Deutsche-Bahn-Vorstand Berthold Huber Dieser Mann soll den Fernverkehr fit machen

Berthold Huber kontrolliert als Vorstand bei der Bahn so ziemlich alles, was rollt. So soll er ICEs und Intercitys endlich pünktlich machen. Klingt unmöglich? Nun ja, Huber hat da ein paar Ideen.

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Deutsche-Bahn-Vorstand Berthold Huber. Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Manchmal purzeln ihm die Worte einfach so aus dem Mund. Mitunter schneller, als ihm lieb sein dürfte. Ende Januar kürte Berthold Huber vor 200 Zuhörern in den Räumen der European School of Management and Technology (ESMT) mal eben sein persönliches „Unwort des Jahres“ 2015: die umgekehrte Wagenreihung. Huber ging zwar schnell zum nächsten Punkt über. Die Fachleute aber, die seinem Vortrag zum Zustand der Deutschen Bahn zuhörten, lachten anerkennend. Ihnen gefiel das flapsige Bekenntnis zu den eigenen Fehlern. Endlich mal ein Bahn-Manager, der die Nöte der Fahrgäste versteht.

Berthold Huber, 52 Jahre alt, ein Großteil seines Lebens bei der Bahn, rückte im August 2015 in den Konzernvorstand, übernahm die Verantwortung für den Nah- und Fernverkehr. Er ist nun Hoffnungsträger – für Konzernchef Rüdiger Grube, aber auch für die vielen Millionen Kunden. Huber soll die Intercity- und ICE-Züge endlich pünktlich machen.

Seine Vorgänger sind daran gescheitert. Huber aber ist Bahner aus Leidenschaft, der auch bei Gegnern hohes Ansehen genießt. „Wir müssen besser werden“, sagt er. Huber rückt so zum wichtigsten Manager für seinen Chef auf. Dem hat der Aufsichtsrat noch eine „letzte Chance“ eingeräumt, wie ein Mitglied sagt. Grubes Zukunft bei der Bahn hängt so von Huber ab.

Das erste Mal seit Jahren weist der Konzern für 2015 hohe Verluste aus. Die Güterbahn: ein Sanierungsfall, der Abschreibungen in Milliardenhöhe verursacht. Die Regio-Tochter: verliert Marktanteile an die Konkurrenz. Die Fernverkehrssparte: der einzige Hoffnungsträger, der aber sämtliche Erwartungen enttäuscht hat. Das alles soll nun Huber richten. Die Ausgangslage ist desolat – und deshalb ideal für radikale Reformen.

Im vergangenen Jahr vertrödelte jeder vierte Zug mindestens sechs Minuten, jeder zehnte kam sogar mindestens 15 Minuten zu spät ans Ziel. „Die Leistung reicht nicht aus“, sagt Huber. „So schnell wie möglich“, will er auf „mindestens 80 Prozent Pünktlichkeit“ kommen. Als pünktlich gilt ein Zug, der maximal 5:59 Minuten verspätet ist.

Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

Für den Neustart drückt Huber nun den „Reset-Knopf“, wie er es nennt. Ab März rollen alle 260 ICE-Züge in die Werkstatt. Jeder einzelne Zug werde das Reparaturprogramm mit „null Fehlern“ verlassen. Im Laufe des Jahres wird dann also jeder Zug ohne defekte Toiletten, kaputte Kaffeemaschinen und tote Sitzplatzanzeigen aufs Gleis gesetzt, in der Hoffnung, dass das auch eine Zeitlang so hält. Es klingt absurd, doch tatsächlich ist das ein Novum. Heutzutage lassen die Bahner ihre ICEs im Schnitt mit 17 Fehlern aus dem Depot in den Tag starten. Technisch meist undramatisch, aber nervig. „In Zukunft folgen wir dem Null-Fehler-Prinzip“, sagt Huber. Zumindest einmal im Jahr. Er will das Prozedere jährlich wiederholen.

Der Neustart der ICE-Flotte ist eine von 50 teils radikalen Maßnahmen, mit denen ein Team unter Leitung von Huber und zwei weiteren Vorständen der Bahn das „Wir können es einfach nicht“-Image abstreifen will. Das ausgerufene Ziel für 2016 laut Strategiepapier: „Ärgernisse beseitigen“. Bis 2020: „verlässliche Reiseketten“. Bis 2030: „stabile Echtzeit-Fahrpläne“.

Nicht nur für Fahrgäste wirken solche Zeiträume wie aus der Zeit gefallen. Auch Huber würde die Veränderungen im Schienenverkehr gerne beschleunigen. Seine Ungeduld schiebt ihn auf der Bühne der ESMT immer ein paar Meter nach vorne und zurück. Seine rechte Hand zeichnet irgendwelche Kreise und Linien in die Luft. Eisenbahn in Deutschland sei ein „kompliziertes Uhrwerk“, in das man nur Schritt für Schritt „eingreifen“ könne.

So will die Bahn Zeit aufholen

Auf Fragen aus dem Publikum wartet Huber gar nicht, er stellt sie sich selbst. Wo denn die Bahn in fünf Jahren stehe. „Ich will die beste Eisenbahn in Europa sein. Dann sind wir automatisch besser als das Auto und das Flugzeug.“ Huber räumt nun mit der Doktrin der Gewinnmaximierung auf, die den Konzern seit der Bahn-Reform 1994 lähmt.

Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn trimmte den Konzern auf den dann abgesagten Börsengang, Grube änderte wenig. Seit einem Jahr flüstern Huber und Konzern-Vize Volker Kefer dem Bahn-Chef einen Strategieschwenk zu: Die Bahn will Reserven aufbauen und mehr Geld in die Prävention investieren. „Zusätzlich verfügbare Züge und einwandfreie Infrastruktur sind am Ende wirtschaftlich mehr wert, als auch noch den allerletzten Euro einzusparen“, sagt Huber.

