Diagnose: Finanzinfarkt Wie krank sind Deutschlands Krankenhäuser?

Ein Krankenpfleger geht über einen Flur im Krankenhaus von Salzhausen (Niedersachsen). Quelle: dpa

Deutschlands Kliniken sind finanzielle Intensivpatienten, vielen droht die Insolvenz: Um Kosten zu sparen, servieren einige ihren Patienten jetzt keine Butter mehr. Doch solche Sparaktionen behandeln nur Symptome.

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Zuletzt erwischte es die Sachsen-Klinik. Vor wenigen Tagen meldeten die Fachklinik für orthopädische Rehabilitation sowie das zugehörige Altenpflegeheim Muldentalstift Insolvenz an. Den beiden Häusern wurden all jene Entwicklungen zum Verhängnis, unter denen zahlreiche Krankenhäuser in Deutschland leiden: die gestiegenen Ausgaben für Energie sowie Heil- und Hilfsmittel, die höheren Personalkosten, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Vor allem aber sind es die strukturellen Verwerfungen im deutschen Gesundheitssystem, die der Klinik zu schaffen machen. Kurzum: Die Insolvenz sei „ein aktuelles Symptom des erkrankten Gesundheitssystems“, sagt der vorläufige Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus. Offensichtlich seien die von den Kostenträgern zur Verfügung gestellten Vergütungen nicht ausreichend, so Voigt-Salus. 

Und das ist nicht allein in Sachsen so. In Brandenburg kämpft etwa das Krankenhaus Spremberg ums Überleben. In einem Schutzschirm-Insolvenzverfahren soll die Klinik saniert und gerettet werden. Per Umbau in ein ambulant-stationäres Gesundheitszentrum. Auch die Paracelsus-Klinik Reichenbach im Vogtland hat Insolvenz angemeldet. Da sich kein Investor fand, soll sie zum 31. März geschlossen werden. 500 Kilometer weiter nördlich kämpft das Diako-Krankenhaus Flensburg ebenfalls mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit wurde dort Ende 2022 ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eingeleitet. Und dabei dürfte es kaum bleiben. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürchtet eine Pleitewelle, insbesondere kleinere Häuser auf dem Lande seien bedroht, heißt es.

Das bestätigt Insolvenzverwalter Rainer Eckert, der als Generalbevollmächtigter unter anderem die Neuausrichtung der Imland-Kliniken dirigiert. Im Dezember hat die Klinik mit Standorten in Eckernförde und Rendsburg und rund 2400 Beschäftigten ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren eingeleitet. „Krankenhäuser wie jetzt die Imland-Kliniken leiden unter den enorm gestiegenen Energiekosten, der hohen Inflation und unaufschiebbaren Investitionen, unter anderem in die Bausubstanz und -technik“, sagt Eckert. „Mit diesen Grundproblemen sehen sich deutschlandweit derzeit zahlreiche Krankenhäuser konfrontiert.“ Vor allem kleinere Häuser, oft kommunal verwaltet, steckten in der Krise. Zwar habe es in den vergangenen Jahren „wegen der Corona-Subventionen so gut wie keine Insolvenzverfahren von Krankenhäusern“ gegeben. Das ändere sich aber gerade, so Eckert. 

von Cordula Tutt, Henryk Hielscher, Dieter Schnaas

Pflegekräfte wandern ab

Auch Stefan Denkhaus, der gerichtlich bestellte vorläufige Sachwalter der Imland-Kliniken, geht davon aus, dass wir in den nächsten Monaten „sicherlich noch einige Krankenhauskrisen sehen“ werden. Schließlich seien die Probleme des Gesundheitssystems und der Klinikfinanzierung tiefgreifend und „lassen sich auch nicht schnell beheben“, so Denkhaus. 

