Deutschland Das Handyticket für den Nahverkehr kommt endlich

Quelle: imago images

Seit Jahren drängen städtische Bus- und Bahngesellschaften auf ein Handyticket für den Nahverkehr. Nun gibt es eine technische Lösung, die den Münchnern erlauben soll, Tickets für Köln zu verkaufen - und umgekehrt. Wird nun alles einfacher?

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Wenn man den Worten von Knut Ringat Glauben schenken darf, dann hat sich im Sommer dieses Jahres etwas „Epochales“ getan. Der 58-Jährige ist Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) – einer der ganz großen Nahverkehrsverbünde in Deutschland. Ringat koordiniert S-Bahnen und Regionalzüge im Raum Frankfurt. Jedes Jahr nutzen rund 750 Millionen Menschen die Busse und Bahnen. Und nun will Ringat seinen Kunden, die ihm zuletzt Fahrgeldeinnahmen von rund 900 Millionen Euro im Jahr beschert haben, "auch die Chance geben, dass der Fernverkehr gut erhältlich ist“.

Seit einigen Wochen kooperiert Ringats RMV mit der Deutsche Bahn. Über die Smartphone-App des RMV können Kunden nun Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn kaufen. Statt auf den DB Navigator der Deutschen Bahn zu wechseln, kann ein ICE also bequem über die Nahverkehrs-App gebucht werden. Was unspektakulär klingt, ist für die Nahverkehrsbranche in Wahrheit eine kleine Revolution.

Denn hinter der Kooperation zwischen RMV und Deutsche Bahn steckt ein technisches System mit dem Namen „Mobility Inside“, das bald schon den gesamtdeutschen Stadtverkehr verändern soll. Über die Plattform sollen Verkehrsverbünde und städtische Verkehrsgesellschaften nicht nur in der Lage sein, Tickets für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu verkaufen, sondern auch für Busse, S- und U-Bahnen in anderen Metropolen. Die Vision der Macher von „Mobilty Inside“: Wer durch Deutschland reist, kann sein Ticket zentral über eine App kaufen und muss nicht immer zwischen verschiedenen Anbietern hin und her wechseln – eine Art Handyticket-App für den Nahverkehr.

Für diese Städte nehmen Pendler lange Wege in Kauf

Darauf warten Pendler und Vielreisende seit vielen Jahren. Versuche für ein einheitliches Handyticket gab es schon häufig. Doch meist scheiterte es an der Engstirnigkeit einzelner Verkehrsverbünde. So blieb die App „Handy Ticket Deutschland“ weit hinter ihren Möglichkeiten. Die App sollte alle Beteiligten in einer App bündeln, doch Städte wie München machten gar nicht erst mit. Die Menüführung beschreiben Nutzer als unbeholfen bis katastrophal – jedenfalls alles andere als optimal.

Auch unabhängige Drittanbieter wie die Daimler-Tochter Moovel, die über eine App bereits sämtliche Fahrplandaten der Nahverkehrsgesellschaften integriert hat, tat sich schwer, die Tickets einer Verbindung zu verkaufen. Nur für einzelne Städte wie Stuttgart und Hamburg verkauft Moovel Bus- und Bahn-Fahrkarten. Um wirklich alle Städte unter einen Hut zu kriegen, hätte Moovel mit jeder Stadt einen separaten Deal eingehen müssen.

Am weitesten war da schon die Deutsche Bahn, die bereits heute über ihren Navigator Nahverkehrstickets der meisten Metropolen anbietet: von München über Frankfurt bis Hamburg und Berlin. Laut Bahn würde das Angebot weit über 50 Millionen  Menschen erreichen – mehr als 80 Prozent der potenziellen Fahrgäste in sämtlichen Verkehrsverbünden in Deutschland könnten sich also Nahverkehrstickets über den Navigator holen. Flächendeckend ist auch das noch nicht. RMV-Chef Ringat hat dafür eine Erklärung: „Wir sind bislang in der Branche so zersplittert gewesen, dass wir nicht sehr weit waren“, sagte er vor wenigen Wochen.

