
Eigentlich wollte er ja Cowboy werden, sagt Jürgen Gerdes. Geklappt hat das nicht, der 52-Jährige trägt glänzende Schuhe statt Stiefel, silberne Manschettenknöpfe statt Revolver. Und doch glaubt man ihm aufs Wort. Gerdes, ein Mann, der keinen Konflikt scheut, hätte in den Wilden Westen gepasst.
Nun aber sitzt der Paket- und Briefvorstand der Deutschen Post im obersten Stockwerk des gläsernen Towers in Bonn, das gesamte Rheinland ihm zu Füßen. Sein Einfluss reicht noch weit über den Horizont hinaus. Hinter Vorstandschef Frank Appel ist „V1“, wie ihn Mitarbeiter nennen, der wichtigste Mann des Konzerns, ihm unterstehen 180.000 der 500.000 Beschäftigten.
In den vergangenen Jahren ist seine Bedeutung proportional mit der Zunahme des Onlinehandels gewachsen. Durch von ihm geförderte Innovationen wie das Post-Elektroauto hat er seinen Einfluss gesteigert, und damit das so weitergeht, hat sich Gerdes gerade ein neues Lieblingsprojekt gesucht. Er will den Onlinehandel globalisieren.





Dafür hat er sich selbst ein Schlagwort ausgedacht, die „Vereinigten Paketstaaten von Europa“. Ein typischer Gerdes, sagen Mitarbeiter. In dieser Welt sollen Onlineshopper es überhaupt nicht mehr merken, wenn sie, statt in Deutschland, bei Händlern in Großbritannien oder Rumänien bestellen. Und auch Empfänger in Osteuropa oder Skandinavien sollen Pakete dann innerhalb weniger Tage erhalten. Das Potenzial des grenzüberschreitenden Versandhandels soll gewaltig sein. DHL selbst schätzt den weltweiten Markt aktuell auf 300 Milliarden Dollar, in den nächsten Jahren soll er jährlich um 25 Prozent wachsen.
Gerdes will dabei sein, wenn es so weit ist. 22 Länder auf dem europäischen Kontinent bearbeitet er bereits. „Bis Ende des nächsten Jahres wollen wir in 35 Ländern präsent und aktiv sein. Das sind weit mehr als 600 Millionen Einwohner, zu denen wir bis an die Haustür kommen“, sagt er. Dazu zählt er auch Russland und die Türkei. Und selbst in Thailand und Malaysia baut die Post langsam ein Paketnetz auf, vergangene Woche tauchte mit Chile ein weiteres Land auf der langen Lieferliste auf. Damit reicht Gerdes’ Machtbereich nun bis nach Südamerika.
Das passt zu seinem üppigen Selbstbewusstsein: „Wir peilen die Marktführerschaft an. Wir wollen diejenigen sein, die am besten und am innovativsten sind“, sagt er. An der Post soll kein Weg vorbeiführen.
Autonarr baut Elektrowagen
Gerdes hat noch viel vor. Für Amazon soll die Post Lebensmittel ausliefern, er testet die Paketzustellung in den privaten Kofferraum ebenso wie die Lieferung per Drohne. Nun baut der Autonarr sogar sein eigenes Elektroauto, den Street Scooter. Gerade hat die Post angekündigt, dass sie eine zusätzliche Fabrik aufbauen will, um mehr Paketwagen zu produzieren. Mittlerweile verkauft der Konzern sie sogar an Dritte; die Fischmanufaktur Deutsche See hat gerade erst 80 Stück bestellt.
Andere Projekte sind grandios gescheitert, der Postbus zum Beispiel verbrannte Millionen. Aber eine Zeit lang fuhren gelbe Busse mit Post-Logo durch das ganze Land – Gerdes verkaufte das Projekt den Aufsichtsräten als Marketingmaßnahme, und die nahmen ihm das nicht mal übel. Die Sparte sei zugleich die älteste und trotzdem die innovativste im Konzern, lobt einer.