Als besonders heikel gilt vielerorts die Personalsituation. „Ich kenne eine große Klinik, die von ihren 1000 Betten nur 600 belegen kann, weil Pflegekräfte fehlen“, berichtet Insolvenzanwalt Voigt-Salus. Und die Lage würde sich weiter verschärfen, weil Mitarbeiter zu Leiharbeitsunternehmen wechseln würden. „Dort können sie zu besseren finanziellen Bedingungen und oft auch noch ohne Schichtdienst arbeiten.“ Krankenhäuser müssten die Leistungen dann teuer einkaufen, können den Mehraufwand aber nicht abrechnen, wodurch sich ihre finanziellen Probleme noch verschärfen würden. Dies „wird zwingend dazu führen, dass wir in den nächsten Monaten weitere Krankenhausinsolvenzen sehen werden“, erwartet Voigt-Salus. Besonders prekär sei die Lage im Pflegebereich. „Ich würde mich nicht wundern, wenn wir vor einer Welle von Insolvenzen in der Alterspflege stehen.“ 

Was also tun? Und was besser lassen? Die Hamburger Asklepios-KIiniken sorgten zuletzt etwa mit einem „Butter-Bann“ für Aufsehen: Um Kosten zu sparen, sollen Kassenpatienten dort möglichst mit Margarine vorliebnehmen. Tatsächlich gibt es aber auch sinnvolles Spar- und Verbesserungspotenzial.

„Bei den Abläufen gibt es in vielen Krankenhäusern noch Luft nach oben“, sagt Christian Wallwiener, Arzt und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens WMC Healthcare in München. Das beginne bei Absprachen mit dem Rettungsdienst und den niedergelassenen Ärzten im Umfeld und umfasst die gesamte Steuerung durch das Krankenhaus, so Wallwiener. Vieles ließe sich mit erheblich kürzeren Belegungszeiten oder eben auch ambulant behandeln. Aber auch bei den Bereichen jenseits der direkten medizinischen Versorgung – etwa der Speiseversorgung, Reinigung, in den Labors und bei der Instrumentenaufbereitung könne man „vielfach noch einiges optimieren“, sagt Wallwiener.

Am Grundproblem ändert das allerdings nichts: „In Deutschland haben wir sehr stark auf stationäre Angebote gesetzt, in anderen Ländern spielen Ambulanzen eine größere Rolle.“ Langfristig müsse man daher auch die über Jahrzehnte gewachsene Versorgungsstruktur anpacken und „den Begriff Krankenhaus entromantisieren – wir brauchen Anlaufstellen für die Versorgung und dort auch ‚Kümmerfunktionen‘, aber eben nicht zwangsläufig, das was landläufig als ‚Krankenhaus‘ verstanden wird.“

Und der Personalmangel? Der könnte ebenfalls durch andere Strukturen reduziert oder beseitigt werden, glaubt der Experte: „Die Medizin ist inzwischen extrem fragmentiert“, sagt Wallwiener. „Es werden keine Generalisten mehr ausgebildet, daher brauchen wir tendenziell mehr Ärzte, um ein Fachgebiet abzudecken.“ 

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Zudem verschärfe das medizinische Dienstsystem die Personalnot. Ein Beispiel: Eine Fachabteilung im Krankenhaus muss rund um die Uhr einen Assistenzarzt vor Ort haben. „Allein um das abzudecken, brauchen Sie inklusive Urlaubs- und Vertretungszeiten schon sieben oder acht Ärzte.“ Dazu kämen noch Oberärzte und Chefs. Tagsüber hätten diese Mitarbeiter alle gut zu tun. Aber abends und nachts sehe das schon anders aus. Die Folge: „Wir binden sehr viel Personal in der Vorhaltung von medizinischen Leistungen, die in vielen Krankenhäusern außerhalb der Kernzeiten nur selten abgerufen werden“, sagt Wallwiener. Sein Fazit: „Aus Makroperspektive haben wir nicht unbedingt zu wenig Ärzte und Pflegekräfte, sondern wir setzen sie falsch ein.“

Lesen Sie auch: Deutschlands Krankenhäuser sind kranke Häuser.

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