Deutsche Bahn Lutz bekräftigt Paradigmenwechsel

Bahnchef Lutz will weg von der Gewinnmaximierung. In Zukunft soll die Qualität und Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt stehen. Quelle: dpa

Gewinnmaximierung war gestern. Bahnchef Richard Lutz will künftig Güte vor Geld stellen. Die Kunden könnten langfristig profitieren - wenn der Plan wirklich aufgeht.

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Einmal im Jahr treffen sich im Bahntower am Potsdamer Platz in Berlin die Granden der Bahnpolitik. „Alt-Vorstandstreffen“, nennen sie das Get-together aktueller und ehemaliger Manager. Leute wie Hartmut Mehdorn und Heinz Dürr kommen dann nach Berlin. Man trifft sich, man kennt sich, man flachst. Gestern war wieder so ein Tag. Und Lutz, der aktuelle CEO, konnte seinen Vorgängern von der neuen Bahn erzählen.

Der 55-Jährige hat den Ex-Chefs dann eine paradiesische Rechnung aufgemacht. Vor der Bahnreform 1994 hätten Bund und Bahn gerade mal drei Milliarden Euro pro Jahr in das Schienennetz gesteckt, bald seien es 16 Milliarden - pro Jahr. Ab 2025 dann sogar noch mehr. „Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Eisenbahn“, sagt Lutz. Seitdem die Politik die Eisenbahn als klimafreundliches Vehikel entdeckt hat, schüttet die Bundesregierung die Deutsche Bahn mit Milliarden zu. Rund 150 Milliarden Euro fließen bis 2030 in das System.

Für Lutz und die Bahn ändern sich die Rahmenbedingungen dadurch grundlegend. Lange Zeit stand die Gewinnmaximierung im Mittelpunkt der Konzernstrategie - auch Jahre nach dem abgeblasenen Börsengang 2008. Zwar hat Lutz in der vor einem Jahr vorgestellten Dachstrategie „Starke Schiene“ bereits klare Bekenntnisse zu mehr Qualität und Leistungsfähigkeit und weniger Gewinn gemacht. Doch in diesen Tagen zeigt sich, wie ernst Lutz dies wirklich meint.

Die Gewinne der Deutschen Bahn werden künftig nämlich kräftig einbrechen - und das ist zumindest teilweise so gewollt. In diesem Jahr rechnet die Bahn mit einem Betriebsgewinn (Ebit) von etwas mehr als 1,8 Milliarden Euro. Für 2020 will Lutz dem Aufsichtsrat sogar ein deutlich niedrigeres Gewinnziel von 1,3 Milliarden Euro vorschlagen. Lutz selbst spricht von einem „Paradigmenwechsel“. Die Rentabilität sinke, zugunsten der Qualität. Die Bahn leiste etwas, „was die Gesellschaft von uns erwartet.“

Lutz gibt daher immer mehr den Manager der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die vielen Zusatz-Milliarden vom Bund sind Segen und Verpflichtung zugleich. Allein für die elf Milliarden Euro Eigenkapitalspritze vom Bund bastelt eine Arbeitsgruppe aus Bahn, Finanz- und Verkehrsministerium gerade einen Plan aus, um beihilferechtliche Bedenken zu zerstreuen und Brüssel zu überzeugen. Das Geld soll - angeblich - ausschließlich in die Infrastruktur fließen, die auch Wettbewerbern zugute kommt.

Um die Politik dauerhaft zu gewinnen, will die Bahn sich künftig weniger an Gewinnzahlen messen, sondern an Leistungszahlen wie Pünktlichkeit, Komfort und Sturmresistenz. Lutz verspricht, noch mehr Geld in Züge, Vegetationskontrolle an der Strecke, Instandhaltung, Weichen und digitale Stellwerke zu investieren. Aus Kundensicht klingt alles das gut. Aber geht der Plan auch wirklich auf?

Bislang wird der Weg zum Ziel arg gestört. Den Verkauf der britischen Nahverkehrstochter Arriva hat Lutz auf das nächste Jahr verschoben. Es hat sich schlicht kein Bieter gefunden, der einen ordentlichen Preis für den Bus- und Bahnbetreiber zahlen wollte. Nun präferiert Lutz einen Börsengang von Arriva ab 2020, zunächst in Teilen, bis 2023 dann ganz. Klar ist: Die Bahn bekommt so zunächst weniger Geld als geplant und vor allem nicht sofort. Ein Plan B wird zum Plan A.

Auch bei der Güterbahn könnten sich die ehrgeizigen Ziele von Lutz schnell als Luftnummer erweisen. Die Bahn will DB Cargo als europaweite Güterbahn ausbauen, die über den gesamten Kontinent Ganzzüge und so genannten Einzelwagenverkehr betreibt, also einzelne Wagen über Zugbildungsanlagen zeit- und personalaufwendig zu Zügen zusammensetzt. Das Geschäft läuft 2019 noch schlechter als geplant. Ein Minus von fast 300 Millionen wird Ende 2019 in den Büchern stehen. Schuld sei die konjunkturelle Flaute in wichtigen Branchen wie Stahl und Auto gewesen.

Für Lutz und die Bahn könnte das schnell zu einem Problem werden. Intern hat er zwei Leitplanken ausgerufen, die unbedingt zu halten seien. Die Gesamtverschuldung des Konzerns dürfe nie über die mit dem Haushaltsausschuss vereinbarte Grenze von 25,4 Milliarden Euro steigen. Die Bahn liegt noch knapp drunter. Aber sie braucht gute Verkaufserlöse aus dem Arriva-Börsengang. Eine unerwartete Krise am Kapitalmarkt könnte den Plan schnell obsolet machen.

Die zweite Leitplanke: Die Güterbahn dürfe nicht wieder in eine Sonderabschreibung hineinlaufen. So war das 2015, als die Finanzleute gemerkt haben, dass die Güterbahn viel weniger wert ist als die Bilanzen suggerieren. Damals hat die Krise von DB Cargo den Konzern tief in die roten Zahlen gestürzt. Offenbar droht das Szenario erneut, wenn sich die Lage bei der Güterbahn nicht bald ändert.

Sigrid Nikutta soll DB Cargo künftig sanieren. Gelänge ihr der Turnaround, könnte sie sich irgendwann als Nachfolgerin von Bahnchef Lutz ins Spiel bringen. Bis dahin fahren noch viele Tausend ICE verspätet in den Bahnhof ein. Wie es sich anfühlt, in der Riege der Top-Manager oben zu sein, konnte sie vor zwei Tagen jedenfalls persönlich erleben. Beim „Alt-Vorstandstreffen“ war sie bereits mittendrin.

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