Ein Neurobiologe wird Chef der Deutschen Post DHL. Alleine das zeigt schon: Frank Appel ist vielseitig begabt. Nach seiner Promotion begann Appel bei der Unternehmensberatung McKinsey, wechselte von dort nach Bonn zum Gelben Riesen und rückte schnell in den Vorstand auf. Seit 2008 sitzt er bereits an seiner Spitze. Doch 10 Jahre als Vorstandschef bedeuten in Appels Fall keinesfalls Eintönigkeit: Immer wieder übernimmt er Jobs seiner Vorstandskollegen. Er übernahm bereits die Zuständigkeit für die Personalsparte, für das Frachtgeschäft. Und nun leitet er die Paketsparte. Für die Post ist Frank Appel damit eine Art Feuerwehrmann. Wenn es brennt, springt er ein.
Bisher hat das funktioniert, er hat die Probleme in den Griff bekommen. Doch die Paketsparte ist – zumindest auf den ersten Blick – gar nicht in Notlage. Und der bisher zuständige Vorstand Jürgen Gerdes verließ den Konzern anders als seine ehemaligen Kollegen den Konzern auch nicht ohne Erklärung. Er leitet nun eine neugegründete Innovationssparte, die vor allem das Hoffnungsprojekt Street Scooter umfasst, einen von der Post selbst entwickelten Lieferwagen.
Auf der Hauptversammlung am Dienstagvormittag muss Appel deshalb mit kritischen Fragen der Aktionäre rechnen. Was läuft schief in dem Paketgeschäft? Wieso gerät der Bereich immer wieder in Konflikt mit Behörden? Aber vor allem: Wieso brechen bei der Deutschen Post immer wieder Feuer aus, die der Vorstandschef dann löschen muss?
Geht es um die Paketsparte, sind solche Fragen besonders sensibel. Der Bereich, bei der Post nur „PeP“ genannt, ist mit zuletzt 18,2 Milliarden Euro Umsatz im Jahr die wichtigste Säule des Konzerns. Sie umfasst das Briefgeschäft und den boomenden Onlinehandel in Deutschland. Unter der Leitung von Jürgen Gerdes breitete sich die Post immer weiter in Europa und zuletzt sogar in Asien und Südamerika aus. 1,5 Milliarden Euro Gewinn brachte die Sparte im vergangenen Jahr.
Die Zahlen stimmen also. Nur die Schlagzeilen nicht. In den vergangenen Jahren geriet die Sparte immer wieder in die Kritik. Sie sammelte Rügen von Kartellamt und Bundesnetzamt, sogar der Zoll ermittelte wegen Verdachts auf illegale Leiharbeit. Die Gewerkschaftler sind erzürnt über ständige Personalmanöver, um die Lohnkosten in dem Bereich nicht ausufern zu lassen. Und auch unter den Führungskräften herrscht Unmut, nicht wenige verließen die Sparte in den vergangenen Jahren freiwillig.
So handelte sich die Deutsche Post erst 2015 ein Verfahren wegen Machtmissbrauchs ein. Der Konzern hatte mit Großkunden Preise für Briefe vereinbart, die weit unter dem Marktpreis liegen. Dafür bekamen die Kunden Rabatte, weil die Post auf ihren Briefen „zugestellt durch die Post“ und ihr Logo als Werbung aufdruckte. „Die Deutsche Post AG hat mit Großkunden Briefpreise und Treuerabatte vereinbart, die es anderen Briefdienstleistern unmöglich machten, ein wettbewerbsfähiges Angebot zu unterbreiten“, erklärte die Kartellamtspräsident Andreas Mundt damals.
Solche Verfahren sind von Bedeutung für den immer noch stark regulierten Briefbereich, weil sie es der Post erschweren, ihre Vorstellungen in der Politik durchzusetzen. Zwei Jahre später handelte sich die Post direkt das nächste Verfahren ein: Das Kartellamt ermittelt schon wieder wegen Machtmissbrauch, wegen fragwürdiger Rabatte für Großkunden im Pressevertrieb.
Gewerkschaft erzürnt über Personalmanöver bei der Post
Vor einem Jahr machte sich die Post zur Lachnummer, weil sie Betrug im großen Stil in ihren Briefzentren eingestehen musste. Insbesondere in Frankfurt hatten Zuliefererfirmen weniger Briefe gesammelt und abgeliefert, als sie gegenüber der Post angaben. Sie erfanden einfach Millionen von Briefen.
Und auch das Zollamt in Gießen ermittelte gegen die Post, wegen illegaler Leiharbeit. Der Konzern hatte Mitarbeiter bei seinem Tochterunternehmen, dem Siegfried-Vögele-Institut, angestellt und dann an den Hauptkonzern ausgeliehen – ohne das eine entsprechende Erlaubnis vorlag. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Post dafür ordentlich zahlte.
