
Ein gelber Zug schiebt sich mit einem schrillenden Lärm durch die Straße, die Trillerpfeifen verklingen nur zum gemeinsamen Protestruf: „Ap-pel raus, Ap-pel raus“, rufen 4000 Paket- und Briefzusteller dem Post-Tower entgegen.
Der gläserne Turm schweigt. Irgendwo dort, im 40. Stock, sitzt Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post. Von seinem Büro aus steuert er den Konzern durch den heftigsten Arbeitskampf, den das ehemalige Staatsunternehmen in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat.
Seit zwei Wochen führt die Gewerkschaft Verdi deutschlandweit die Postboten und Paketzusteller in einen unbefristeten Streik. Die Streikenden kämpfen gegen die Auslagerung von Jobs, um den Wert ihrer Arbeit – vor allem aber um die Zukunft der Mitbestimmung.
Post-Streik: Was Sie jetzt wissen müssen
Im Januar überrumpelte die Deutsche Post die Gewerkschaft Verdi mit einem ungewöhnlichen Schritt: Der Bonner Konzern gründete 49 Regionalgesellschaften mit dem Namen Delivery GmbH. Dort werden seit April Paketboten zu den Bedingungen des Logistiktarifvertrags beschäftigt. Sie erhalten damit rund 20 Prozent weniger Lohn als ihre Kollegen, die nach dem Post-Haustarif bezahlt werden.
Die Gewerkschaft Verdi fordert, dass die Post diesen Schritt wieder rückgängig macht. Seit April hat Verdi deshalb regelmäßig zu Warnstreiks aufgerufen, seit Anfang Juni führt die Gewerkschaft einen unbefristeten Streik. Mehr als 32.000 Post-Mitarbeiter haben ihre Arbeit niedergelegt.
Am 3. Juli wollen der Post-Vorstand und Verdi ihre Verhandlungen fortsetzen. Der Streik soll jedoch weiterlaufen, bis es eine endgültige Einigung gibt.
Die Lage ist unübersichtlich, aber zumindest bemüht sich die Post um die Information ihrer Kunden. Regionale Schwerpunkte gibt es bei den Streiks nicht. Auf der Internetseite der Post mit den Streikinformationen kann anhand der Postleitzahl geprüft werden, ob der Ausstand vor Ort eine Rolle spielt. Dabei können Kunden anhand der Postleitzahl prüfen, ob die Briefträger vor Ortstreiken oder ein zuständiges Briefverteilzentrum bestreikt wird, also ob beim Empfang oder dem Versand mit Verzögerungen zurechnen ist. Außerdem bietet die Deutsche Post eine Kundenhotline unter der Rufnummer 0228 /76367650 an.
Nein, zumindest nicht generell. Beim normalen Versand von Standardbriefen oder Paketen lehnt die Post seit jeher Garantien für das Einhalten eines bestimmten Lieferdatums ab. Das Risiko, dass ein Brief oder Paketrechtzeitig ankommt, trägt immer der Versender. Weil nicht überall gleichzeitig gestreikt wird, bleiben Briefe aber in der Regel nur einen Tag liegen. Wer dringende normale Briefe und Pakete ein paar Tage früher verschickt, sollte keine Probleme bekommen.
Ja, zum Beispiel beim Expressversand oder der Versendung als Einschreiben. Bei diesen Versandarten verpflichtet sich die Post dazu, einen bestimmten Zustelltermin einzuhalten. Hält sieden Termin nicht ein, muss sie für Schäden haften haften. Dafür verlangt sie auch ein deutlich höheres Porto als beim Standardversand. Die Express-Sendungen übernimmt bei der Deutschen Post ein Dienstleister, der vom Streik verschont bleibt. Allerdings haben Kunden bei Verspätungen aufgrund von Streiks auch hierkeinen rechtlichen Anspruch auf Schadenersatz, da Streiks als Haftungsgrund in den AGB der Post explizit ausgeschlossen sind. Solange die Express-Sparten nicht bestreikt werden, können sich Kunden also auf das rechtzeitige Eintreffen von Express-Sendungen verlassen.
