Wenn Post-Chef Frank Appel die Jahreszahlen seines Konzerns vorstellt, versammelt er immer gleich den gesamten Vorstand um sich. Doch in diesem Jahr fehlt einer: Tim Scharwath, der schon vor einem Jahr angekündigte neue Vorstand für das Frachtgeschäft. Seinen ersten Tag soll er erst am 1. Juni haben und vor ihm liegt keine einfache Aufgabe: Er muss beweisen, dass die Post im Frachtgeschäft wieder eine Spitzenposition einnehmen kann.
Fast zwei Jahre führt Post-Chef Frank Appel die Sparte nun schon in Eigenregie. Es war eine Entscheidung aus der Not. Die Sparte geriet wegen eines IT-Debakels in eine Krise, die das ganze Unternehmen mit runterriss. Der zuständige Vorstand Roger Crook musste gehen. Die Post musste damals fast eine halbe Milliarde Euro in ihren Büchern abschreiben, 2015 stürzte das operative Ergebnis auf nur noch 197 Millionen Euro ab.
Heute ist die Post wieder auf Wachstumskurs: Der Gewinn stieg im vergangenen Jahr auf 3,5 Milliarden Euro, auch wenn der Umsatz auf 57 Milliarden Euro sank. Damit hat Frank Appel seine Ziele erreicht, wenn auch eher knapp. Die Analysten reagierten zurückhaltend, der Aktienkurs sackte sogar um fünf Prozent ab. Sie sind es aus der Vergangenheit gewohnt, dass Appel sie eher noch überrascht und ihre Erwartungen übertrifft. Bis 2020 will die Post ihren Gewinn schließlich auf fünf Milliarden Euro steigern. Davon ist der Konzern noch weit entfernt.
Deshalb richten sich alle Augen bald auf Tim Scharwath. Der Neuling muss beweisen, dass die Frachtsparte ihren Teil beitragen kann. Auf ihm lastet ein großer Erfolgsdruck. Denn die Krise ist noch nicht vollständig aufgearbeitet. „Das dauert einfach, bis man sich davon erholt“, sagte Frank Appel bei der Vorstellung der Jahreszahlen. Im vergangenen Geschäftsjahr sank der Umsatz des Frachtgeschäfts noch mal um 7,7 Prozent, auch wegen Währungseffekten und niedrigeren Treibstoffpreisen. Immerhin macht die Sparte wieder Gewinn. Den wird Scharwath noch ordentlich steigern müssen.
Schwer verdauliches IT-Debakel
Auslöser für die Krise war ein überzogenes IT-Projekt: Rund 275 Millionen Euro investierte die Deutsche Post, um gemeinsam mit SAP und IBM eine revolutionäre IT-Plattform aufzubauen. Es sollte ein globales Projekt werden, das rund um die Welt die Art verändern sollte, wie die Mitarbeiter die Fracht ihrer Kunden über Meere und durch die Luft schicken.
Das Projekt scheiterte an diesem überambitionierten Anspruch. Denn das Management strukturierte seine Abteilungen schon um, noch bevor sie die IT-Plattform auch nur in den Pilotländern problemlos zum Laufen gebracht hatten. Am Ende mussten sie einsehen: Die Plattform wird wohl niemals laufen. Am Gipfel der Krise kamen sogar Verkaufsgerüchte auf. Appel hat immer abgestritten, dass die Post ernsthaft darüber nachdenkt. Statt dem selbstentwickelten Alleskönner-Programm vertraut die Post nun auf die IT-Plattformen, die auch ihre größten Konkurrenten nutzen.
Was die Post mit ihrer Strategie 2020 erreichen will
Auch der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß soll verringert werden: Bis 2020 will die Post ihre Energie-Effizenz um 30 Prozent verbessern. Vor kurzem kaufte der Dax-Konzern zum Beispiel den deutschen Elektroauto-Entwickler Streetscooter auf.
Die Aktie Gelb soll weiter steigen: Post-Chef Frank Appel möchte zur ersten Wahl für Anleger werden. Zwischen 40 und 60 Prozent des Nettogewinns sollen die Aktionäre jährlich als Dividende ausgeschüttet bekommen.
Auch die Kundenzufriedenheit soll steigen - auf über 80 Prozent. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche beschwerten sich allerdings vor allem deutsche Großkunden zuletzt über die Briefzustellung.
Der Gewinn ist die wichtigste Ziellinie in der Strategie 2020: Bis zum Ablauf der Frist will Appel fünf Milliarden Euro Plus machen. Dazu müsste er pro Jahr den Gewinn um acht Prozent steigern. Die Brief- und Paketsparte, die ihren Umsatz vor allem in Deutschland macht, soll drei Prozent Gewinnsteigerung pro Jahr dazu beisteuern - das Expressgeschäft, die Logistik- und Speditionssparten müssen zehn Prozent mehr im Jahr verdienen.
Kein anderer Dax-Konzern hat so konkrete und zugleich so ehrgeizige Ziele.
In Deutschland hat der durch den Onlinehandel ausgelöste Paketboom die Deutsche Post weit nach vorne getrieben. Jetzt will der Bonner Konzern diesen Effekt auch in den Schwellenländern mitnehmen: Bis 2020 soll sich der Marktanteil in diesen Regionen von 22 auf 30 Prozent erhöhen. Der Fokus liegt dabei auf Brasilien, Indien, China, Russland und Mexiko.
Auch bei den Mitarbeitern möchte die Post die erste Wahl sein. Ziel des Vorstand ist es, in den Mitarbeiterbefragung eine Zustimmungsquote von über 80 Prozent zu erlangen. Zuletzt lag die Quote bei ungefähr 70 Prozent.
Appel fordert, dass die Sparte wieder seine alten Margen erreicht und sogar noch übertrifft. Umsetzen soll das für ihn Scharwath, der bisher beim Schweizer Konkurrenten Kühne+Nagel tätig ist. Der Konzern gilt als Marktführer, mit großem Abstand zum Frachtgeschäft des gelben Riesen. Die Post muss mehr Ladung für ihre Kunden verschiffen und fliegen – und zu besseren Preisen, wenn sie ihre Ziele 2020 umsetzen will.
Und Appel hat schließlich schon wieder das nächste ehrgeizige Ziel festgesteckt: Die Post hat sich eine neue Umwelt-Strategie gegeben. Bis 2050 will sie ihre Briefe, Pakete und Container emissionsneutral zustellen. Vorstandskollege Jürgen Gerdes hat deshalb angefangen, einen eigenen elektrischen Zustellwagen zu bauen, den Street Scooter. Doch jede Sparte soll ihren Teil zum internen Klimaziel beitragen. Auch darüber wird sich Tim Scharwath Gedanken machen müssen.