Wenn gar nichts mehr geht, helfen nur noch kreative Lösungen. Weil auf bestimmten Strecken so viele Fahrgäste die ICE-Züge stürmen, überlegt die Deutsche Bahn inzwischen, an ausgewählten Zügen zusätzliche Wagen mitzunehmen. Allerdings würden die Züge dann so lang werden, dass einzelne Bahnsteige für sie zu klein sind. Die unkonventionelle Idee des Managements: Der Lokführer fährt mit der Zugspitze über das Ende der Bahnsteigkante hinaus. Er muss ja nicht aussteigen.
Noch sind das nur Gedankenspiele. Doch tatsächlich muss die Bahn im Fernverkehr neue Wege gehen, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden. Wenn der Vorstand am Donnerstag die Konzernergebnisse des vergangenen Jahres verkünden wird, dann gibt es zwar viel Schatten, aber auch Licht. Die Güterbahn bleibt zwar ein Krisenthema. Doch der Fernverkehr brummt. Der Staatskonzern wird den dritten Fahrgastrekord in Folge veröffentlichen. 142 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr ein Ticket für den Intercity oder den ICE gekauft. Das entspricht einem Plus von mehr als zwei Prozent. Der Umsatz stieg von 4,1 Milliarden Euro auf knapp 4,3 Milliarden Euro. Und so soll es weiter gehen.
Doch das Wachstum bringt die Deutsche Bahn zunehmend in Bedrängnis. Denn mehr Fahrgäste bedeuten schlicht mehr Menschen an Bord. Die Logistik der Waren ist schon jetzt am Anschlag. Und die steigende Auslastung der Züge senkt den Komfort all der anderen Mitfahrer. Will die Bahn mehr Züge auf die Strecke setzen, muss sie erkennen: Das Schienennetz ist im Prinzip voll. Da ist kaum noch Wachstum möglich.
Die Bahn arbeitet daher an neuen Ideen, um die Prozesse an Bord effizienter zu machen. Jüngstes Beispiel: der Komfort-Check-in. Wer ein Handy-Ticket inklusive Sitzplatz-Reservierung bucht, kann sich künftig selbstständig einchecken. Der Schaffner erhält dann eine Info auf seinem Kontrollgerät, der persönliche Ticketnachweis entfällt. Derzeit testet die Bahn das Projekt auf ausgewählten Verbindungen, etwa von München nach Hamburg und Hamburg nach Berlin. Auch an der Essenslogistik arbeitet die Bahn. Bestellungen in der ersten Klasse werden die Mitarbeiter künftig per Headset in die Küche geben. Außerdem bekommt das Personal an Bord bald mobile Kassen, so dass die Mitarbeiter Zeit sparen, weil sie nicht für jede Bezahlung zur Kasse in der Bordküche rennen müssen. Die Abläufe an Bord sollen so in Zukunft besser funktionieren.
Im Fernverkehr der Deutschen Bahn herrscht daher Aufbruchstimmung. Doch ausgerechnet jetzt will die Politik das Kommando übernehmen, weil sie glaubt, sie könne den Staatskonzern besser führen als das Management selbst. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD hatten die Parteien einen „Schienenpakt von Politik und Wirtschaft“ verabredet. Demnach sollen bis 2030 doppelt so viele Menschen mit der Bahn fahren und mehr Güter auf der Schiene transportiert werden. Mit Hilfe von Förderprogrammen will der Bund mehr Strecken elektrifizieren und vor allem kleinere Bahnhöfe attraktiver machen. „Für uns steht als Eigentümer der Deutschen Bahn AG nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene im Vordergrund“, heißt es im Koalitionsvertrag.





Das klingt alles gut. Doch geht die Bahn damit nicht wieder zurück auf Los? Bis 1994 war die Deutsche Bahn AG noch eine Bundesbahn, also ein nichtrechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit angeschlossener Transportabteilung.
In Zukunft soll die Bahn nun von einem politischen Aufsichtsrat kontrolliert werden. Neuer Aufsichtsratschef wird Michael Odenwald, der schon seit Jahren im Aufsichtsrat der Bahn sitzt. Derzeit ist das CDU-Parteimitglied Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Odenwald gilt als unumstrittener Kenner der Bahn. Odenwald sei daher auch „eine gute Wahl“, sagt Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Böttger gilt als einer der schärfsten Kritiker des Staatskonzerns, der seit Jahren die Renditeziele der Bahn zulasten des Schienennetzes anmahnt.