Gewerkschaftler sind schon lange aufgebracht über die Personalmanöver in der Sparte. Vor vier Jahren legten sie das Geschäft in einem großen Streik lahm. Damals hatte die Post Tochtergesellschaften namens Delivery GmbH gegründet, um dort Paketboten anzustellen. Die allerdings werden nur nach dem Logistik-Tarifvertrag bezahlt, der weit unter dem Posteigenen Haustarifvertrag gilt. Gewerkschaftler kritisierten die Doppelstandards in dem Unternehmen. Nun sollen Delivery GmbHs und die Postboten unter dem Dach der Post AG in einem Gemeinschaftsbetrieb zusammengeführt werden. Dann würden auf einmal zwei Kollegen im selben Lager mit denselben Arbeitsmitteln dieselbe Arbeit ausführen – aber unterschiedlich bezahlt werden.
"Regionale Flächentarifverträge mit unterschiedlichen Arbeits- und Bezahlungsbedingungen gehören nicht unter das Dach der Deutschen Post AG“, erklärte dazu die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis. „Der Gemeinschaftsbetrieb ist tarifpolitisch äußerst brisant. Das lehnen wir ab", sagte sie. Das ist auch deshalb relevant, weil Kocsis auch stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats ist. Die Verdi-Vertreter dort stehen schon lange nicht mehr auf der Seite von Jürgen Gerdes, einst hätten sie ihn beinahe seine Vertragsverlängerung gekostet.
Damals stellten sich die Arbeitgebervertreter auf seine Seite. Doch mit Betrugsfällen und Zollermittlungen hat Gerdes auch einige von Ihnen gegen sich aufgebracht. Der Staat hält immer noch rund 20 Prozent der Aktien an dem Konzern, deshalb entsendet das Bundesfinanzamt einen Vertreter in den Aufsichtsrat. Der war bislang Staatssekretär Werner Gatzer – damals auch zuständig für den Zoll. Dass seine eigene Behörde gegen den von ihm kontrollierten Konzern ermittelte, brachte Gatzer in Bedrängnis.
Nun steht Gerdes' Verlängerung bald wieder an, sein Vertrag läuft nur noch bis 2020. Gerdes muss seine Relevanz rechtfertigen – durch den Street Scooter und seine neuen Projekte. Der bekennende Schalke-Fan gilt als sehr direkt und durchaus als ruppig. Er hat mehr experimentiert als die anderen Spartenleiter, mehr gewagt. Der Street Scooter, um dessen Leitung der Autonarr sich nun in Vollzeit kümmern soll, gilt als Beweis für seinen Erfolg. Doch zum Kerngeschäft der Deutschen Post gehört er nicht. Der Konzern muss deshalb eine Perspektive für sein Elektroauto finden – ein Joint Venture, einen Verkauf, im Aufsichtsrat zirkulieren auch Träume wie ein Börsengang. Andere Projekte von Gerdes, wie ein Ausflug ins Fernbusgeschäft, scheiterten schon früher krachend.
Bisher ließ Appel ihn gewähren. Der Vorstandschef gilt als niemand, der seine Teammitglieder zu stark herumkommandiert. Er vertraut darauf, dass es unterschiedliche Wege zum Erfolg gibt. Doch nach drei umstrittenen Vorstandspersonalien muss sich Appel nun die Frage stellen, ob er vielleicht zu lange abwartet, bevor er selbst einschreitet. Nach elf Jahren als Paketchef muss Jürgen Gerdes nun einen Machtverlust hinnehmen. Und Frank Appel muss der Sparte neue Disziplin eintrichtern. Zu lange hat die Post ihr Geschäft im Briefbereich durch geschicktes Ausnutzen der Regulierung und staatliche Subventionen gemacht. Nun muss das Team wieder mehr Gewinn durch geschickten Vertrieb liefern – und weniger Skandale.
Für Appel ist das längst nicht die schwerste Aufgabe. Bis zum vergangenen Jahr war er noch Chef der Frachtsparte. Die hatte gerade eine halbe Milliarde Euro für eine prestigeträchtige IT-Neuordnung versenkt. Appel, der Neurobiologe, musste die Sparte aus dem IT-Chaos herausführen. Das Chaos ist beseitigt, die Zahlen müssen sich nun noch bessern. Das übernimmt nun ein anderer: Die Post warb Tim Scharwath vom Konkurrenten Kühne und Nagel als Vorstand an, um sich darum zu kümmern. Das Feuer hat Appel schließlich schon gelöscht.