozent
Plan: -43 Prozent
Quelle: PWC, Deutsche Bahn
2014: 794 Millionen Euro
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2013: +8 Prozent
Plan: -6 Prozent
2014: -41 Millionen Euro
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2013: -28 Prozent
Plan: k. A.
2014: 208 Millionen Euro
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2013: -22 Prozent
Plan: k. A.
2014: 195 Millionen Euro
Veränderung zu...
2013: +8 Prozent
Plan: k. A.
Zurück zu den Anfängen
Mit seiner neuen Losung „EiD“ führt Grube die Bahn an ihre Anfänge 1994 zurück, als die christlich-liberale Koalition die damalige Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Der erste Vorstandschef Heinz Dürr hatte damals einen großteils entschuldeten Konzern erhalten, der Fern-, Regional- und Güterzüge sowie hier und da Busse über die Lande schickte und das Schienennetz sowie die Bahnhöfe bewirtschaftete.
Diese Beschränkung fiel, nachdem Rot-Grün 1998 in Berlin ans Ruder gekommen war und der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 1999 Hartmut Mehdorn zum Vorstandschef ernannt hatte. Der versprach den Politikern, die Bahn im Wege eines Börsengangs zu privatisieren und auf diese Weise viele Milliarden in die Staatskasse zu spülen. In der Folgezeit übernahm Mehdorn (Motto: „Die Bahn macht mobil“) zahlreiche Verkehrs- und Logistikunternehmen, um die Bahn gegenüber potenziellen Geldgebern als lohnendes Investment erscheinen zu lassen. Schon damals gab es intern Kritik: Mehdorn entziehe dem Eisenbahngeschäft Finanzmittel und türme einen riesigen Problemberg für die Zeit nach seiner Ära auf.
"Die Bahn zahlt bei jedem Euro, den sie in neue Züge steckt, drauf"
Doch selbst Grube, der Mehdorn nach dem abgeblasenen Börsengang 2008 und einer Spitzelaffäre 2009 ablöste, änderte an dem Kurs zunächst nichts und erwarb weiter Töchter. Erst der Einbruch im operativen Geschäft seit 2013, verursacht durch die Fernbus-Konkurrenz und notorische Verluste bei der Güterbahn, öffnete dem 64-Jährigen die Augen, dass er die Strategie stoppen muss, will er das Eisenbahngeschäft langfristig nicht aufs Spiel setzen.
Diese Gefahr ist inzwischen beträchtlich. Die Eigenmittel für Investitionen schrumpfen. Das Eisenbahngeschäft aber ist kapitalintensiv, drei Viertel des Kapitals steckt im Schienennetz, in Zügen und Bahnhöfen. Doch dessen Verzinsung sinkt, anstatt zu steigen. „Letzteres ist aber essenziell“, so Grube im Aufsichtsrat.
Ausdruck für die desolate Lage ist der Gewinn, bezogen auf das Kapital, mit dem die Bahn arbeitet. Der betrug im ersten Halbjahr 2015 nur magere fünf Prozent „und liegt damit deutlich unterhalb unserer Kapitalkosten“, sagt Finanzchef Lutz. Das heißt, die Bahn zahlt bei jedem Euro, den sie in neue Züge oder Weichen steckt, drauf.
Das Geschäftsjahr 2014 der Deutschen Bahn
Das Geschäftsjahr 2014 der Deutschen Bahn im Vergleich zum Vorjahr und zur Konzernplanung.
Quelle: PwC, Deutsche Bahn
2014: 79,8 Milliarden Personenkilometer
Veränderung zu...
2013: -0,7 Prozent
Plan: -2,3 Prozent
Quelle: PWC, Deutsche Bahn
2014: 102,8 Milliarden Tonnenkilometer
Veränderung zu...
2013: -1,4 Prozent
Plan: -2,8 Prozent
2014: 39,7 Milliarden Euro
Veränderung zu...
2013: +1,5 Prozent
Plan: k. A.
2014: 26 Prozent
Veränderung zu...
2013: -7,8 Prozent
Plan: -15 Prozent
2014: 1,3 Milliarden Euro
Veränderung zu...
2013: -7,8 Prozent
Plan: -6,2 Prozent
Grubes Pläne kosten Geld, das sie Bahn nicht hat
Gleichzeitig gelang es Grube bislang nicht, die Verschuldung zu drücken und so genügend Mittel für Investitionen in Züge freizuschaufeln. 2015 könnten die Verbindlichkeiten auf den Rekordwert von 18 Milliarden Euro steigen – ein Plus von elf Prozent innerhalb nur eines Jahres.
Wie Grube die ambitionierten Pläne erfüllen will, die er zuletzt präsentierte, ist unklar. So soll sein neuer Super-Eisenbahn-Chef Huber bis 2030 im Fernverkehr eine Leistung von 160 Millionen Zugkilometern pro Jahr schaffen, 25 Prozent mehr als heute. Dafür muss er aber 130 neue ICE-Züge für 5,3 Milliarden Euro in Dienst stellen, weitere könnten folgen. 200 Millionen Euro kostet allein die Renovierung der ICEs der dritten Generation von 2016 an. Außerdem werden 660 Millionen Euro fällig, um alte Intercitys durch Doppelstockzüge zu ersetzen. Mit insgesamt zwölf Milliarden Euro schlägt die Offensive zu Buche, hinzu kommen weitere Milliarden fürs Schienennetz.
