Die Air-Berlin-Tragödie Wer beim Drama um die Krisenlinie welche Rolle spielt

Schicksalstage einer Fluglinie: Bei Air Berlin geht es drunter und drüber, auch die Hauptversammlung am Mittwoch wird kaum Klarheit bringen. Welche Hoffnung der Airline noch bleibt – und auf wen es dabei ankommt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Air Berlin ist am Boden. Quelle: Marcel Stahn

Wenn bei der krisengeschüttelten Air Berlin in den vergangenen Jahren etwas langweilig war, dann ihre Hauptversammlungen. Vom dramatischen Alltag war wenig zu spüren, wenn Aufsichtsratschef Hans-Joachim Körber Anfang Juni die Aktionäre ins preiswerte Park Inn Hotel am Londoner Flughafen Heathrow einlud. Meist verloren sich nur 26 Anteilseigner in den Blériot genannten großen Tagungsraum. Die bedankten sich oft bei der Geschäftsführung für die Arbeit.

Beim elften Aktionärstreffen am Mittwoch dürfte es lebendiger werden. Wegen der wachsenden Problemen bei den Finanzzahlen gibt es nicht nur einen, sondern gleich zwei Termine. Neben der ordentlichen Hauptversammlung steht nun notgedrungen eine außerordentliche an. Die soll, so heißt es etwas umständlich in der Tagesordnung, "prüfen, ob und welche Schritte eingeleitet werden sollten, um mit der Tatsache umzugehen, dass das Gesamt-Eigenkapital halb oder weniger als halb so viel wie das einbezahlte Aktienkapital beträgt". 

Der Satz ist Kandidat für die krasseste Untertreibung des Jahres. Tatsächlich liegt das Aktienkapital bei rund 20 Millionen Euro – und das Eigenkapital bei fast minus 1,5 Milliarden Euro. Und selbst das ist nur ein Teil der Misere. Die Linie war in den vergangenen Wochen in einem Betriebs-Chaos sondergleichen, die Schulden wachsen rasant. Wie lange die Finanzmittel noch reichen, traut sich niemand zu sagen. Air Berlin muss beim Staat um Unterstützung betteln, weil auf den ewigen Retter Etihad und den neuen besten Freund Lufthansa kein Verlass ist. 

Skytrax-Ranking: Die besten Airlines der Welt

Wer glaubte, brenzliger und verworrener könne es bei Air Berlin nicht werden, wurde eines Besseren belehrt. Die Tragödie der deutschen Luftfahrtgeschichte überrascht mit immer neuen Wendungen. Ihre Hauptdarsteller im Überblick.

Air Berlin

Die gefallene Heldin der deutschen Luftfahrtgeschichte. Air Berlin ist eines der klassischen Beispiele, wie Unternehmer im Erfolgsrausch den richtigen Zeitpunkt zum Umkehren verpassen. Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 als Ferienflieger nach Mallorca gestartet, wuchs sie durch Zukäufe zur Nummer zwei in Deutschland und zum wichtigste Schutz gegen ein Monopol der Lufthansa. "Doch wo die ein Konzept hatten, machten wir am Ende alles und nichts richtig", sagt ein hochrangiger Air-Berlin-Manager. Air Berlin verzettelte und überhob sich. Der Sinkflug setzte bereits vor Jahren ein, konnte jedoch nie gestoppt werden.

Aufstieg und Niedergang von Air Berlin
Kim Lundgren (l), Mitgründer und Präsident der 'Air Berlin Inc.' und Pilot, mit seinem Sohn Shane Lundgren, ebenfalls Pilot bei Air Berlin Inc. Quelle: airberlin
Joachim Hunold Quelle: airberlin
Einstieg ins Linienfluggeschäft Quelle: airberlin
Service an Bord von Air Berlin 2003 Quelle: airberlin
Niki Lauda (2009) Quelle: dpa
Airbus A 320 (2005) Quelle: airberlin
dba Air Berlin Quelle: AP

Faktisch ist Air Berlin noch immer Deutschlands zweitgrößte Airline. Sie wirkt aber wie eine Regionallinie, die ihre besten Zeiten hinter sich hat. Wegen Mängeln bei der Flugplanung und beim Umbau der Flotte fallen seit Wochen Flüge aus und es gibt immer wieder große Verspätungen. Laut Daten des Fluggastrechteportals EUclaim verzeichnete Air Berlin im Juni bisher täglich im Durchschnitt 24 sogenannter Problemflüge. Das sind annullierte oder stark verspätete Flüge von und nach Deutschland. In den ersten fünf Monaten des Jahres seien es noch rund 18 pro Tag gewesen. Die entnervten Passagiere verlangen mittlerweile Entschädigungen in gigantischer Höhe. Das Image wird schlechter und schlechter. 

