Vor einem Jahr machte sich die Post zur Lachnummer, weil sie Betrug im großen Stil in ihren Briefzentren eingestehen musste. Insbesondere in Frankfurt hatten Zuliefererfirmen weniger Briefe gesammelt und abgeliefert, als sie gegenüber der Post angaben. Sie erfanden einfach Millionen von Briefen.
Und auch das Zollamt in Gießen ermittelte gegen die Post, wegen illegaler Leiharbeit. Der Konzern hatte Mitarbeiter bei seinem Tochterunternehmen, dem Siegfried-Vögele-Institut, angestellt und dann an den Hauptkonzern ausgeliehen – ohne das eine entsprechende Erlaubnis vorlag. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Post dafür ordentlich zahlte.
Gewerkschaftler sind schon lange aufgebracht über die Personalmanöver in der Sparte. Vor vier Jahren legten sie das Geschäft in einem großen Streik lahm. Damals hatte die Post Tochtergesellschaften namens Delivery GmbH gegründet, um dort Paketboten anzustellen. Die allerdings werden nur nach dem Logistik-Tarifvertrag bezahlt, der weit unter dem Posteigenen Haustarifvertrag gilt. Gewerkschaftler kritisierten die Doppelstandards in dem Unternehmen. Nun sollen Delivery GmbHs und die Postboten unter dem Dach der Post AG in einem Gemeinschaftsbetrieb zusammengeführt werden. Dann würden auf einmal zwei Kollegen im selben Lager mit denselben Arbeitsmitteln dieselbe Arbeit ausführen – aber unterschiedlich bezahlt werden.
"Regionale Flächentarifverträge mit unterschiedlichen Arbeits- und Bezahlungsbedingungen gehören nicht unter das Dach der Deutschen Post AG“, erklärte dazu die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis. „Der Gemeinschaftsbetrieb ist tarifpolitisch äußerst brisant. Das lehnen wir ab", sagte sie. Das ist auch deshalb relevant, weil Kocsis auch stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats ist. Die Verdi-Vertreter dort stehen schon lange nicht mehr auf der Seite von Jürgen Gerdes, einst hätten sie ihn beinahe seine Vertragsverlängerung gekostet.
Damals stellten sich die Arbeitgebervertreter auf seine Seite. Doch mit Betrugsfällen und Zollermittlungen hat Gerdes auch einige von Ihnen gegen sich aufgebracht. Der Staat hält immer noch rund 20 Prozent der Aktien an dem Konzern, deshalb entsendet das Bundesfinanzamt einen Vertreter in den Aufsichtsrat. Der war bislang Staatssekretär Werner Gatzer – damals auch zuständig für den Zoll. Dass seine eigene Behörde gegen den von ihm kontrollierten Konzern ermittelte, brachte Gatzer in Bedrängnis.
Nun steht Gerdes' Verlängerung bald wieder an, sein Vertrag läuft nur noch bis 2020. Gerdes muss seine Relevanz rechtfertigen – durch den Street Scooter und seine neuen Projekte. Der bekennende Schalke-Fan gilt als sehr direkt und durchaus als ruppig. Er hat mehr experimentiert als die anderen Spartenleiter, mehr gewagt. Der Street Scooter, um dessen Leitung der Autonarr sich nun in Vollzeit kümmern soll, gilt als Beweis für seinen Erfolg. Doch zum Kerngeschäft der Deutschen Post gehört er nicht. Der Konzern muss deshalb eine Perspektive für sein Elektroauto finden – ein Joint Venture, einen Verkauf, im Aufsichtsrat zirkulieren auch Träume wie ein Börsengang. Andere Projekte von Gerdes, wie ein Ausflug ins Fernbusgeschäft, scheiterten schon früher krachend.
Bisher ließ Appel ihn gewähren. Der Vorstandschef gilt als niemand, der seine Teammitglieder zu stark herumkommandiert. Er vertraut darauf, dass es unterschiedliche Wege zum Erfolg gibt. Doch nach drei umstrittenen Vorstandspersonalien muss sich Appel nun die Frage stellen, ob er vielleicht zu lange abwartet, bevor er selbst einschreitet. Nach elf Jahren als Paketchef muss Jürgen Gerdes nun einen Machtverlust hinnehmen. Und Frank Appel muss der Sparte neue Disziplin eintrichtern. Zu lange hat die Post ihr Geschäft im Briefbereich durch geschicktes Ausnutzen der Regulierung und staatliche Subventionen gemacht. Nun muss das Team wieder mehr Gewinn durch geschickten Vertrieb liefern – und weniger Skandale.
Für Appel ist das längst nicht die schwerste Aufgabe. Bis zum vergangenen Jahr war er noch Chef der Frachtsparte. Die hatte gerade eine halbe Milliarde Euro für eine prestigeträchtige IT-Neuordnung versenkt. Appel, der Neurobiologe, musste die Sparte aus dem IT-Chaos herausführen. Das Chaos ist beseitigt, die Zahlen müssen sich nun noch bessern. Das übernimmt nun ein anderer: Die Post warb Tim Scharwath vom Konkurrenten Kühne und Nagel als Vorstand an, um sich darum zu kümmern. Das Feuer hat Appel schließlich schon gelöscht.