Selbst wenn es eine Versicherung gäbe, die für die Haftung infrage käme: Ein Streikgilt juristisch als höhere Gewalt. Dafür ist laut Gesetzeine Haftung ausgeschlossen, also auch wenn Postsendungen streikbedingt zu spät kommen. Wer also beispielsweise Konzertkarten per Postverschickt, die dann erst nach der Veranstaltung beim Empfängereintreffen, steht selbst in der Haftung
Verbraucherzentralen weisen etwa bei Kündigungsschreiben darauf hin, dass sich Verträge verlängern, wenn das Kündigungsschreiben erst nach Ablauf der Frist beim Empfängereintrifft. Die Regeln zu Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristensind in den Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen fixiert. Kündigungen bedürfen grundsätzlich der Schriftform, wenn es der Vertragspartner in seinen Geschäftsbedingungen nicht anders geregelt hat. Vom Streik Betroffene sollten das Vertragswerk daher prüfen und gegebenenfalls alternative Versandmethoden nutzen oder den Vertragspartner um einen Fristverlängerung bitten. Kulante Vertragspartner dürften für die Dauer des Streiks darauf eingehen.
Beiden Paketzustellern gibt es bekannte Wettbewerber wie Hermes, GLS, DPD und andere. Bei Briefen sind Alternativen für Privatkunden rar. Post-Konkurrenten wie TNT oder PIN arbeiten nur für Firmenkunden, Betriebe können sie also nutzen. Je nach Region gibt es allerdings auch für Privatpersonen alternative Briefzusteller. Eine Übersicht der Anbieter bietet zum Beispiel posttipp.de. Aber vielleicht geht es auch ohne Brief, zum Beispiel mit dem per Fax oder mitpersonifizierter und verschlüsselter DE-Mail, wie sie Telekom und Internetdienstleister wie web.de, GMX oder 1&1 anbieten. Zu den Sicherheitsstandards informiert Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik(BSI) auf seinen Online-Seiten. Wem das zu umständlich ist, kann Briefe entweder selbst beim Empfänger einwerfen - am besten im Beisein von Zeugen -oder sich beim Empfängererkundigen, ob der auch normale E-Mails akzeptiert.
Hier besteht im Prinzip kein zusätzliches Risiko. Ein Kaufvertrag über online bestellte Waren kann innerhalb von 14 Tagen widerrufen werden. Zur Einhaltung der Widerrufsfrist ist es ausreichend, wenn die Wareinnerhalb dieses Zeitraums abgeschickt wird. Allerdings sollte dann als Nachweis für den rechtzeitigen Versand der Einlieferungsbeleg aufbewahrt werden.
Zum einen setzt die Post in den Verteilzentren vorrübergehend auch Mitarbeiter der Verwaltung ein. Die noch immer rund 40.000 Beamten bei der Postdürfen nicht streiken und müssen teilweise aushelfen. In grenznahen Regionen springen auch Post-Mitarbeiteraus dem Ausland ein. Dadurch kamen am ersten Streiktag immernoch neun von zehn Postsendungen pünktlich. Zum Glück können die Sortiermaschinen in den Verteilzentren nicht streiken. Durch den Einstieg der Briefzusteller in den Streik wird es aber voraussichtlich zu deutlich mehr Verspätungen kommen.
Für Frank Appel und seine Kollegen hingegen geht es um eine ganz andere Frage: Wie frei können sie den Konzern führen? „Wie wir unser Unternehmen organisieren, ist eine unternehmerische Entscheidung“, sagte der für den Brief- und Paketbereich zuständige Vorstand Jürgen Gerdes in dieser Woche der „Süddeutschen Zeitung“.
Das gespaltene Post-Reich
Der Streitpunkt ist ein provokanter Schritt der Deutschen Post, der die Struktur des Bonner Konzerns grundlegend verändert hat: Anfang des Jahres gründete die Post 49 regionale Tochtergesellschaften mit dem Namen Delivery GmbH, in der sie ihre Paketboten nicht nach dem üblichen Haustarif, sondern nach dem wesentlich günstigeren Logistiktarif bezahlt.