Wer rettet Air Berlin?

Das Gegenmittel zur Krise entwarf im vergangenen Herbst ein Herrenklub. Die wichtigsten Mitglieder: der neue Konzernchef (und frühere Leiter der Lufthansa-Billigtochter Eurowings) Thomas Winkelmann, der scheidende Air-Berlin-Vorstandsvorsitzende Stefan Pichler sowie die Bosse von Lufthansa, Etihad und Tui. Sie wollten Air Berlin auf eine wahrscheinlich profitable Hälfte rund um die Langstreckenflüge ab Düsseldorf und Berlin schrumpfen. Den Test sollten sich Lufthansa und Tui teilen. Das eine Viertel der Flotte inklusive Besatzung mietete die Lufthansa-Billigtochter Eurowings. Aus dem Rest – inklusive einiger zu besonders schlechten Konditionen von der Tui gemieteten Jets – sollte der Ferienflieger Niki werden, was Air Berlin nochmal 300 Millionen Euro bringen sollte.

So gut das Lufthansa-Leasing läuft, der Tui-Deal platzte am vergangenen Donnerstag und Air Berlin steht vor einem Scherbenhaufen. Nicht nur dass sie eigentlich die erhaltenen 300 Millionen zurückzahlen sollte. Sie muss auch die besonders von der Tui gemieteten Jets weiter beschäftigen, was sie pro Jahr etwa 50 Millionen Euro extra kostet. 

Damit steht Air Berlin unter gewaltigem Druck. Denn nun ist es fast unmöglich, dass die Linie bessere Zahlen schreibt. Damit rückt auch der Abbau des gigantischen Schuldenberges in weite Ferne. Zur Erinnerung: Allein 2016 machte die Linie 781,9 Millionen Euro Verlust. Im ersten Quartal flog die Linie drei Millionen Euro Miese ein – pro Tag. 

Das größte Problem: Nach Jahren verliert sie ihre wichtigste Stütze: Hauptaktionär Etihad, der die Linie seit Jahren mit Finanzspritzen in der Luft hält, wendet sich ab. 

Etihad

Aufrechter Retter, der eine verlorene Schlacht allein nicht drehen konnte, oder ein Spieler, der sich verzockt hat? Welche Rolle Etihad in der Geschichte einnimmt, hängt vom Betrachtungswinkel ab. Fest steht: Die Airline mit Sitz in Abu Dhabi konnte den Sinkflug von Air Berlin nie umkehren – und wird es wohl auch nicht mehr ernsthaft versuchen. 

Immer und immer wieder hat die Linie seit ihrem Großeinstieg 2012 Geld nachgeschoben. Laut Schätzungen sind es inzwischen fast 1,5 Milliarden Euro – und das letzte Geld kam pünktlich vor der Bilanzvorlage. Im April hatte Etihad zudem in einem "Letter of Support" versichert, in den kommenden 18 Monate auszuhelfen, wenn die Mittel knapp werden. Ohne diese Erklärung hätte die hoch verschuldete Air Berlin möglicherweise bereits Insolvenz anmelden müssen. 



Vielleicht bleibt der "Support" bloß ein Lippenbekenntnis. Zwar gaben die Wirtschaftsprüfer der Linie ein Testat, schränkten jedoch ein, dass die Grundlage eine Art Garantieerklärung des Hauptaktionärs Etihad war, der "von der Gesellschaft möglicherweise nicht durchgesetzt werden kann". Ein Insider kommentiert das so: "Die einzige Garantie ist das gute Wort." 

Dass die Araber auf lange Sicht weiter Mittel in die Linie pumpen, gilt in der Branche als ausgeschlossen. Etihad muss eigene Probleme in den Griff kriegen. Zu Jahresbeginn hatte die Fluggesellschaft bereits erklärt, sämtliche Europa-Beteiligungen auf den Prüfstand zu stellen. Airline-Chef James Hogan – hauptverantwortlich für die Air-Berlin-Treue – hat das Unternehmen mittlerweile verlassen.  Der frühere Finanzvorstand ebenso. Längst kursieren in der Branche Gerüchte, dass die Araber einen Käufer für die Aktien suchen. 

