Das Treffen im Tulip Inn, einem Hotel in der Düsseldorfer Fußballarena, endete für Max Toller mit einer speziellen Offerte. Der Mitarbeiter der Postcon, einer Tochtergesellschaft der holländischen Post TNT, sollte über seinen Arbeitgeber Bericht erstatten, wenn es etwa mit Kunden „Probleme oder andere Schwierigkeiten geben“ würde, habe ihn sein Gegenüber gebeten. Es lockte die Aussicht auf Geld. Der angebliche Auftraggeber: ein Manager des Berliner Unternehmens Compador.
Toller heißt in Wahrheit anders. Doch der Versuch der Einflussnahme ist in einem Gesprächsprotokoll festgehalten, das ein Vertrauensmann der Postcon mit dem angesprochenen Kollegen im Anschluss an das ominöse Treffen anfertigte. Compador bestreitet die Vorwürfe. Das Papier, das der WirtschaftsWoche vorliegt, bringt jedenfalls auch die Deutsche Post in Erklärungsnot: Der Logistikkonzern ist an Compador beteiligt. Das Berliner Unternehmen hat in jüngster Zeit mit zweifelhaften Methoden auf sich aufmerksam gemacht. Post-Konkurrenten schlagen nun Alarm. Die Deutsche Post, so ihr Vorwurf, nutze Compador als Trojanisches Pferd, um Wettbewerb im Briefmarkt auszuhebeln.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Beteiligung der Deutschen Post in Verruf gerät. Vor zwei Jahren beanstandete das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht das Vorgehen von First Mail. Die 100-prozentige Billigtochter der Post hatte versucht, den Konkurrenten der Mutter über Kampfpreise Kunden abzujagen. Die Post hält im Briefgeschäft immer noch einen Marktanteil von 90 Prozent, doch das Sendungsaufkommen sinkt seit Jahren stetig. Der im Juni 2010 gestartete E-Postbrief hat die Planzahlen bislang nicht erreicht.
Nun sieht es so aus, als nutze die Post die Beteiligung Compador als neue Speerspitze gegen Wettbewerber. Im Dezember vergangenen Jahres kaufte sich die Post in das Unternehmen ein: mit 49 Prozent bei der Sparte Compador Technologies GmbH, die Maschinen für das Vorsortieren von Briefen produziert und wartet. Zusätzlich hält der Konzern 26 Prozent an der Schwestergesellschaft Compador Dienstleistungs GmbH, die Briefsendungen bei Großkunden einsammelt und bei der Deutschen Post oder privaten Briefdiensten zur Zustellung abgibt.
Mit dem Einstieg der Bonner begann eine Serie fragwürdiger Methoden. Postcon etwa war einer der Hauptkunden von Compador. Mit deren Maschinen sortierte die TNT-Tochter die bei Großkunden eingesammelten Briefe. Die meisten Sendungen wurden über Zusteller der Muttergesellschaft TNT und regionale Kooperationspartner ausgeliefert. Einen Teil speiste Postcon in das Zustellnetz der Deutschen Post ein. Der Briefkonzern gewährt für das Vorsortieren der Briefe nach Postleitzahlen gesetzlich festgelegte Rabatte. Das sogenannte Konsolidierungsgeschäft ist für TNT lukrativer als die Briefzustellung in Eigenregie. 2012 erwirtschaftete Postcon einen Gewinn von 14 Millionen Euro.
Verfahren der Missbrauchsaufsicht
Doch dann kündigte Compador den Wartungsvertrag mit Postcon. Zudem warb es mehr als 30 Vertriebsmitarbeiter ab. Die finanziellen Mittel dafür stammten zum Teil aus dem Einstieg der Deutschen Post. Danach folgte eine Angebotsoffensive, die an First-Mail-Zeiten erinnert. Vor allem bei Kunden aus dem Postcon-Portfolio wurde Compador mit teils extrem niedrigen Preisen vorstellig. Ein Kunde etwa, der pro Tag rund 300 Briefe verschickt, bekam einen Rabatt von 15 Prozent aufs Standardporto von 58 Cent – üblich sind etwa zehn Prozent. Vertriebsmitarbeiter der TNT-Tochter zweifeln intern an der „Gewinnerzielungsabsicht“. Compador-Chef Jens Gunter Greve hält dagegen, er „kalkuliert kaufmännisch fair und korrekt“.