Denn Wettbewerber wie Hermes, DPD oder GLS zahlen ihren bei Subunternehmern beschäftigten Zustellern nur den Mindestlohn. Die Post habe hier einen Wettbewerbsnachteil, deshalb müsse sich der Lohnunterschied dringend verringern, erklärt der Vorstand.
Seit dem geht ein tiefer Schnitt durch das Reich von Paket-Vorstand Gerdes: Gelb-Schwarze Klebeband-Linien trennen in den Paketzentren die Delivery-Boten von den Angestellten der Post AG. Sie verrichten die gleiche Arbeit am selben Arbeitsplatz, nur das Gehalt unterscheidet sich – und noch ein weiteres Detail: Während die Paketzusteller der Post AG heute in Bonn ihren Frust dem glänzenden Hauptquartier entgegen brüllen, müssen ihre rund 6000 Kollegen von der Delivery arbeiten. Die nach dem Logistiktarif beschäftigten Arbeitnehmer unterliegen der Friedenspflicht.
Auch das ist der Grund, warum Verdi eine Rückkehr der Delivery-Beschäftigen zum Haustarif zur Forderung mit höchster Priorität erklärt hat.
Die Gewerkschaft demonstriert der Deutschen Post ihre gesamte Schlagkraft: Mehr als 22.000 Mitarbeiter hat die Gewerkschaft mittlerweile in den Streik geführt. Der Organisationsgrad bei dem ehemaligen Staatsunternehmen ist extrem hoch. Trotzdem zeigt sich Post-Chef Frank Appel bisher wenig beeindruckt von den Maßnahmen. Laut Unternehmensangaben erreichen noch rund 80 Prozent der Briefe und 60 Prozent der Pakete pünktlich ihre Empfänger.
Die Post hat sich wie Verdi darauf eingerichtet, den Streik auszusitzen. Wer länger durchhält, ist auch eine Frage des Geldes. Die Post nimmt hohe Mehrkosten in Kauf, um den Service aufrecht zu halten: Ganze Busse mit Leiharbeitern aus Polen oder Rumänien sind in den vergangenen Tagen bei den Paketzentren eingetrudelt, um dort den Rückstau abzuarbeiten. Auch Mitarbeiter von großen Firmenkunden helfen in den Sortierzentren aus.
„Das ist eine Riesensauerei“, erzürnt sich die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis auf der Verdi-Demonstration vor dem Post-Tower. Doch auch die Verdi-Kasse, aus der die Gewerkschaft den Postmitarbeitern für jeden Streiktag etwa 70 Prozent ihres Lohns erstattet, ist nicht unbegrenzt gefüllt.
Doch die Delivery GmbH hat für die Post noch mehr Vorteile als nur eine niedrigere Lohnkostenstruktur: Jeder dort angestellte Mitarbeiter schmälert die Macht der Gewerkschaft. Denn die Logistiktarife muss Verdi in jedem Bundesland einzeln verhandeln und kann entsprechend auch nur einzelne Bundesländer bestreiken. Bei der Gewerkschaft und den Mitarbeitern ist auch deshalb die Angst groß, dass bald nicht nur Paketboten, sondern auch die Briefzustellung an die Delivery GmbH ausgelagert werden könnten.
Auf der Bühne vor dem Post-Tower spricht mittlerweile Verdi-Chef Frank Bsirske. Bei einem Arbeitskampf dieser Größenordnung spricht der oberste Gewerkschaftler nur zu gerne, vor allem in einem Wahljahr. Vor ihm halten ein paar Frauen aus der Menge ein Plakat hoch: „Stoppt Delivery. Denn über kurz oder lang kommt der Betriebsübergang“, haben sie in roter Farbe darauf geschrieben. Bsirske holt Luft, dann ruft er in die Menge: „Ohne eine Rückführung der DHL Delivery GmbH unter das Dach der Deuschen Post wird es keinen Frieden geben.“