Lufthansa

Auftritt Lufthansa. Aus der einstigen Erzfeindin könnte die Retterin werden, wenn auch keine strahlende. Die Deutsche Nummer 1 hat Air Berlin bereits 38 Jets samt Crews abgenommen. Dafür bekommt Air Berlin pro Monat nun mehr als 11 Millionen Euro. . Mehr "Zusammenarbeit" scheint nicht ausgeschlossen. Selbst die vollständige Übernahme ist denkbar. 

Der frühere Germanwings-Manager und heutiger Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann hat wiederholt klar gemacht, dass seine Linie starke Partner an ihrer Seite braucht. Zwar spricht der Airline-Manager auch von und mit anderen Interessenten. Das hält so mancher Branchenkenner allerdings für Blendwerk. Nicht nur die Verbundenheit Winkelmanns zu seinem früheren Arbeitgeber spricht für den Übergang zur Lufthansa. Die Kranichlinie hat ein Interesse, auf ihrem Heimatmarkt keine neue Konkurrenz entstehen zu lassen.

"Eine zweite große deutsche Airline wäre wünschenswert"

Doch es gibt Hindernisse. Das erste sind die Wettbewerbshüter. Zwar ist Lufthansa-Chef Spohr optimistisch, dass er bei einer Übernahme nicht auf große Widerstände stößt. Doch es gibt auch genug Stimmen, dass die für eine Fusion dieser Größe zuständigen europäischen Wettbewerbshüter eine Übernahme der Nummer 2 am Markt durch die Nummer 1 nicht ohne Weiteres durchwinken. Einzig wenn der Druck durch eine unmittelbar bevorstehende Insolvenz groß genug ist, könnten die Kartellhürden gesenkt werden. 

Bliebe noch die Summe von 1,2 Milliarden Euro. So viele Schulden hat Air Berlin mittlerweile offiziell angehäuft. Lufthansa hat schon gesagt, dass sie dafür auf keinen Fall gerade stehen will. Aber auch Etihad wird alles dafür tun, diesen Batzen nicht selbst zahlen zu übernehmen zu müssen – oder zumindest von Lufthansa etwa durch eine tiefe Partnerschaft dafür entschädigt zu werden.  

Tui

Für die meisten Beobachter war der Reiseriese au Hannover bislang eigentlich nur einer der Nebendarsteller im Drama. Doch in der vergangenen Woche richtete sich plötzlich die Aufmerksamkeit auf die Ferienflugtochter Tuifly.

 

Der Hintergrund: Tui, Air Berlin und Etihad hatten im Oktober 2016 Pläne für eine Fusion von Tuifly mit der österreichischen Air-Berlin-Tochter Niki bekanntgegeben. Die Gespräche wurden in der vergangenen Woche plötzlich aufgekündigt. Der Schock war groß. Das Abstoßen von Fliegern und Strecken auf den extrem hart umkämpften Ferienstrecken rund ums Mittelmeer war einer der zentralen Punkte in Winkelmanns Plan, um Air Berlin möglichst schnell zu entlasten und gesund zu schrumpfen. 

Doch der geplante, aber noch nicht vollzogene Verkauf der Niki-Anteile von Air Berlin an Etihad soll nach Aussage beider Parteien dennoch über die Bühne gebracht werden. Etihad-Chef Ray Gammell versichert: Die Investition in Niki stehe, "und wir sind bestrebt, die Transaktion in Kürze abzuschließen". Die vereinbarten 300 Millionen Euro für den Deal sind längst geflossen und müssten nun eigentlich von Air Berlin an Etihad zurück überwiesen werden. Doch dank einer cleveren rechtlichen Konstruktion gilt der Deal nur als unterbrochen statt als beendet. Und somit stellt sich die Frage einer Rückzahlung deshalb erst einmal nicht. 

Bis auf Weiteres verantwortet Niki nun als zweites Geschäftsfeld die Urlaubsflüge des Air-Berlin-Konzerns. Getrennt davon führt die Mutter die Langstrecken und den Metropolenverkehr in Europa. 

Die Episode macht deutlich, wie fragil der Rettungsplan für Air Berlin ist – und wie dünn die Chance, es aus eigener Kraft zu schaffen. 