Inzwischen hat sich auch die Bundesnetzagentur eingemischt. Die Behörde eröffnete im Juli „ein Verfahren der besonderen Missbrauchsaufsicht“. Sie geht dem Verdacht nach, dass die Post-Tochter In-Haus Services der Schwester Compador im Vergleich zu deren Wettbewerbern „unterschiedliche Konditionen anbietet“: Briefzentren in Frankfurt und Essen würden Compador günstigere Einlieferungszeiten anbieten als Postcon. Laut Deutsche Post trifft der Vorwurf der Diskriminierung „nicht zu“. Es seien unterschiedliche Briefmengen angefragt worden, die unterschiedliche Zeitfenster rechtfertigten.
Überhaupt will die Deutsche Post vom Geschäftsgebaren der neuen Beteiligung wenig mitbekommen. Compador gehe mit „kompetitiven, aber marktüblichen Preisen in den Markt“, versichert Achim Dünnwald, Chef der Sparte Briefkommunikation. „Extrem niedrige Preise würden der Positionierung von Compador nicht entsprechen.“ Man sei dort ohnehin nur eingestiegen, „um in die Qualität des Managements und die Technik und in ein vielversprechendes Geschäftsfeld zu investieren“, sagt Dünnwald. „Über Strategie und detaillierte Geschäftspläne habe man nie gesprochen.“
Kaum bestreiten lässt sich aber, dass das Geschäftsgebaren der Compador-Geschäftsführung sich für die Deutsche Post lohnt. Die TNT-Tochter verlor einige Kunden. Auch beim dritten größeren Konsolidierer im Markt, der Freesort aus Langenfeld bei Düsseldorf, spürt man seit Jahresanfang „einen enormen Preisdruck“, sagt Monika Plum, Leiterin Geschäftsentwicklung bei der Muttergesellschaft Francotyp-Postalia. Compador-Chef Greve sagt dazu, er habe das klare Ziel ausgegeben, „den Wettbewerb im Konsolidierungsmarkt für sich entscheiden zu wollen“.
Dafür könnte sein nächster Coup einen wichtigen Beitrag leisten. Greve plant ein neues Geschäftsmodell, das darauf abzielt, die bei Großkunden eingesammelten Briefsendungen von den privaten Briefdiensten zur Deutschen Post umzuleiten. Als Experimentierfeld nutzt Compador offenbar die Nordbayernpost in Nürnberg. Der Briefzusteller, der pro Tag rund 100.000 Briefe verteilt, wurde 2008 von Verlagen gegründet, schwarze Zahlen schrieb er nie. Die Gesellschafter verkauften die Nordbayernpost im März dieses Jahres an den Privatmann Michael Lübnitz, der Branchenkreisen zufolge eher weniger Erfahrung im Briefgeschäft mitbringt.
Monopol dauerhaft gesichert
Nach außen hin gibt es zwischen ihm und Compador auch keine Verbindung. Doch offenbar stehen sich beide sehr nahe. Man habe „penibel darauf geachtet, die Geschäftsbeziehung zu verschleiern“, sagt ein Insider, um keinen Verdacht beim Bundeskartellamt aufkommen zu lassen. Tatsächlich habe sich Compador aber in das operative Tagesgeschäft eingemischt, Compador-Manager hätten Mitarbeitern der Nordbayernpost gar Weisungen erteilt. Greve und Lübnitz bestreiten das. Es habe lediglich einen Beratungsvertrag mit Compador „im Rahmen der Restrukturierung“ gegeben, so Lübnitz.
Unumwunden gibt Greve aber zu, welchen Inhalt die Beratung hatte. Das Ziel sei ein „kooperatives Wettbewerbsmodell“ gewesen. Die Nordbayernpost-Zusteller sollten Briefe nur noch im eigenen, deutlich geschrumpften Kerngebiet Nürnberg austragen – dort hätten sie Briefträgern der Deutschen Post weiter Konkurrenz gemacht. Die restlichen Sendungen, etwa 40 Prozent der täglich rund 100.000 Briefe, die vor allem in Gebiete außerhalb Frankens gingen, sollte die Nordbayernpost nicht mehr wie vorher üblich über private Briefdienstpartner zustellen lassen, sondern über die Deutsche Post. Die Verträge mit den früheren Partnern kündigte Lübnitz – der Bonner Konzern gewann auf einen Schlag 40.000 Briefsendungen pro Tag.
Die Stärken der Deutschen Post
Alle Geschäftsbereiche arbeiten profitabel.
Besonders stark ist die Post im Express-Geschäft - der Anteil der Sparte am Gesamtgewinn (Ebit) 2012 beträgt 35,9 Prozent.
Die Post hat einen Anteil am deutschen Briefmarkt von 90 Prozent.
Die Post ist Marktführer in Asien. DHL hat einen Anteil von 40 Prozent im Expressgeschäft, FedEx folgt mit 21 Prozent, EMS mit 14 Prozent, UPS mit 10 Prozent, weitere Anbieter halten 15 Prozent.