Von 2008 bis 2015 verbrannte die Bahn eine halbe Milliarde Euro
An so viel Geld, so Grubes Einsicht, kann die Bahn nur auf drei Wegen gelangen. Entweder sie zapft den Steuerzahler an. Doch der überweist der Bahn bis 2019 schon acht Milliarden Euro mehr als in den letzten fünf Jahren – nicht machbar, auch wenn sich der Betrag teils aus der Bahn-Dividende speist. Oder die Bahn macht mehr Schulden, „was wir definitiv aber nicht vorhaben“, so Lutz.
Damit bleibt dem Bahn-Chef nur, mit der Vergangenheit aufzuräumen. Ein erster Schritt ist die Abschaffung der Zwischenholding DB Mobility Logistics, in die Vorgänger Mehdorn das Transport- und Logistikgeschäft ausgegliedert hatte, um dieses Konstrukt unabhängig vom Schienennetz an die Börse zu bringen. Durch Abschaffung der Zwischenholding spart die Bahn jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Rückblickend verbrannten Mehdorn und Grube damit von 2008 bis 2015 bis zu eine halbe Milliarde Euro.
Schenker ist für die Bahn ein Flopp
In einem zweiten Schritt will Grube die Beteiligungen wieder zu Geld machen, für deren Kauf die Bahn seit 2002 rund sieben Milliarden Euro hinlegte. Zunächst ist wohl die Nahverkehrs-Tochter Arriva dran, die er 2010 für rund drei Milliarden Euro erwarb. Bis Jahresende soll Finanzchef Lutz ein Konzept erarbeiten, wie ein Investor bei Arriva (4,5 Milliarden Euro Umsatz) mit einer Minderheitsbeteiligung einsteigen oder ein Teil über die Börse verkauft werden könnte.
Die wichtigsten Firmenübernahmen der deutschen Bahn
Sparte: Spedition
Deutschland 2002
Wert: 2500 Mio. Euro
Sparte: Spedition
USA 2006
Wert: 1300 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Großbritannien 2007
Wert: 370 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Spanien 2007
Wert: 130 Mio. Euro
Sparte: Personenverkehr
Spanien 2007
Wert: 150 Mio. Euro
Sparte: Spedition
Großbritannien 2008
Wert: 170 Mio. Euro
Sparte: Spedition
Rumänien 2009
Wert: 100 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Polen 2009
Wert: 450 Mio. Euro
Sparte: Personenverkehr
Großbritannien 2010
Wert: 3000 Mio. Euro
Quelle: Deutsche Bahn
Der schwerste Brocken im Portfolio aber ist Schenker. Die Bahn erwarb die Essener Spedition 2002 für rund 2,5 Milliarden Euro und vergrößerte das Logistikimperium sukzessive durch Firmen wie die US-Spedition BAX Global, für die 2006 rund 1,3 Milliarden Euro flossen. Auch hier soll Lutz einen Teilverkauf von bis zu 49 Prozent ausloten. Wäre Schenker so profitabel wie Konkurrent Kühne+Nagel, könnte die Bahn für die 49 Prozent geschätzt drei bis vier Milliarden Euro erlösen. Dafür muss Schenker aber erst einmal die Rendite deutlich steigern.
Die Sparten blockieren sich gegenseitig
Die Spedition ist für die Bahn im Grunde ein Flopp. Mehdorns Traum, mithilfe von Schenker die Güterzüge besser auszulasten, erfüllte sich nie. Gegenüber dem Aufsichtsrat gab Grube zu, dass Schenker 2014 bei einem Umsatz von 15 Milliarden Euro nur für 230 Millionen Euro Transportraum bei der Güterbahn einkaufte. Damit verdanken die Güterzüge der Speditionsschwester nur fünf Prozent der Einnahmen. Teilweise blockieren sich beide Sparten sogar. So verbot Grube Schenker, sich an Versuchen mit langen Lkws zu beteiligen – aus Sorge vor Kannibalisierung der Güterzüge.
Christian Böttger lobt Grube für sein „EiD“-Konzept. „Strategisch geht der Konzernumbau in die richtige Richtung“, sagt der Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der Umbau sei aber „nicht radikal genug“. Die Bahn solle Schenker und Arriva komplett verkaufen. „Auf diese Weise ließen sich geschätzt bis zu zehn Milliarden Euro erzielen. Das Geld könnte in den Schuldenabbau und zukünftige Investitionen fließen.“
Offiziell schließt Grube Komplettverkäufe aus. Doch ob das morgen noch gilt? Es wäre nicht das erste Mal, dass er Ankündigungen kassiert. Noch 2012 hatte er gelobt, den Konzernumsatz bis 2020 auf 70 Milliarden Euro zu verdoppeln – auch durch Zukäufe.