Deutsche Bahn Das Chaos über Berlin

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Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Sauberkeit

Formal muss der Bundesverkehrsminister einen neuen Bahn-Chef nominieren. Dobrindt hat zunächst den Aufsichtsrat mit der Suche beauftragt. „Die Bahn braucht einen Manager und Techniker, keinen Politiker“, heißt es aus dem Gremium. In Wahrheit läuft die Personalie ohnehin über die Tische der großen Koalition. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte sofort ein Mitspracherecht bei der Personalie. Die SPD könne derzeit keinen Kandidaten erkennen, „der sich sofort aufdrängt“, sagt Fraktionsvize Sören Bartol. Konzernweit hofft man auf eine Lösung bis März.

Tatsächlich kommen die Chaostage in Berlin äußerst ungünstig. Vor einem Jahr startete der Vorstand ein radikales Reformprogramm, das den Nah-, Fern- und Güterverkehr auf der Schiene zu einem Aushängeschild des Staatskonzerns machen sollte. Das Unternehmen wollte zurück zu alten Tugenden: Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Sauberkeit. Grube war verantwortlich.

Tatsächlich gibt es auch Lichtblicke, vor allem im Fernverkehr. Das Unternehmen konnte die Abläufe an den Bahnhöfen verbessern, sodass sich die Abfahrtspünktlichkeit der ICE- und Intercity-Züge deutlich erhöhte. Der Betrieb hat sich stabilisiert. Außerdem verstärken neue ICE-Züge die Flotte ab Jahresende. Andererseits bleibt das Geschäft unter Druck. Die Sparpreise im Fernverkehr als Reaktion auf die Fernbusse treiben zwar den Umsatz nach oben, gehen aber zulasten der Rendite.

Der diplomatische Weichensteller geht von Bord
Bahnchef Rüdiger Grube ist am Montag wegen eines Streits um seine geplante Vertragsverlängerung zurückgetreten. Ein Blick auf die Karriere des 66-jährigen Managers. Quelle: dpa
Geboren wurde Grube am 2. August 1951 in Hamburg. Quelle: dpa
Anschließend folgte ein Studium in Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Hamburg. Quelle: AP
Ab 1989 arbeitete er dann für die damalige Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB), der späteren Daimler-Benz Aerospace AG (DASA). Quelle: dpa
Bereits in den frühen 1990er Jahren lernte Grube bei der DASA das damalige Vorstandsmitglied Hartmut Mehdorn kennen und arbeitete unter anderem als Büroleiter für ihn. Quelle: dpa
Später wechselte Grube von der Daimler-Tochter DASA zum Hauptkonzern und stieg dort 2001 sogar zum Entwicklungsvorstand auf. Quelle: dpa
Selbst nach dem Scheitern der "Welt-AG" und dem damit verbundenen Abgang Schrempps bei Daimler behielt Grube seinen Job in Stuttgart und auch seinen Posten bei EADS. Quelle: AP

Der Nachfolger von Grube braucht daher sowohl ein Gespür für den Markt als auch Kennnisse, wie das Eisenbahn-Geschäft in Deutschland funktioniert.

Ein externer Manager wird daher wahrscheinlicher: Der Chef der Schweizer Bundesbahnen (SBB), Andreas Meyer, wäre ein Kandidat. Er war bereits 2009 im Gespräch, als die Regierung Ersatz für Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn suchte. Meyer hat die SBB inzwischen zehn Jahre lang erfolgreich geführt. Und er kennt die Bahn von innen. Bis 2006 war er in führenden Positionen des Berliner Staatskonzerns tätig.

Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Auch über ein Comeback von Volker Kefer wird spekuliert. Der 61-Jährige war bis Ende 2016 Vize-Konzernchef. Er warf das Handtuch im Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Kefer war außerdem unzufrieden, weil die geplante Verlängerung mit Grube seine Aussicht auf die Nachfolge minimierte. Kefer hat im Aufsichtsrat einige Unterstützer, wenngleich sein Führungsstil umstritten ist.

Dann wäre da noch ein dritter Name, der als aussichtsreich gilt: Siemens-Mobility-Chef Jochen Eickholt. Der 55-Jährige bringt genau das mit, was Kritiker vom Neuen erwarten: technische Expertise und Konzernerfahrung. Eickholt ist studierter Elektrotechniker und als Chef für die Nah- und Hochgeschwindigkeitszüge verantwortlich.

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