Für die Großkunden der Nordbayernpost hatte das durchaus Charme: So war sichergestellt, dass die Briefe in der Regel einen Tag nach Einwurf, im Fachjargon „E+1“ genannt, bundesweit zugestellt wurden. Die private Konkurrenz schafft das nur im eigenen, meist regionalen Zustellgebiet. Bundesweite Briefe brauchen eher zwei Tage. Private Briefdienste, die sich etwa in der Mail Alliance zusammengeschlossen haben, akzeptieren den Qualitätsverlust, um sich so wenigstens eine Alternative zur Post zu sichern. Würde die Nordbayernpost als Erster aus diesem System ausscheren und andere dem Beispiel folgen, wäre das zweite Netz aber so gut wie tot – das Monopol der Deutschen Post wäre dauerhaft gesichert.
Ein abgekartertes Spiel?
Die Post will davon nichts wissen. „Wir achten als Minderheitsgesellschafter peinlichst genau darauf, dass wir uns in die Geschäfte von Compador nicht einmischen“, sagt Manager Dünnwald. „Wir lassen dem Management freie Hand.“ Angesichts zahlreicher Gespräche, die das Compador-Management im vergangenen Jahr im Vorfeld des Einstiegs der Deutschen Post mit Top-Managern in Bonn geführt hat, wirkt diese Argumentation schwer nachvollziehbar. Greve gibt immerhin zu, dass Gespräche auch darüber geführt wurden, ob ein Einstieg strategisch passen würde. Details seien hingegen nicht Thema gewesen.
Die Schwächen der Deutschen Post
Obwohl die Post 2012 deutlich mehr Gewinn machte als im Vorjahr, wuchs die Nettoverschuldung auf rund zwei Milliarden Euro. Der Grund: Die Post musste Pensionsverbindlichkeiten von rund zwei Milliarden Euro finanzieren. Hinzu kam eine Umsatzsteuernachzahlung in Höhen von 482 Millionen Euro sowie eine Beihilferückforderung von rund 300 Millionen Euro.
Die Beihilfen hatte der Staat nach der Post-Privatisierung für Beamtenpensionen gewährt, doch die EU-Kommission hielt sie für zu hoch.
Die Post leidet unter dem sinkenden Briefgeschäft. Im Jahr 2000 wurden an Werktagen noch 72 Millionen Briefe verschickt, 2012 waren es nur noch 64 Millionen. Statt Briefen schicken immer mehr Menschen Mails.
Die Post hat erhebliche Probleme beim E-Postbrief. Das Projekt De-Mail hat sie vorerst sogar eingestellt. Der 2010 gestartete E-Postbrief soll in diesem Jahr immerhin die Umsatzmarke von 100 Millionen Euro knacken - bisher macht sie nach eigenen Angaben 20 Millionen Euro Umsatz damit. Brief-Vorstand Jürgen Gerdes will dem Produkt bis 2015 Zeit geben, sich zu entwickeln. Derzeit nutzen eine Million Privatkunden, rund 4000 Mittelständler und 150 Großkunden den E-Postbrief.
Teure Verwaltung
Unbeantwortet bleibt angesichts dieses ausgeklügelten Geschäftsmodells bis heute die Frage, warum die Nordbayernpost am Ende doch nicht überlebt hat. Ende September entschloss sich Lübnitz zur Liquidierung, weil ihm „die Restrukturierung nicht gelungen ist“. Die Wettbewerber vermuten eher ein abgekartetes Spiel: Es liege nahe, „dass der Erwerb der Nordbayernpost auf Veranlassung des Gesellschafters von Compador, Deutsche Post AG, erfolgt ist, um Nordbayernpost vom Markt zu nehmen“, heißt es in einem Anwaltsschreiben des Bundesverbands Briefdienste (BBD) an die Bundesnetzagentur.
Der Post-Konzern weist die Vorwürfe als „haltlos“ zurück. So auch Greve, der darauf hinweist, dass er so ja potenzielle Kunden, an die er Sortiermaschinen verkaufen könnte, verliere würde. Auch Lübnitz verwahrt sich „aufs Äußerste gegen ehrenrührige Unterstellungen, die mich zur Marionette degradieren“.
Geschäftsdetails über Kunden der Postcon muss sich Compador künftig jedenfalls anders beschaffen. Das Landgericht Düsseldorf hat Compador per einstweiliger Verfügung im September verboten, Postcon-Mitarbeiter aufzufordern, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse weiterzugeben, insbesondere über Probleme mit Kunden, sowie über interne Schwierigkeiten und Probleme mit Postcon-Mitarbeitern zu berichten.
Verhandelt wird im November.