Paradigmenwechsel in der Verkehrs-Branche

Doch nun soll wirklich endlich alles besser werden. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der das Projekt maßgeblich mit vorangetrieben und koordiniert hat, ist überzeugt, dass die Branche  aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Statt eine App für ganz Deutschland mit einheitlichem Design, setzt die Branche nun auf die bereits existierenden Apps in den Städten. Viele Menschen nutzen für Fahrplanauskunft und Ticketkauf inzwischen die Apps ihrer Städte: etwa Rheinbahn in Düsseldorf, KVB in Köln, BVG in Berlin. Künftig soll, so der Plan, jede Nahverkehrsgesellschaft Tickets für andere Städte über die eigene App verkaufen können. „Damit bleibt die Markenidentität der Verkehrsunternehmen und Verbünde erhalten“, sagt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des VDV und einer der Treiber des Projektes. „Jeder Fahrgast kann also in Zukunft die App seines Heimatverkehrsunternehmens oder Verkehrsverbunds nutzen.“ Die Plattform „Mobility Inside“ steuert im Hintergrund die Bezahlströme, Tickettransfer und Abrechnung.

Das System bedeutet tatsächlich einen Paradigmenwechsel in der Branche: Miteinander statt Gegeneinander, lautet die Devise. Für Vielreisende in Deutschland erleichtert der einfache Zugang zum Ticket die Reise in eine andere Stadt. Das Fachwissen von Waben, Zonen und Ticketbezeichnungen ist nicht mehr nötig. Bislang konnte ein Hamburger in München ein Normal- oder Kurzfahrticket entweder am Automaten oder über die App der Münchener Verkehrsgesellschaft (MVV) kaufen. Doch für Letzteres musste ein Nutzer zunächst die App runtergeladen und die Kontodaten hinterlegt haben - viel Aufwand für eine Zwei-Euro-Ausgabe. 

Drei Städte preschen nun voran: Ab Anfang 2019 verkaufen Köln, München und RMV aus Frankfurt auch die Tickets der jeweiligen anderen Regionen über die hauseigene App. „Damit  sind dann schon mal rund 25 bis 30 Prozent der deutschen ÖPNV-Kunden miteinander vernetzt“, sagt VDV-Chef Wolff. „Ab dem kommenden Jahr sollen dann schrittweise die anderen Verkehrsunternehmen folgen.“ Hierfür gründen der Verband und die Unternehmen zurzeit eine eigene Gesellschaft, die die Plattform technisch und finanziell betreut.

Ob es dann wirklich zu einem deutschlandweiten Angebot kommt, bleibt abzuwarten. Nach Information der WirtschaftsWoche sind einige Chefs von Nahverkehrsgesellschaften angesichts der bisherigen eher schlechten Erfahrungen mit einer deutschlandweiten Ticketlösung zurückhaltend. Sicher teilnehmen an dem System werden zunächst neben der KVB in Köln, dem RMV in Frankfurt und der MVG in München sieben weitere Initiatoren des Projekts „Mobility Inside“, darunter Leipzig, Bochum, Dortmund und die Deutsche Bahn.

Die Deutsche Bahn, die Mitglied im VDV ist, verspricht sich von Mobility Inside eine bessere Wertschätzung des Systems Schiene. „Wir müssen zusehen, dass wir die digitalen Kanäle nutzen“, hatte Personenverkehrsvorstand Berthold Huber bereits im Sommer gesagt. Kunden wollten „nahtlos unterwegs sein“. Dass nun die Nahverkehrsgesellschaften selbst auch ICE-Tickets verkaufen können, dürfte der Deutschen Bahn vielleicht sogar zusätzlichen Umsatz bringen. 

Für RMV-Chef Ringat ist klar, dass die Grenzen zwischen Nah- und Fernverkehr verschwimmen. Das sei „ein Startschuss“, sagt er. Bald könnten auch Bike-, Scooter- und Carsharingangebote mit integriert werden. Nun kämen „Dinge zusammen, die zusammengehören“.

Wenn man den Worten von Knut Ringat Glauben schenken darf, brechen für die Nahverkehrsbranche neue Zeiten an: „Wir sind plötzlich Löser als Verkehrsdienstleister und nicht mehr Bettler um höhere Finanzierungen.“

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