Die Politik

Es wäre die Deus-Ex-Machina-Lösung: Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass Air Berlin bei den Landesregierungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen eine Voranfrage auf Prüfung eines Bürgschaftsantrags gestellt. Bei einer Bürgschaft fließt zunächst kein Geld. Allerdings könnte Air Berlin mit öffentlicher Rückendeckung wieder leichter an Kredite kommen. 

Ob eine solche Bürgschaft tatsächlich ein gute Idee wäre, ist umstritten. Beim Flughafenverband ADV hofft man auf staatliche Hilfe. Denn sonst kämen die deutschen Airports in die Klemme zwischen der Lufthansa als neuer Monopolist und den extrem hart verhandelnden Billigfliegern, die nach einer Air-Berlin-Pleite die Lücken schließen würden. "Eine zweite große deutsche Airline im Markt wäre wünschenswert – gerade aus Sicht der Reisenden", sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Kartellrechtler warnen hingegen vor dem Eingreifen der Politik. Andere wie FDP-Chef Christian Lindner oder Justus Haucap, Wettbewerbsexperte und früher Vorsitzender der Monopolkommission, lehnt Bürgschaften ab. "Das würde nur eine falsche Geschäftspolitik und schlechtes Management belohnen", sagte er in der vergangenen Woche. 

Der Fall Air Berlin weckt böse Erinnerungen

Gerade in NRW weckt das Ansinnen ohnehin böse Erinnerungen. 2001 hatte die damalige Landesregierung unter SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement schon mal eine Bürgschaft für eine kriselnde Airline übernommen: LTU, damals Deutschlands zweitgrößter Ferienflieger. Besser lief es danach trotzdem nicht. 2007 wurde die Linie geschluckt – und zwar ausgerechnet von Air Berlin

Einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge ist auch der Großteil der Deutschen gegen eine solche Bürgschaft. Demnach sind insgesamt 69 Prozent der Befragten der Meinung, Air Berlin sollte nicht mit einer staatlichen Bürgschaft vor der Pleite gerettet werden. 

Kein Wunder, dass sich die Politik zurückhält. Als Voraussetzung für mögliche staatliche Hilfen gilt ein "tragfähiges Zukunftskonzept" des Unternehmens. Schnell wird es ohnehin nicht gehen. Die Bundesregierung erwartet keine kurzfristige Entscheidung. Es werde "einige Wochen bis Monate dauern", bis eine Entscheidung fällt. So lange leiden nicht nur Air Berlin und die Mitarbeiter. 

Die Passagiere

Ein Drama braucht unschuldige Opfer. Die Reisenden zählen in diesem Fall mit Sicherheit dazu. Nicht nur, dass sie aktuell unter Pannen und Qualitätsproblemen leiden. Es ist überhaupt nicht klar, wann Air Berlin diese in den Griff bekommt. Dass sich die Fluggäste davon besänftigen lassen, wenn Winkelmann jüngst um Verzeihung für die Probleme bat und erklärte, er selbst ärgere sich "schon schwarz über zehn Minuten Verspätung", darf bezweifelt werden. 

"Die Tickets sind sicher", beteuerte Air-Berlin-Vertriebsvorstand Götz Ahmelmann immerhin zuletzt. Soll heißen: Air Berlin fliegt weiter. Trotzdem wächst die Unsicherheit unter den Reisendem. Die Erfahrung zeigt: Geht eine Airline Pleite, verlieren die Passagiere ihr Geld, weil Fluglinien anders als Reiseveranstalter keine Konkursversicherung abschließen müssen. Kaum besser ist es, wenn Air Berlin überlebt, aber Flüge mehrere Wochen im Voraus absagt. Dann droht allen, die statt einer kompletten Pauschalreise nur Einzelteile wie Hotel und Mietwagen gebucht haben, eine schwere Entscheidung: einen neuen Flug kaufen oder die anderen Teile verfallen lassen. 

Unter diesen Umständen Kunden zu halten, ist eine Sisyphos-Arbeit. Doch schafft es Air Berlin nicht, die Passagiere auch in der Krisenzeit bei der Stange zu halten, droht ihr endgültig das Aus. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Tickets werden zumeist direkt wieder investiert – zum Beispiel in Kerosin. Stockt der Geldfluss, müsste Air Berlin auf die eisernen Reserven zurückgreifen. Dass es die eigentlich schon kaum noch vorhanden ist, gibt der Tragödie noch mehr Drama.


© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%