Deutsche Post Appels Sparkurs gefährdet Service und Qualität

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Ausgequetschte Filialisten

Karsten Klinkenberg, Schreibwarenverkäufer in Oberhausen, sieht die Dame von der Post ungläubig an. Zu den neuen Konditionen, die sie von ihm verlangt, kann er seinen kleinen Laden im Stadtteil Osterfeld nicht weiterführen, das sieht er sofort. „Wie sollen wir das machen, mit 3300 Euro weniger im Monat?“, fragt Klinkenberg. Die Post-Mitarbeiterin wirkt genervt, blickt auf Klinkenbergs Mitarbeiterin, die das Gespräch beobachtet. „Machen Sie das doch allein“, schlägt sie vor, „dann müssen sie halt ihre Angestellten rausschmeißen, das geht alles.“ Die Mitarbeiterin wendet sich ab, Tränen steigen ihr in die Augen.

Klinkenberg hat den neuen Vertrag nicht unterschrieben. Noch bis Ende April wird er Briefe und Pakete annehmen, dann hört er damit auf. „Nach 15 Jahren Partnerschaft mit der Post werden wir abgeschoben“, sagt Ehefrau Christiane.

Die Verbitterten. Die Oberhausener Eheleute Klinkenberg müssen die Postfiliale in ihrem Schreibwarenladen im April aufgeben. Die Post kürzt mit neuen Verträgen die festen Zuschüsse zum Betrieb um 80 Prozent. „Das schaffen wir nicht“, sagen die zwei. Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche

Um die Gewinne zu steigern, verlangt die Post von ihren selbstständigen Filialbetreibern, den sogenannten Postagenturpartnern, große finanzielle Zugeständnisse. Sie sollen künftig keine festen Zuschüsse mehr für Angebote wie Postfächer oder Geldauszahlungen der Postbank erhalten, sondern nur noch Provisionen, abhängig von den Einnahmen. „Damit sind alle Kosten und Risiken auf die Agenturpartner ausgelagert“, sagt Carsten Kaps vom Postagenturnehmerverband (PAGD) in Gießen. Für die Post sind die Schalter nicht mehr dazu da, um den Betreibern ein weiteres wirtschaftliches Standbein zu bieten, sondern um den „bestehenden Geschäftsbetrieb im Kerngeschäft zu fördern“, sprich: ihnen Kunden zuzuführen. So steht es in der Präambel der neuen Verträge.

Für die Klinkenbergs ist das zu wenig. „Nur noch 20 Prozent des Umsatzes fallen auf die Schreibwarenartikel“, sagt Ehefrau Christiane. „Der Postbetrieb frisst nur unsere Zeit auf.“ Die Post sieht das anders. „Die vereinbarten Konditionen und Provisionen sind angemessen, marktüblich und berücksichtigen den Verkaufserfolg“, heißt es. Die meisten Agenturpartner hätten die neuen Verträge unterschrieben, für den Rest suche man Ersatz.

Briefpreise in Europa (Standardbrief, 20g, Inland)

In der Praxis geht die Strategie allerdings schon heute mancherorts nur noch auf, wenn der Steuerzahler für die Folgen aufkommt. Denn mittlerweile sind es auch Kommunen, die eine Postagentur betreiben, damit die Bewohner Einschreiben und Pakete am Ort aufgeben können. Die 5000-Einwohner-Gemeinde Seelbach im Schwarzwald etwa unterhält seit 15 Jahren einen Postschalter im Rathaus und zahlt dafür ununterbrochen drauf. Im Laufe der Jahre hat sich der Fehlbetrag mehr als verdoppelt, jedes Jahr schießt die Kommune knapp 25.000 Euro zu, fünf Euro pro Einwohner. Wie teuer es kommt, einen Postschalter auch nur auf Sparflamme zu betreiben, zeigt das hessische Dorf Weinbach. Das öffnet für seine 4400 Einwohner die kommunale Poststelle nur für zwei Stunden am Tag. Trotzdem kostet dies den Gemeindekämmerer 14.000 Euro pro Jahr.

Die Post lässt sich davon nicht beirren. Weil immer mehr Pakete und immer weniger Briefe versendet werden, sollen die Kunden vermehrt Paketboxen oder Packstationen nutzen, also Schließfächer zum Beispiel auf Supermarktparkplätzen.

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Streikbereite Mitarbeiter

Morgens um neun, in einem Briefstützpunkt der Post in Berlin. Matthias Genter (Name geändert) kommt schon wieder in Verzug. Seit 6:30 Uhr sortiert er die Briefe für seine Tour, eigentlich sollte er längst damit fertig sein. „Aber das klappt so gut wie nie“, sagt er. Meist wird es zehn Uhr, bevor er mit dem Fahrrad seinen Bezirk in der Hauptstadt ansteuert.

Zusteller wie Genter klagen immer häufiger über die Vorgaben, die sie erfüllen müssen. „Die Belastung ist so hoch, dass man kaum noch weiß, wie man seinen eigenen Bezirk schaffen soll. Und dann muss man noch die Briefe der kranken Kollegen übernehmen“, sagt Genter. Laut eigenen Angaben beschäftigt die Post für vier Zusteller mit festen Bezirken im Schnitt je einen Springer, die solche Engpässe abdecken sollen. Genter schüttelt nur den Kopf. „Ersatz gibt es fast nie“, sagt er.

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