So plant die Bahn tiefe Einschnitte im System, um verlorene Zeit aufzuholen:

Sekunden will Huber an überlasteten Bahnhöfen gewinnen. Eine Idee: Sondersignale zeigen dem Lokführer, wenn sein Zug den Bahnhof als Übernächster verlassen darf. Lokführer eines Regionalzugs können Türen früher schließen. Das bringt etwa 20 Sekunden.

Minuten will die Bahn einsparen, indem sie Zeitpuffer von der Strecke in einige Bahnhöfe verlagert. Dort ist flexibles Planen wichtiger als unterwegs.

Stunden will Huber über eine höhere Netz-Qualität sparen. Ein Zug von Dortmund nach München überquert 4500 Gleise, Weichen und Signale. Sensoren an den technischen Anlagen sollen Störungen frühzeitig signalisieren. Das reduziert den Weichenausfall.

Tage will sich die Bahn über mobile Instandhaltungsteams sichern. Huber schickt sie schon bald in die Züge, um noch unterwegs Toiletten, Kaffeemaschinen und Sitzplatzanzeigen zu reparieren. Heute ist dafür noch ein Werkstatt-Stopp notwendig. All das soll die Bahn pünktlicher machen – und erfolgreich.

Vertrauliche Zahlen verraten: Für 2020 plant das Unternehmen im Fernverkehr einen Umsatz von 4,9 Milliarden Euro. Das wäre eine Milliarde Euro und 26 Prozent mehr als 2015. Die Bahn will bis dahin auch Städte mit 100 000 Einwohnern an den Intercity angeschlossen und Metropolen wie Berlin und Hamburg im ICE-Halbstundentakt verbunden haben. So soll dann ein operativer Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) von 600 Millionen Euro zustande kommen.

Der Fernverkehr müsse „ein verlässliches Aushängeschild der Deutschen Bahn werden“, sagt Huber. Ganz schön viel für einen Huber? Nun, er stützt sich da auf seine familiäre Vorgeschichte. Sein Urgroßvater elektrifizierte die erste Schienenstrecke auf dem Land – und revolutionierte das Bahnfahren. In diese Fußstapfen würde Huber gerne treten. Beobachter halten das für möglich.

Smarte Lösungen, zur Not auf Kosten der Rendite

Von 2003 bis 2008 war Huber Chef der Nahverkehrssparte DB Regio Bayern. „Das war sein Meisterwerk“, sagt Hans Leister vom Wettbewerber Hamburg-Köln-Express (HKX). „Huber hat die bayrische Tochter von DB Regio zu einer erfolgreichen Nahverkehrsbahn aufgebaut.“

In der Branche gilt Huber als „cleverer Fuchs“. Begleiter erzählen, wie er 2006 für einen Nahverkehrszug zwischen Ingolstadt und Nürnberg bieten wollte, ihm aber Fahrzeuge für die Strecke fehlten. Er bedrängte die Konzernzentrale in Berlin mit einem Schachzug: Huber bot der Fernverkehrssparte an, den bis dahin defizitären Intercity zwischen Nürnberg und Dresden zu übernehmen. Im Gegenzug bekam er die Fahrzeuge für die neue Nahverkehrsstrecke.

Den Betrieb über kluge Wege am Laufen zu halten ist Huber wichtiger als die Fokussierung einzig auf Rendite. So flutet er den Markt derzeit mit Billigtickets für den ICE. Für 19 Euro pro Fahrt will er den Fernbussen die jungen Fahrgäste wieder abluchsen. „Wenn ich den Preis um einen Euro erhöhe, dann verliere ich so viele Kunden, dass ich 1,20 Euro verliere“, sagt Huber auf dem Podium in Berlin.

Natürlich ist auch Huber kein Hexer. Zumal er nicht nur den Personenverkehr verantwortet, sondern auch die sanierungsbedürftige Güterbahn. Die raubt ihm rund die Hälfte seiner Arbeitszeit. Viele Aufsichtsräte sehen die Doppelfunktion kritisch.

Außerdem hat Hubers Karriere auch Macken. Seitdem er Ende 2010 Chef der Fernverkehrssparte wurde, stagniert das ICE-Geschäft. Auch er unterschätzte die Dynamik der Fernbusse und kann bis heute kein zuverlässiges WLAN in allen Zügen und Klassen anbieten – noch nicht mal in der 1. Klasse wie versprochen.

Als Personalvorstand der Konzerntochter DB Netz von 2008 bis 2010 drückte er den Personalbestand auf den niedrigsten Stand. 2013 fehlten dem Stellwerk Mainz dann Fahrdienstleiter wegen Krankheit und fehlender Reserve – eine krachende Blamage für die Bahn. Doch die Branche ist beeindruckt von Hubers Leidenschaft. „Er ist ein Überzeugungstäter“, sagt Leister.

Als die neuen Doppelstock-Intercitys, die seit Jahresende die Fernverkehrsflotte der Bahn verstärken, im Januar auf Streckenabschnitten bei Leipzig stark schwankten, brach Huber sofort auf, um das Gewackel selbst zu spüren und Fahrgäste zu befragen. Alle zwei Wochen fährt er von Berlin mit dem ICE in die Regio-Zentrale nach Frankfurt – und nimmt eben nicht den Flieger, wie viele seiner Vorgänger. Von seiner Wohnung in Berlin fährt Huber mit S- und U-Bahn in die Zentrale am Potsdamer Platz. Einen Dienstwagen will er als Bahner gar nicht haben – als Einziger im ganzen Vorstand.

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